Test - Streets of Rage 4 : Eine Legende kehrt zurück!
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Ich arbeite seit mehr als zehn Jahren als Spieleredakteur, und in dieser Zeit hatte ich mit vielen großartigen Spielen zu tun. Aber nichts konnte bei mir eine so kindliche Vorfreude auslösen wie Streets of Rage 4. Seit der Ankündigung fiebere ich dem Titel enorm entgegen. Doch können die großen Erwartungen eines Fanboys überhaupt erfüllt werden?
Seit den frühen 90ern gehören Beat-'em-Ups zu meinen liebsten Spielen. Doch nicht Double Dragon oder Final Fight weckten meine Begeisterung für virtuelle Straßenschlägereien, sondern Streets of Rage 2. Aus purer Neugier wurde das irgendwann mal aus der Videothek geholt, und es packte mich und meinen besten Freund sofort. Irgendwann schlug der Videotheken-Mitarbeiter vor, das Spiel vielleicht einfach mal zu kaufen – so oft hatten wir es schon ausgeliehen ...
Tatsächlich haben wir meist zu zweit gezockt. Gemeinsam die Punks und Schläger aufzumischen hatte diesen Teamaspekt, den wir beide mochten. Sich gegenseitig den Rücken freizuhalten und es gemeinsam zu schaffen, machte mehr Spaß, als allein vorzugehen. Mit Streets of Rage 3 von 1994 war jedoch Schluss mit der Reihe. Im Laufe der Jahre erschienen lediglich Collections mit den drei Klassikern auf verschiedenen Plattformen wie der PS3 oder Steam. Darüber hinaus existiert nur noch ein feines, wenn auch inoffizielles PC-Remake. Ein echter vierter Teil blieb aus.
Entsprechend aus dem Häuschen war ich bei der Ankündigung von Streets of Rage 4 im August 2018, weil ich - wie viele andere auch - nicht mehr mit einer Fortsetzung gerechnet hatte. Nachdem ich im November des gleichen Jahres erstmals Probe spielen konnte, war ich sehr zuversichtlich: Das Projekt schien bei Publisher Dotemu und dem Entwicklergespann Lizardcube und Guard Crush Games in sehr guten Händen zu sein. Doch alle Vorschusslorbeeren bringen bekanntlich nichts, wenn das fertige Spiel nicht abliefert ...
Zurück auf den Straßen
Ich schicke es gleich vorweg: Streets of Rage 4 ist vor allem für Fans gemacht. Seine wahre Faszination entfaltet die Keilerei nur, wenn man die drei Vorgänger kennt und Beat-'em-Ups ganz allgemein schätzt. Die beiden Studios haben Teil 4 mit Anspielungen, witzigen Easter Eggs und liebevollen Details nämlich bis oben hin vollgepackt. Einige sind offensichtlich, andere etwas versteckt – es lohnt sich wirklich, die Augen und auch Ohren offen zu halten.
Das fängt beim Intro mit der Skyline im Hintergrund und dem darüber hinwegscrollenden Text an – beides sorgt gleich für wohlige Retro-Stimmung. In der Charakterauswahl befinden sich mit Axel und Blaze zwei absolute Kultfiguren, die einfach dabei sein müssen. Dazu kommen mit der jungen Cherry und dem Muskelprotz Floyd je ein schneller und ein starker Kämpfer. Nach kurzer Zeit gesellt sich außerdem Adam dazu, der erstmals seit Streets of Rage 1 wieder spielbar ist.
Die ersten Schritte und Schläge auf den Straßen kommen mir gleichsam total vertraut und völlig neu vor. Ich beginne mit Blaze und habe sie gleich wieder im Griff, weil Würfe, Combos und Special Moves fast genauso ablaufen wie früher. Sämtliche Schläge, Tritte und Griffe klappen punktgenau und haben richtig Wucht. Es fühlt sich großartig an, aber dennoch keinesfalls wie eine einfache Kopie der Vorgänger.
Dafür sorgt zunächst der neue Grafikstil. Charaktere, Feinde und Levels wurden von Hand gezeichnet und erscheinen dadurch sehr kunstvoll und geschmeidig. Somit erlebe ich die altbekannten Manöver auf eine neue Art. Ich weiß zwar genau, welche Bewegung gleich kommt, aber trotzdem sehen jeder Kick und jeder Punch frisch und echt sexy aus! Auch bei den anderen Figuren haben die Entwickler genau den richtigen Nerv getroffen: Adam, Cherry und Floyd wurden toll in Szene gesetzt und spielen sich so unterschiedlich wie erstklassig. Bei den Stages wechseln sich ganz neue Umgebungen und Interpretationen früherer Schauplätze ab - diese Mischung geht definitiv auf.
Hauen mit Harmonie
Allerdings stelle ich nach einiger Zeit fest, dass mich altbekannte Taktiken und Bewegungsabläufe allein kaum weiterbringen. Denn das Kampfsystem würzten die Entwickler mit einigen Neuerungen. So prallen Gegner neuerdings vom Bildschirmrand und dem Boden ab, um Juggle-Combos zu ermöglichen. Passend dazu lassen sich viele Schlagfolgen und Würfe abbrechen oder nahtlos miteinander verbinden. Des weiteren kommt ein sogenannter Stern-Move hinzu: ein besonders schwerer Angriff, der ausschließlich durch das Aufsammeln begrenzt verfügbarer Items möglich ist.
Die neu gewonnene Dynamik benötigt etwas Eingewöhnungszeit, macht aber ungeheuren Spaß, weil ich die Gegner dadurch besser bearbeiten kann als je zuvor. Ganze Gruppen durch die Luft zu kloppen und damit den Trefferzähler samt Punktestand hochzutreiben, motiviert wahnsinnig. So nehme ich Galsia, Signal, Donovan und die anderen Bekannten auseinander, die wiederum mit ihren gewohnten Attacken angreifen. Dazwischen finden sich allerdings auch einige neue Gegenspieler, deren Optik und Aktionen sehr gut zur alten Riege passen.
Die Figuren und das Kampfsystem zu beherrschen, ist die große Herausforderung in Streets of Rage 4. Abgesehen von der grundsätzlichen Steuerung verrät das Spiel kaum Kniffe, darum muss ich einige Techniken und Besonderheiten ganz klassisch selbst entdecken und erlernen. Erst wenn alles sitzt, ist es sinnvoll, von Leicht oder Normal auf die Schwierigkeitsstufe Schwer, Heftig oder gar Mania zu stellen.
Die perfekte Combo
Dafür hole ich mir jedoch Verstärkung. Denn genau wie die Vorgänger dreht auch Streets of Rage 4 im Team erst richtig auf. Lokal sind bis zu vier Spieler möglich, aber das ist angesichts der Corona-Krise erstmal nicht machbar. Glücklicherweise gibt es aber einen Online-Koopmodus für zwei Prügelfans. Bereits die erste PS4-Session mit meinem besten Freund dauert rund acht Stunden. Das liegt zum einen daran, dass das Juggle- und Combo-System im Team noch mehr Laune macht als allein. Zusammen fegen wir mehrere Gegner gleichzeitig von der Bildfläche oder decken einen Boss von links und rechts mit Angriffen ein, ohne ihm eine Chance zu lassen.
Zum anderen werden mit den gesammelten Punkten regelmäßig neue Charaktere freigeschaltet. Und die sind der absolute Hit: Dabei handelt es sich um alle Kämpfer aus den drei Vorgängern samt ihrer klassischen Animationen, Angriffe und Soundeffekte. Wir können es anfangs nicht glauben, aber die Haudegen fallen nur aufgrund ihres Retro-Aussehens aus der Reihe.
Spielerisch gelang den Machern dagegen das Kunststück, die alten Figuren nahezu perfekt in das überarbeitete Kampfsystem zu integrieren. Weil nach jedem Level der Charakter gewechselt werden kann, mischen wir munter das Team durch und sorgen damit für Abwechslung. Für noch mehr Oldschool-Gefühle sorgen freischaltbare Grafikfilter, die das Spiel unter anderem in einen coolen 16-Bit-Pixellook hüllen. Zusätzlich kann der Soundtrack auf die Klänge aus Streets of Rage und Streets of Rage 2 umgestellt werden.
Die Version für Xbox Game Pass auf Konsole und PC unterstützt den Retro-Filter derzeit allerdings nicht. Diese Funktion wird bald per Patch nachgeliefert. Zudem war es uns (Stand: 5. Mai) kaum möglich, auf der Xbox One eine Online-Koop-Partie auf die Beine zu stellen. Weder über eine direkte Einladung noch die öffentliche Spielersuche klappte das, stattdessen wurde andauernd ein Verbindungsfehler angezeigt - das muss schnellstmöglich ausgebessert werden.
Mehr als nur Story
Egal mit wem wir spielen und in welchem Level wir gerade sind: Die Action geht immer herrlich direkt, energiegeladen und geschmeidig von der Hand. Heilende Nahrungsmittel wie Apfel oder Hühnchen sind fair verteilt und auch der Einsatz von Waffen wie Schlagrohr, Baseballschläger oder Messer ergibt an einigen Stellen wirklich Sinn.
Dieser erstklassige Spielfluss beeindruckt mich letztendlich am meisten. Bei kaum einem Beat-'em-Up dauert ein Spieldurchlauf wirklich lange. Wenn ich bereits nach dem ersten keine Lust mehr habe, läuft vieles falsch. Doch bleibt der Spaß an wuchtigen Schlägen, fetten Combos und reichlich Punkten ungebrochen, haben die Entwickler genau den richtigen Ton getroffen. Und das ist bei Streets of Rage 4 ganz und gar der Fall!
Immer nur die Story muss ich aber nicht zocken. Da wäre zunächst der aus den Vorgängern bekannte Battle-Modus. Hier darf ich in verschiedenen Arenen mit bis zu drei weiteren menschlichen Spielern raufen. Online treten hingegen auch hier maximal zwei Kämpfer gegeneinander an. Boss-Ansturm hetzt mir nacheinander sämtliche Endgegner auf den Hals, für die ich nur ein Leben habe. Gleiches gilt im Arcade-Modus, bei dem mit einem Continue alle Stages abgeschlossen werden wollen.
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