Test - The Inner World: Der letzte Windmönch : Das wichtige Spiel zur richtigen Zeit
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Vom Regen in die Traufe: Eben noch hat Robert die Fantasy-Welt Asposien vor dem bösen Tyrannen gerettet und das Geheimnis um ihre heimlichen Hüter, die Flötennasen, gelüftet, da bahnt sich bereits noch größeres Unheil an. Denn ein extremistischer Führer gibt den Flötennasen die Schuld an allem, was schiefläuft, und schart eine aufgewiegelte Anhängerschaft „besorgter Bürger“ um sich, die Roberts Artgenossen jagen und „ausmerzen“ wollen. Hoppla, ganz schön harter Tobak für ein kindlich anmutendes Abenteuerspiel.
Wie Held Robert im ersten Teil von The Inner World herausfand, ist das Volk der Flötennasen mit ihrem Flötenspiel für den lebensnotwendigen Wind in der Hohlwelt Asposien verantwortlich und hält diese und ihre Bewohner damit überhaupt erst am Leben. Doch eine derartige „Weltverschwörung“ kann Emil, der argwöhnische (An-)Führer Asposiens, nicht tolerieren und lässt daher die Flötennasen systematisch verfolgen und einsperren.
Die Hintergrundgeschichte von The Inner World 2: Der letzte Windmönch nimmt offensichtlichen Bezug auf die Verfolgung und Ermordung der Juden im Dritten Reich und versteht sich angesichts wiedererstarkender rechter Tendenzen überall in der westlichen Welt als Mahnung vor den Folgen von Hass und Hetze. Gerade vor dem aktuellen Hintergrund der Bundestagswahl kann Inner World 2 gar nicht hoch genug dafür gelobt werden, etwas viel zu Seltenes in der Spielelandschaft zu besitzen: eine politische Haltung.
Schmunzeln und schauern
Wer den Vorgänger noch für seine märchenhafte Abenteuergeschichte und den feingeistigen Humor in Erinnerung hat, mag an dieser Stelle die Stirn runzeln ob dieser ungewohnten Ernsthaftigkeit. Doch The Inner World: Der letzte Windmönch schafft auf bewundernswerte Weise den schwierigen Spagat zwischen bitterböser Satire und beschwingter Heiterkeit, wie sie nur wahre Meister ohne Fuß im Fettnapf vollbringen. Gewissermaßen ist Inner World 2 das Adventure-Pendant zu einem beißenden Satire-Comic.
Dieses ständige Wechselspiel zwischen einem Lachen und dem Röcheln, wenn es im Halse stecken bleibt, ist besonders gut veranschaulicht im Logo der „Wutbürger“ Asposiens: einer schwarzen Bretzel auf rot-weißem Grund. Diese offenkundige Verballhornung der Hakenkreuzflagge verführt durch seine Albernheit sofort zum Schmunzeln, das durch seinen menschenverachtenden Kontext gleichzeitig gar nicht anderes kann, als von einem Schauer den Rücken hinunter begleitet zu werden.
Solcherlei Szenen, in denen sich der vermeintlich harmlose Spaß in blankes Entsetzen wandelt, setzt Inner World: Der letzte Windmönch mehrfach auf beinahe schon geniale Weise ein: Als Robert unbedingt noch einen Platz in der eigentlich überfüllten Seilbahn ergattern will, müssen wir dafür sorgen, dass einer der wartenden Passagiere vom Wachmann abgeführt wird, damit wir auf der Warteliste vorrücken. Die Freude über das Auflösen der für Adventures eigentlich typischen Rätselkette verkehrt sich am Ende jedoch auf schockierende Weise in ihr Gegenteil, als uns bewusst wird, dass wir damit einen Artgenossen unfreiwillig als Flötennase enttarnt und zur Deportation ins KZ verdammt haben.
Humor ist, wenn man trotzdem lacht
Wie schon sein Vorgänger ist The Inner World 2 aber vor allem ein Vertreter des hintersinnigen Humors, dessen Charaktere nicht einfach nur mit krächzender Stimme sprechen, um schräg rüberzukommen, sondern in ihrer Sicht auf die Dinge stets ein Stück der Welt entrückt scheinen. Da ist ein Fabrikarbeiter so durch seinen Job vereinsamt, dass er den Greifarm seines Fließbandes für seinen besten Freund und „Ich seh etwas, was du nicht siehst“ für das spannendste Spiel der Welt hält.
Die prinzipientreue Wache ist dermaßen verbohrt in ihrer Weltsicht, dass sie Roberts stichhaltige Argumentation mit den Worten aushebelt: „Verwirr mich nicht mit Fakten, meine Meinung steht fest.“ Und der geschäftstüchtige Ladenbesitzer glaubt, ganz besonders gewieft zu sein, wenn er seine Filialen nur an den entlegensten Orten errichtet, an die sich niemals auch nur eine Menschenseele verirrt – weil es dort ja auch keine Konkurrenz gibt.
Der Humor von Inner World zielt nie auf die platte Schenkelklopf-Pointe oder erschöpft sich gar in einer platten Popkultur-Anspielung, wie sie Fantasy-Spiele dieser Gattung allzu gerne im Dauerfeuer raushauen, sondern ist stets um diese eine Ecke gedacht, von der man vorher gar nicht ahnte, dass sie überhaupt da ist.
Immer um eine Ecke mehr gedacht als erwartet, sind auch die Rätsel. Das ist oftmals gewitzt und kreativ, etwa wenn wir eine Taube als Pfeil verkleiden müssen, um damit unschlagbar im Dart zu werden, oder ein Ratespiel ständig verlieren, weil wir zu leichtgläubig sind, um zu bemerken, dass unser Gegenspieler einfach nur nicht zählen kann. Wie sonst höchstens nur Daedalic schafft es Studio Fizbin auf diese Weise, seinen Humor und seine Geschichte direkt mit seinem Rätseldesign zu einer Einheit zu verbinden, statt sie nebeneinanderher vegetieren zu lassen.
Gelegentlich muss aber auch so weit um die Ecke gedacht werden, dass einem auf dem Weg um sie herum schwindelig werden kann. Inner World gibt sich allerdings sichtlich Mühe, das insgesamt konventionelle „Benutze Schwamm mit Pfütze“-Puzzledesign immer wieder zu variieren. Mal lösen wir Rätsel mit mehreren Charakteren im Team, die sie alleine nicht bewältigt bekämen. Mal hilft uns Roberts Taube Hack, die zwar nicht sprechen kann und auch kein Inventar für eingesammelte Gegenstände zur nicht vorhandenen Hand hat, dafür aber an Orte flattert, die für ihre Mitmenschen außer Reichweite liegen.
Und dann gibt es da noch Roberts Flötenspiel, das offensichtlich aus dem Lucasfilm-Klassiker Loom inspiriert ist. Wenn Robert verschiedene Melodien auf seiner Flötennase spielt, beschwört er damit die Macht des Windes: wirbelt z.B. einen Schwarm Glühwürmchen auf oder weht eine Felsnadel in die Höhe. Dennoch: So ehrbar der Versuch zu werten ist, auf diese Weise eingefahrene Muster aufzubrechen, so fehlt ihm am Ende noch das entscheidende Quäntchen Mut oder einfach nur die Ideen, um vom Hocker zu reißen.
Herr Ober, in meiner Suppe schwimmt eine Wollmaus
Apropos: Möchte man Haare in der Inner-World-Suppe finden, wird man sicherlich fündig. Der Grafikstil möchte vermutlich minimalistisch-charmant rüberkommen, kann dabei aber den Anschein des Dilettantischen nicht ganz ablegen. Ebenso wie die Steuerung, die wie schon im ersten Teil oftmals einen Klick mehr erfordert, als eigentlich nötig wäre. Getestet haben wir ausschließlich die PC-Version. Hoffentlich wird die Konsolensteuerung nicht wieder so furchtbar umständlich wie beim Vorgänger.
Die Spieldauer ist mit etwa 7 Stunden für den Preis vollends vertretbar, dennoch fehlt es dem Spiel an gefühlter „Größe“: Die einzelnen Kapitel sind mit jeweils drei knappen Locations sehr überschaubar strukturiert, und besonders das spektakulär gedachte Finale verliert in seiner schultheaterhaften Inszenierung einiges an Dramatik. Schlussendlich bleibt selbst die teilweise sehr bissig böse Gesellschaftssatire im Gesamtbild für meinen Geschmack zu bieder-versöhnlich, um seine volle Wirkung zu entfalten. Sei's drum. Besser ein paar Haare in der Suppe als eine fade Brühe!
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