Special - Jugendmedienschutz-Staatsvertrag : Update: Vorschlag abgelehnt
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Die Wahl zwischen Pest und Cholera
Die finale Version baut auf dem am 1. April 2003 in Kraft getretenen Staatsvertrag auf. Dieser schreibt unter anderem vor, alle Angebote, "die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen", zu blockieren. Bisher lässt der Vertrag die Wahl zwischen einer Zugangskontrolle (zum Beispiel anhand der Ausweisnummer) und einer "Sendezeit" für Websites, sodass beispielsweise Tests zu Spielen mit einer Einstufung "ab 18" erst ab 22:00 Uhr erscheinen dürften. Obwohl der JMStV rechtskräftig ist, sodass eine der beiden Varianten eingesetzt werden muss, hält sich nur der Rundfunk mit der Sendezeit an diese Vorgabe. Bis dato haben die Behörden Verstöße, hauptsächlich im Internet, aber auch nicht geahndet.
Das könnte sich bald ändern. Mit der Novellierung wird es zwei entscheidende Unterschiede geben. Neben der Möglichkeit der Zugangskontrolle und der Sendezeit erlaubt es der neue Staatsvertrag, Seiten nach den Altersstufen "ohne Einschränkung", "ab 6", "ab 12", "ab 16" oder "ab 18" zu kategorisieren. Weil die anderen Varianten nur schwer umsetzbar sind, wird aus der freiwilligen Alternative aber schnell eine Pflicht. Und auch die stellt etliche Websites vor eine große Hürde.
El Dorado für Abmahnanwälte?
Im Impressum - und das ist die zweite große Neuerung - muss ein Jugendschutzbeauftragter für die Seite vermerkt sein. Andernfalls muss der Betreiber mit Abmahnungssummen in Höhe von 1.000 Euro und der Sperrung der Website rechnen. Das Problem: Wendet man sich an eine der Kontrollstellen, um eine Einstufung vornehmen zu lassen, werden schnell mal 4.000 Euro im Jahr fällig. Für Privatpersonen, die Blogs und andere Angebote im Internet betreiben, stehen diese Kosten in keinem Verhältnis.
Zwar erlaubt der neue JMStV auch, dass man seine Website selbst einstuft. Dass das jedoch nicht immer einfach ist, bewies ein Experiment des AK Zensur, bei dem Internet-Angebote vorgestellt wurden und die Besucher über deren Alterstauglichkeit abstimmen konnten. Von den insgesamt 12.000 abgegebenen Stimmen lagen 80 Prozent mit ihrer Einschätzung daneben, ermittelte der Arbeitskreis in Zusammenarbeit mit dem Medienpädagogen Jürgen Ertelt. Die Folgen wären verheerend: Bei falscher Einstufung droht ein Bußgeld von bis zu 500.000 Euro und die Sperrung der Website.
Internet ist nicht gleich Rundfunk
Und es gibt noch ein weiteres Problem: Die Klassifizierung in die jeweiligen Altersstufen muss im Zusammenspiel mit einem "geeigneten Jugendschutz-System" erfolgen, wie es der JMStV vorschreibt. Aufgrund des breiten Angebots einer Website wie Gameswelt, das von Spielen für alle Altersklassen bis zu Spielen für Erwachsene reicht, müsste jede einzelne Seite passend eingestuft werden. Zwar könnte auch die gesamte Seite "ab 18" eingestuft werden, wegen der Blockierung durch das Jugendschutzprogramm würde die Reichweite aber erheblich in Mitleidenschaft gezogen werden. Bei einer Nichteinstufung soll die Seite gar komplett blockiert werden. Allerdings gibt es entsprechende Programme noch gar nicht und diese sind bis zum geplanten Inkrafttreten des neuen Staatsvertrages am 1. Januar 2011 auch nicht in Sicht. Erst für Mitte 2011 wird damit gerechnet.
Keine der Methoden ist in Zeiten eines internationalen Internets, in dem jede Person überall auf der Welt Inhalte und Angebote erstellen kann, wirklich praktikabel. Viel mehr wird versucht, das Internet in das enge Regelkorsett des Rundfunks zu zwängen. Anders als die Werbung proklamiert, kann aber nicht alles passend gemacht werden. Ob der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag in der aktuell diskutierten Form aber überhaupt verabschiedet wird, bleibt angesichts des massiven Widerstands noch abzuwarten. Und selbst wenn, ist ebenfalls noch nicht abzusehen, wie aktiv die Jugendschutzbehörden den Vertrag im Internet durchsetzen werden. Bisher sahen sie von Konsequenzen ab. Ändert sich das jedoch, kratzt der Staat nicht nur an der deutschen Internet-Wirtschaft, sondern auch an der Meinungsfreiheit der Blogs und privaten Websites.
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