Test - Endzone: A World Apart : Achtung, Suchtgefahr!
- PC
Da ist er wieder, dieser Anno-Kick. Wenn du nur noch einen kleinen Rohstoffengpass abhaken willst und schon wieder zwei, drei Stunden rum sind. Am Ende haben wir uns unzählige weitere Baustellen geschaffen, während im echten Leben bereits die Sonne untergeht. Fast schon perfide ziehen clever designte Aufbauspiele wie Anno 1800 uns so in ihren Bann. Suchtpotenzial, das aufgrund seines enormen Zeitverschleißes fast schon frustrieren kann.
Frustrieren kann der neue Aufbautitel Endzone: A World Apart ohnehin sehr gut. Wir haben mit den im Genre so typischen Problemen wir Ressourcenmangel, Naturkatastrophen und Bevölkerungsschwund zu kämpfen. Nur dass diese hier auch bei durchdachter Spielweise ein permanenter wie hoch präsenter Begleiter sind. Endzone ist vor allem ein Survival-Spiel – und zieht einen im selben Maße in den Bann wie die ganz großen Aufbau-Kollegen.
Schon in der Early-Access-Phase im vergangenen Jahr gewann Endzone schnell zahlreiche Fans für sich. Seit April 2020 verkaufte sich die Genre-Perle bereits über 250.000 Mal auf Steam. Wie bei Anno und Die Siedler werkelt bei Endzone ein deutsches Team an den Stellschrauben, genauer gesagt das Entwicklerstudio Gentlymad aus Wiesbaden. Allerdings handelt es sich bei den Hessen nicht um ein etabliertes Großunternehmen wie bei Ubisoft, hier schufen gerade mal elf (!) ambitionierte Entwickler das vielleicht beste Aufbauspiel seit Anno 1800.
Genre-Perle in der Postapokalypse
Im Kern ähnelt Endzone aber weniger der populären Traditionsreihe als vielmehr dem knallharten Indie-Geheimtipp Banished aus dem Jahr 2014. Eine Siedlung abseits jeder Zivilisation bauen, während Hungers- und Obdachnot für einen stetigen Überlebenskampf sorgen – auch Endzone baut mehr auf Stress als auf gemütlichen Städtebau. Etwas anders als in Banished gestaltet sich aber das Setting: A World Apart verpackt seinen fordernden Siedelspaß in eine postapokalyptische Welt.
Die Prämisse erinnert zweifellos an die Fallout-Reihe. Terroristen stürzten die Welt ins Chaos. Während explodierende Atomkraftwerke Großteile der Zivilisationen ausrotteten, verschanzten sich einige Menschen in den Schutzbunkern unter der Erde. 150 Jahre später wagen sich die Überlebenden nun zurück an die Oberfläche, um ihre Welt wieder aufzubauen. Doch die ist voller neuartiger Gefahren und Bedrohungen.
Genau hier kommen wir ins Spiel. Eine Geschichte im weiteren Sinne erzählt Endzone nicht. Besagte Story wird lediglich in einem kleinen Intro abgefrühstückt. Auf eine durchgängige Kampagne verzichtet A World Apart gleich ganz, weniger stimmungsvoll wird das Siedeln dadurch aber nicht. Im Gegenteil: Selten vermittelte uns ein Spiel so direkt und realistisch sein Survival-Konzept.
Denn auch ohne Zwischensequenzen und einer wendungsreichen Geschichte packt Endzone ab der ersten Minute. Vom Startschuss an müssen wir ganz genau aufpassen, nicht sofort an unserer Endzeit-Mission zu scheitern. Verstrahlte Böden, saurer Regen, Trockenheit und fiese Sandstürme machen uns schnell das Leben zur Hölle.
In Endzone gibt es keine klar definierten Ziele. Mit einem knappen Dutzend Überlebender und einem Buswrack als Zentrum starten wir jede Partie. Stets gilt es, eine möglichst intakte Siedlung zu errichten und vor allem: am Leben zu bleiben. So lange, wie es nur irgend geht. Alles andere ist sekundär. Wie es bei einer echten Postapokalypse wohl nicht anders wäre.
Ewiger Kampf gegen das Game Over
Dazu ist es nötig, dass wir in erster Linie zwei Ressourcen pausenlos im Auge behalten: Wasser und Nahrung. Schnell errichten wir also einen Steg am nächstgelegenen See, wo Träger das überlebenswichtige Wasser holen und in Zisternen lagern. Alternativ können wir auch einfach den Regen in gesonderten Auffangbecken speichern, allerdings kommt der häufig kontaminiert und wer will schon radioaktives Wasser trinken … Unseren Bürgern wachsen dann zwar keine Ohren aus dem Bauch, dafür werden sie aber krank und bei fehlender Vorsorge führt das schnell ins Grab. Was für uns den Neustart bedeutet: Haben wir gar keine Siedler mehr, heißt das Game Over.
Genauso sorgfältig müssen wir die Nahrungsversorgung planen. Hierbei bietet Endzone gleich mehrere Möglichkeiten an, die alle genutzt werden sollten, da vielfältige Ernährung das Krankheitsrisiko minimiert. Sammler suchen Beeren und Früchte in den Wäldern, Angler ziehen Fische aus dem Wasser, Jäger jagen Wild, das wir auch auf Weiden weiterzüchten können, und Bauern pflanzen Obst und Gemüse auf Feldern.
>> Sind sie zu schwer, bist du zu schwach: Die 10 schwersten Spiele dieser Generation <<
Wie in Anno 1800 können wir aber nicht grenzenlos Arbeiter losschicken, sondern verfügen nur über ein strenges Limit von Arbeitskräften, das es bedacht einzuteilen gilt. Endzone geht hier sogar noch weiter: Zur Verfügung stehen nur genau so viele Werktätige, wie eben nunmal Menschen in unserer Siedlung leben. Und davon sind nie genug für alle Wirtschaftszweige vorhanden, unter anderem wollen ja auch Holz gefällt und Schrott gesammelt werden.
Sehr viel Zeit verbringen wir daher in einem Menü, in dem wir unsere freien Fachkräfte auf die Aufgaben verteilen. Aufgrund des Mangels an Arbeitern muss meistens wieder ein bestimmter Betrieb dran glauben, da die Prioritäten je nach Situation neu gesetzt werden. Naht etwa eine Dürreperiode, brauchen wir möglichst viele Wasserträger, um so viel Trinkgut wie möglich zu sammeln, bevor der ganze See austrocknet. Lehrer und Forscher sind in dieser Phase natürlich weniger wichtig. Ständiges Mikromanagement bildet einen Hauptbestandteil von Endzone.
Haben wir gesagt, Endzone hat keine Ziele? So ganz stimmt das nicht. Kleine Nebenaufträge kreuzen euren Weg, in denen wir meist genau an den Ventilen drehen sollen, an denen es gerade hapert. Sind zum Beispiel viele Einwohner an der hohen Strahlung erkrankt, bekommen wir oft den Auftrag, in kurzer Zeit möglichst viel Arznei herzustellen.
Bevor man annimmt, sollte man aber Vorsicht walten lassen. Zwar werden wir bei Erfolg mit jeder Menge dringend benötigter Medikamente und einem Zuwachs an Zuversicht (ja, auch Motivation und Stimmung sind wichtig, selbst wenn die Welt am Abgrund steht) belohnt – scheitern wir jedoch, quittiert dies das Spiel mit einem massiven Rückgang der Gemütslage unserer Siedler. Die arbeiten dann deutlich langsamer, im schlimmsten Fall legen sie ihr Werkzeug gleich ganz nieder.
Unbarmherzige Szenarien
Einen kleinen Kampagnen-Ersatz bieten die Wiesbadener Jungs und Mädels dann doch. In der späteren Early-Access-Phase bauten die Entwickler zehn vorgefertigte Szenarien ein, in denen wir zwar weitestgehend frei bauen dürfen, allerdings unter sehr unterschiedlichen Gegebenheiten.
In Szenario 2 etwa starten wir mit einer sehr fortgeschrittenen Siedlung, in der jedoch höchste Not herrscht. Die Vorräte sind nahezu aufgebraucht, die nächste Dürrewelle naht und viele unserer Siedler haben kein Dach über dem Kopf. Nun müssen wir besonders schnell handeln und retten, was zu retten ist. Also fix ein Zufluchtslager bauen, um den Bedarf an Betten zu decken. Zuflucht wohlgemerkt, keine Häuser.
Wer nämlich seinen Personalbedarf mit Bevölkerungszuwachs lösen will, in dem man einfach neue Hütten baut, kriegt schon sehr bald die eiskalte Rechnung. Vermehren sich die Siedler zu rasch, rächt sich das mit einem massiven Ressourcenverbrauch. Und haben wir erst einmal viel zu viele Männer und Frauen in unserer Stadt, die all unser wertvolles Essen verputzen, können wir dieses Problem nicht mehr so schnell lösen. Überhaupt bestraft Endzone Fehler mit voller Härte, leider ohne, dass wir noch darauf reagieren können.
Hier liegt auch die größte Krux: Auch wenn der Spielablauf aus Einteilen von Arbeitskräften, dem Häuserbau und Pflastern von Wegen an Genre-Größen wie Anno und Die Siedler erinnert, dreht Endzone letztendlich sein ganz eigenes Ding – und das ziemlich bockig. Selbst wenn unsere Siedlung gerade gut wächst und funktioniert, geht es eben doch nie darum, eine florierende und opulente Stadt zu errichten, sondern einzig und allein, dass unsere Siedler am Leben bleiben.
Finden wir in Anno bei Lieferengpässen einer bestimmten Ressource oder nach einer schlecht geplanten Handelsroute noch relativ schnell eine Lösung, können wir in Endzone nach einem Malheur meist nur hilflos zusehen, wie unsere Bevölkerung dahinsiecht. Leider gibt uns das Spiel zu wenig Feedback, das uns unsere Missgeschicke nachvollziehen lässt. Beispielsweise stellt die Infrastruktur noch ein Problem dar. Oft legen unsere Arbeiter viel zu lange Wege zurück, um Waren von A nach B zu befördern. Obwohl wir eigentlich alle relevanten Gebäude nah beieinander gesetzt und Vorratslager errichtet haben. Warum unser Konzept dennoch nicht aufgeht, lässt Endzone aber zu sehr im Unklaren.
Auch wie viel Wasser und Nahrung wir eigentlich benötigen, um unseren aktuellen Bevölkerungsstand ausreichend zu versorgen, wird nie so ganz klar. Dass es dann doch nicht reicht, merken wir meistens erst dann, wenn es schon zu spät ist.
Endzone schafft es trotzdem zu motivieren. Sind wir mit unserer Stadt gescheitert, wollen wir sofort einen neuen Versuch wagen. In unserem Beispiel-Szenario etwa sind wir auch nach mehreren Stunden immer noch damit beschäftigt, unsere Arbeitskräfte richtig einzuteilen und die Wasserversorgung zu optimieren. Nachdem wir dann doch ein paar Häuser zu viel gebaut hatten, schoss der Bevölkerungsstand jedoch nur so in die Höhe und der mühsam erarbeitete Essensvorrat schrumpfte schneller als man „Nukular“ sagen kann.
Die Folge: Weitere vier Stunden lang glichen wir den Fehler der Überbevölkerung aus. Zahlreiche Zufluchtslager sorgen für Obdach, während in diesen keine Gefahr der Vermehrung besteht. In so einem Camp fehlt halt dafür die Privatsphäre. Knifflig: Für den hohen Nahrungsbedarf haben wir fast alle verfügbaren Männer und Frauen (Kinder arbeiten nicht, verbrauchen aber Ressourcen) als Bauern oder Fischer einzuteilen.
Darunter leiden dann die Produktionszweige Kleidung und Werkzeug, schließlich brauchen auch diese Bedürfnisse eine Versorgung. Aufgrund der mal mehr, mal weniger hohen Strahlung benötigen unsere Arbeiter beispielsweise Schutzkleidung. Einfache Halstücher sind zwar einfach zu produzieren, schützen bei einer starken Verseuchung jedoch kaum. Dann sind mindestens Aktivkohlemasken notwendig.
Eine absolut perfekte Versorgung ist also selten gewährleistet. Und diese Dynamik macht einen großen Reiz von Endzone aus. Auf jede Krise und jede Situation will anders reagiert werden, stets braucht es neue Ideen und Konzepte, um den Überlebenskampf zu meistern. Genauso fundamental für diesen sind Planung und präventives Bauen. Je weniger und je später wir uns auf eine nahende Dürre oder einen baldigen stark kontaminierten Regen vorbereiten, desto mehr haben wir am Ende das Nachsehen. Zum Glück zeigt eine Art Kalender mit Wettervorhersage immer an, wie sich die Umweltbedingungen in absehbarer Zeit verändern.
Und selbst wenn es unseren Siedlern an nichts fehlt, sterben sie eines Tages dann doch. Denn sie altern! Also muss auch der Nachwuchs im Blick behalten werden, in Schulen etwa können wir per Lehrplan bestimmen, ob die unnützen Racker später mal besonders fleißige Arbeiter werden oder einfach mehr Acht auf ihre Kleidung geben, diese also weniger schnell verbrauchen. Die verstorbenen Erwachsenen müssen wir per Friedhof dagegen anständig begraben. Liegen die Toten nämlich überall in den Straßen herum, schlägt das auf die Stimmung der Bewohner.
Wahnsinnig viel zu tun
Es gibt also wahnsinnig viel zu tun und zu beachten. Mit dem Erklären seiner zahlreichen Mechaniken gibt sich Endzone jedoch nicht viel Mühe. Zwar existiert ein sehr, sehr langes Tutorial, jedoch deckt das noch immer nicht alle möglichen Situationen ab, und ein modernes Spiel sollte für den Neueinsteiger auch ohne mühsames Standard-Tutorial funktionieren. Wenn es zu Beginn des Szenarios „Die Wette“ dann aber ohne jede Erklärung einfach nur heißt, wir sollen eine Saat finden, dann stehen wir erstmal auf dem Schlauch. Es sei denn, wir wissen aus der sechsstündigen Einführung, dass wir Saatgut finden können, indem wir Expeditionen losschicken.
Mit diesen entsenden wir sehr ähnlich wie in Anno 1800 Kundschafter in die Spielwelt, um Items zu erbeuten. Dazu statten wir die Entdecker mit ausreichend Rationen aus und benötigen anschließend viel Geduld. Zusätzlich bietet uns Endzone die Möglichkeit an, mit Forschung neue Technologien freizuschalten. Dieses Feature wirkt allerdings etwas aufgesetzt. In der Regel spielt Forschung erst sehr spät eine Rolle und auch dann eine viel kleinere, als man es von anderen Strategiespielen gewohnt ist. So dürfen wir zum Beispiel eine Wetterstation entwickeln, mit der wir unsere Felder und Regenbecken abdecken und somit vor saurem Regen schützen können.
Allein dieses Gebäude zu erforschen, verbraucht jedoch wahnsinnig viel Zeit und benötigt extra Wissenspunkte. Für weitere Gebäude müssen wir zusätzlich über Expeditionen noch mal Forschungsuntensilien erbeuten. Hier übertreibt es Endzone etwas, immerhin wollen wir nach vielen Stunden Mikromanagement auch mal belohnt werden, statt für nur ein neues Gebäude weitere zahlreiche Stunden Arbeit investieren.
Abgesehen von der Forschung gibt es aber mit zunehmendem Spielbverlauf nichts Neues freizuschalten oder zu entdecken. Alle Gebäudetypen stehen von Anfang an schon bereit. Und es existieren auch keine Bevölkerungsstufen. Unsere einfachen Siedler bleiben immer halt einfache Siedler. Irgendwie ja logisch, in einer Postapokalypse wären Aristokraten ja auch fehl am Platz. Trotzdem kann dieser Punkt so manchen Aufbau-Fan abschrecken. Städte-Sims wie Anno oder Cities Skylines motivieren ja schließlich vor allem mit immer neuen Bauarten und Möglichkeiten. Endzone hält uns dagegen mit seinem dynamischen Wetter am Ball, dem mit der Zeit immer schwieriger zu begegnen ist.
Auch wenn A World Apart also sehr anspruchsvoll und vielschichtig geraten ist: Es ist kein Komplexitäts-Monster wie so manch anderer Genrevertreter, denn die Warenkreisläufe fallen meistens sehr kurz aus. Kaum eine Ressource durchläuft mehr als zwei Produktionsstationen. Kein Vergleich zu Anno 1800, wo für Taschenuhren gleich sechs verschiedene Warenzweige benötigt werden.
Daher bleibt vor allem die Frage, wie sehr Endzone auch bis ins, nun ja, Endspiel motivieren kann. In der Regel löst Gentlymad dieses Problem, in dem wir ohnehin irgendwann den Game-Over-Bildschirm sehen. Je länger eine Partie dauert, desto schwieriger wird sie. Irgendwann erliegt dann selbst die am besten organisierte Siedlung Mutter Natur. Die Motivation entsteht also eher daraus, aus den Fehlern zu lernen und beim nächsten Versuch diese früher zu erkennen. Die Zeit wird zeigen, ob die erfahrenen Profis im sogenannten Lategame noch genug Inhalte zum Weiterspielen finden – oder ob Gentlymad einfach frischen Content per DLCs nachliefert. Für dieses mehr als gelungene Spiel wäre es mehr als wünschenswert. Auch wenn wir dann noch mehr und viel zu viel Lebenszeit darin versenken werden ...
Kommentarezum Artikel