Test - Weedcraft : Kiffen macht gleichgültig. Na und?
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Haste Haschisch in der Tasche, haste immer was zu nasche! Und eine illegale Einnahmequelle noch dazu. Dass hinter dem Rauchkraut aber weit mehr steckt als nur breite Konsumenten und zwielichtige Dealer, will uns Entwickler Vile Monarch mit der Wirtschaftssimulation Weedcraft vermitteln. Herausgekommen ist ein spielbares Kompendium mit einer Menge toller Ideen. Viel Rauch um nichts oder der geilste Shit? Das verrät unser Test.
Betrunkene überfahren Stoppschilder, Kiffer warten darauf, dass sie grün werden. Ob kiffen vergesslich macht? Weiß ich nicht mehr! Ja, ja, Klischee, Klischee. Es gibt viele dumme Sprüche, Halbwahrheiten und Legenden um das Kraut, dessen Konsum und Besitz in einigen Bundesländern Deutschlands toleriert wird. Der Handel damit ist aber weiterhin illegal.
Warum das so ist, welche Risiken der Konsum birgt und wie es überhaupt zu einem Verbot kam, das sind Themen, über die man sich ewig unterhalten kann. Weedcraft wäre nicht das erste Videospiel, das Anbau und Verkauf von Marihuana in einen Faktor für eine Wirtschaftssimulation verwandelt – siehe das Mobile-Game Weed Shop. Was könnte Weedcraft großartig anders machen?
Die Diskussion um Legalität und Illegalität des grünen Krauts gleicht einem Tauziehen zwischen liberalen und konservativen Kräften. Noch vor 35 Jahren behaupteten Politiker, Grasraucher wären allesamt anfällig für den Wechsel zu Heroin und anderen starken Drogen – was selbst bei größtem Pessimismus nicht mehr haltbar ist. Dennoch bleiben viele Anwendungsgebiete der Pflanze für Otto Normalverbraucher verborgen, weil diese alten Ansichten noch nachschwingen. Weedcraft Inc. schreibt sich eine lockere und spielerische Aufklärungskampagne auf die Fahne, wobei es fraglich ist, ob sie überhaupt Leute erreicht, die Berührungsängste und Vorurteile haben.
Ganja von allen Seiten
Weedcraft Inc. zeichnet ein erstaunlich realistisches Bild der kompletten Szene rund um den Mythos Marihuana, ohne sie zu glorifizieren. Die Handlung ist zwar in den USA angesiedelt, weshalb Preise und Toleranzgrenzen bei den Behörden nicht eins zu eins auf hiesige Verhältnisse übertragbar sind, doch gelingt es den Spieldesignern durchaus, ein sehr umfassendes, (beinahe) wertneutrales spielbares Kompendium auf die Beine zu stellen.
Hinter der Fassade eines Spiels deckt Weedcraft Inc. beinahe alle Themen ab: vom Anbau, dem nötigen Equipment und den Problemen des Schwarzmarkts über das typische Klientel und deren Erwartungen an die Droge bis hin zu legalen Nutzungsformen wie etwa der medizinischen Anwendung. Nur eines bleibt völlig außen vor, nämlich der eigentliche Konsum. Es gibt keine Minispiele, bei denen man eine Bong blubbert, keine Tütenbau-Wettbewerbe oder Ähnliches, das sich zu sehr am Konsumentenkult orientiert. Weedcraft versucht tatsächlich, seriös zu sein, auch wenn Comic-Zeichnungen und eingespielte Hip-Hop-Tunes ein gewisses Ambiente vorgeben.
Das Spiel startet mit der Auswahl zweier möglicher Szenarios. Entweder man schlüpft in die Rolle eines gescheiterten Wirtschaftsstudenten, der sein Studium nicht beenden kann, weil sein Vater, der ihn finanzierte, verstorben ist. Der Vater konsumierte Gras, um die Symptome seines Krebsleidens erträglicher zu machen, was den Ex-Studnik auf den Geschäftszweig bringt. Oder man schlüpft in die Haut eines Knackis, der nach seinem Gefängnisaufenthalt wieder mit dem Dealen anfängt. Das ist sozusagen der fortgeschrittene Modus, in dem es gleich zur Sache geht.
In beiden Varianten beginnt der Aufbau des eigenen Grasimperiums mit geringen Mitteln. Ein Raum, ein paar Samen, Lichtquelle, Pflanzenerde und Dünger – eben die Grundausstattung. Nach dem Anpflanzen schaut man buchstäblich dem Gras beim Wachsen zu, gießt Wasser nach und beschneidet die Triebe, um sie zum schnelleren Nachwachsen zu motivieren. Eine ganz schön einseitige und repetitive Beschäftigung, selbst wenn man den Zeitraffer auf dreifache Geschwindigkeit stellt. Erinnert zudem stark an das erwähnte Mobile-Game Weed Shop. Einmal geerntet, verkauft man das Gras dann an die nächstbeste Klientel vor einem Supermarkt.
I got five on it
Für den Anfang ein einfacher Kreislauf, der jedoch rasch komplexer wird: Das Geld aus dem Verkauf garantiert bessere Sorten, bessere Pflanzenerde, bessere Lampen und so weiter, sodass der Ertrag steigt. Schafft man es, durch die Anpassung der Düngerkomponenten die Qualität der Ernte zu steigern, kaufen Kunden mit Freude noch mehr von dem Zeug. Allerdings muss man sich die Zeit nehmen, mit dem Dünger zu experimentieren, was auch so manche schlechte Ernte einbringt, da jede Marihuanasorte anders gedüngt werden will.
Je erfolgreicher der Anbau, desto heftiger die Folgen. Das Gras stinkt, ständiger Besuch ruft die Polizei auf den Plan und das Finanzamt interessiert sich plötzlich für alle Kontobewegungen. Was also tun? Ganz klar: vom Hobbydealer zum Profi aufsteigen. Besseres Equipment und ein vorgeschobenes Business wie etwa eine Teestube oder eine Pizzeria halten die Cops auf Abstand (wobei gutes Zureden und ein wenig Schmieren auch hilft). Ein Geschäftsmodell, das allein nicht zu stemmen ist, also müssen Arbeiter angestellt, Räume gemietet und eventuell sogar ein Darlehen von der Bank in Anspruch genommen werden.
Allmählich wird es kompliziert. Einerseits, weil die Konkurrenz nicht schläft – andere Dealer müssen beschwichtigt werden, sei es durch territoriale Abmachungen, durch Anfreundung oder schlichtes Ignorieren ihrer Einschüchterungsversuche. Andererseits verschwimmen die Grenzen zwischen „Dealen für den Lebensunterhalt“ und dem Aufbau eines Kartells so sehr, dass man sich letztendlich entscheiden muss: Legal oder illegal? Straßenkartell oder medizinischer Großversorger?
Bevor ihr zu dieser Entscheidung kommt, vergehen locker 15 Spielstunden mit erstaunlich vielen Entscheidungsfaktoren. Der Arbeitsaufwand etwa zwingt euch dazu, Helfer einzustellen, die eure Pflanzen pflegen, sich um den Verkauf kümmern oder den Alibiladen, der auch der Geldwäsche dient, durchorganisieren. Dazu braucht es wiederum Räumlichkeiten, die Miete kosten, und so weiter.
Dummerweise sind die wenigsten potenziellen Angestellten anfangs so enthusiastisch bei der Sache wie der Spieler selbst. Heißt: Man muss sich in sämtliche Prozesse des Micro-Managements einmischen, was furchtbar viel Zeit verschlingt. Allein das Gießen und das Beschneiden, das durch wiederholte Mausklicks an jeder einzelnen Pflanze vorgenommen werden muss, wirkt nach einiger Zeit wie eine meditative Beschäftigungstherapie. Wer das nicht tut, muss einige virtuelle Jahre lang mit heftigen Geldeinbußen rechnen, weil die Ernte schlechter ausfällt als üblich.
Mangelnde Balance
Sobald Angestellte allerdings an Erfahrung gewonnen haben, verlangen sie Gehaltserhöhungen, werden von der Konkurrenz abgeworben oder hoffen auf ein neues Beschäftigungsfeld. Wollt ihr sie überdies zu der einen oder anderen krummen Handlung animieren – beispielsweise zur Tätigkeit als Maulwurf bei der Konkurrenz zwecks Diebstahls von ertragreichen Sorten oder der negativen Manipulation ihrer Ernte –, so müsst ihr sie mit viel gutem Zureden und einer saftigen Gehaltsspritze ermutigen.
Klingt einfach, ist es aber nicht, da das Spiel keinerlei Anhaltspunkte über die Ansprüche der Angestellten vermittelt. Bietet ihr zu wenig Geld an oder vergreift euch in den Multiple-Choice-Gesprächen nur leicht im Ton, vergrault ihr eure zuvor treuen Arbeiter womöglich. Im schlimmsten Fall müsst ihr einen Frischling neu anlernen und der ganze Spaß beginnt von vorne.
Ähnlich verhält es sich mit Polizisten und den Leuten vom Finanzamt, die bei Spielstart noch rücksichtsvoll agieren, später aber nur mithilfe von Bestechungen … äääh … ich meine Veteranenstiftungen und anderen beschwichtigenden „Spenden“ dazu animiert werden können, öfter mal ein Auge zuzudrücken.
Diese Spielelemente sind zwar allesamt nachvollziehbar, aber zuweilen schlecht unter einen Hut zu bringen. Das liegt weniger an den Aufgaben selbst als an der Aufteilung der Spielflächen. Alle Tätigkeiten, die zum Micromanagement gehören, finden auf separaten Bildschirmen mitsamt kurzer Ladepause statt. Die übergeordneten Handlungen findet man hingegen auf der Übersicht der Stadt. Expandiert man in eine andere Stadt, kommen weitere Verschachtelungen dazu – und somit noch mehr unnötige Ladezeiten und Einzelscreens.
Den schwersten Bruch erleidet das Spiel allerdings nach der oben genannten Entscheidung: Legal oder illegal? Verbleibt man auf dem Schwarzmarkt, so behält Weedcraft seine volle Komplexität und wird mitunter zu einem Kampf gegen Windmühlen – Kunden, Konkurrenz, Recht und Gesetz. Das kostet Zeit, Kraft und vor allem Kohle. Schon eine einzige falsche Entscheidung kann in den Ruin führen – da hilft dann nicht einmal eine Geldspritze von der Bank.
Der Erwerb einer Lizenz für den Anbau medizinischen Marihuanas verändert dagegen das komplette Bild des Spiels. Anstelle von Allerweltskunden versorgt man nur noch kranke Menschen mit diversen Leiden, bei denen das Gras hilft, qualvolle Symptome zu lindern, etwa Schmerzen, Übelkeit, Appetitlosigkeit. Zu behaupten, es gäbe gar keine Stolperfallen mehr, wäre gelogen, dennoch wirkt die gekaufte Medizinhanflizenz wie eine Erlaubnis zum Gelddrucken. Man kommt plötzlich dem Bedarf nicht mehr hinterher.
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