Test - Sable : Der legitime Erbe von Journey
- PC
- One
Die Leere einer Wüste kann mehr Faszination bergen, als man zuerst vermuten würde. Jedenfalls wenn es nach den beiden Schöpfern des Action-Adventures Sable geht. Ähnlich wie beim PlayStation-3-Kultspiel Journey ist der Weg das Ziel. Je weiter man reist, desto mehr lernt man, jedes Detail wertzuschätzen. Und so verwandelt sich die vermeintliche Schwäche eines Indie-Spiels in dessen Stärke.
Kann man tatsächlich von einem Action-Adventure sprechen, wenn es weder Monster zu bekämpfen noch entsprechende Waffen gibt? Pazifismus in einem Videospiel entbehrt nicht zwingend aufregender Szenen, aber Action ist womöglich das falsche Präfix in der Genrebezeichnung, der Sable unterliegt. Vielleicht sollte man lieber von einem Reise-Abenteuer sprechen.
Reisen ist nämlich die Hauptaufgabe des kleinen Jungen Sable, der als Protagonist einen großen Landstrich erforscht. Er kraxelt beinahe jede beliebige Wand hinauf, solange es seine Ausdauer erlaubt, springt beherzt von einem abstrakten Bau zum nächsten oder schwebt dank einer Antigravitationsblase sanft zu Boden. Nur kämpfen muss er nie. Es gibt keine echten Gefahren, kein Game Over und keine Misserfolge. Nur Neugierde, die befriedigt werden will.
Auf der Suche nach dem Sinn seines eigenen Lebens (und einer Anzahl Masken) fliegt Sable auf einem schwebenden Fahrzeug, das einem Motorrad ähnelt, durch eine große Wüste, die abseits eines von Palmen überwucherten Oasen-Abschnitts trocken, trostlos und leer erscheint. Dabei entdeckt er Spuren alter Zivilisationen, Artefakte wuchernden Lebens längst vergangener Zeiten und neue Technologie.
Die Kunst des Minimalismus
Sables Odyssee wirkt auf den ersten Blick langatmig. Völlig gleich, welche Richtung man einschlägt, man sieht minutenlang nichts als trockenen Boden, der - wie jedes andere Element in diesem Spiel - aufgrund von Cel-Shading und Line-Shading-Techniken die Erscheinung eines Zeichentrickfilms pflegt. Dazu tragen auch Sables verkürzte Animatioinsphasen bei, die besonders beim Rennen an Animes der 80er erinnern. Abseits einiger Steine und Sanderhebungen, die ein Geschwindigkeitsgefühl vermitteln sollen, sind keine Details in der Landschaft vorgesehen, daher kommt einem selbst das winzige, eingekesselte Startgebiet, in welchem man die Regeln des Spiels lernt, ausufernd und leer vor.
Doch die einfarbigen Flächen wissen zu täuschen. Sie verstecken Höhlen, alte Tempel und mystische Sehenswürdigkeiten, die mithilfe von Schaltern oder Torbögen aktiviert werden wollen. Das sind allerhand Reiseziele, deren Entdeckung man erst erlernen muss. Einige wenige NPCs, die sich in Lagern aufhalten, geben zwar Hinweise oder starten ganze Questreihen, aber abseits vager Beschreibungen und einem gelegentlich eingeblendeten Questmarker stehen keinerlei Hilfsmittel zur Verfügung. Auch die Bedeutung einer Quest unterliegt einem gewissen Interpretationsspielraum. Der Junge spricht wenig, reflektiert allerdings viele seiner Handlungen in Gedanken, was man anhand vieler Textzeilen in einer zweiten Schriftart nachvollziehen kann. So lernt man viel über die Wahrnehmung des Helden und beginnt, die eigene Sichtweise daran anzupassen.
Das hilft natürlich beim Interpretieren der Handlung, nicht aber beim Forschen. Besondere Orte muss man buchstäblich mit den eigenen Augen finden, ja sogar ihre topografischen Hinweise lesen lernen. Wo kann Sable hinaufklettern, ohne dass ihm die Puste ausgeht? Welche Lücke lässt einen großen Sprung zu? Welcher Überhang ist hoch genug, um einen zielführenden Gleitflug per Antigravitationsblase zu ermöglichen? Das alles sind Anfangs nur Schätzwerte. Dinge, die man ausprobieren muss.
Sie sind nicht in Stein gemeißelt. Antike Ausrüstung, die man in Schatztruhen findet – etwa gewisse Hosen – erhöhen seine Effizienz beim Klettern. Aber unterm Strich lebt dieses Spiel vom Forschen und Ausprobieren in Narrenfreiheit. Da es nur wenige aktive Aktionen gibt und nichts wirklich schiefgehen kann, gibt es auch keine sinnlosen Handlungen oder echte Fehlschläge. Dafür aber viel Faszination in der Fremde, deren flüssiger Tag- und Nachtwechsel ein interessantes Farbspiel initiiert. Diese Wüste mag tot sein, denn abseits von ein paar niederen Tieren wie etwa Käfern, sammelbaren Würmern und den wenigen menschlichen Bewohnen, denen man begegnet, bewegt sich nichts. Und doch lebt sie, weil Licht und Schatten ihr fast im Sekundentakt neue Facetten einflößen. Es ist faszinierend, wie viel man in der Leere der Wüste entdecken kann, wenn man nur richtig hinschaut.
Der Weg ist das Ziel
Ein Großteil der Spielzeit besteht somit aus reiner Fortbewegung. Heißt im Klartext reisen zu unbekannten Zielen in nicht abschätzbarer Entfernung. Genau deswegen ist es sinnvoll, stets genug Geld für Fahrzeug-Upgrades zusammenzukratzen, die das Handling vereinfachen. Andernfalls gerät man in gewissen Situationen sinnlos ins Schleudern, obwohl Geschicklichkeit beim Fahren keine primäre Aufgabe des Spiels darstellt. Das Fahrzeug soll lediglich die Reisen verkürzen, wobei eine Schnellreise-Funktion zum Camp unnötiges Backtracking größtenteils verhindert.
Ähnlich wie bei Zelda: Breath of the Wild findet man den ein oder anderen Ort eher zufällig, lässt sich dann aber von ihm fesseln, weil man herausfinden will, welche Geheimnisse er birgt. Rätselhafte Türme, eine zerfallene Brücke, eine gigantische Industrieanlage voller Röhren und Kessel, die von außen an einen überdimensionierten Star-Wars-Sandcrawler erinnert. Keiner dieser Orte gibt seine Geheimnisse von selbst preis. Man muss genau hinschauen und suchen. Nach Schaltern, nach erklimmbaren Vorsprüngen oder nach Mini-Rätseln mit kryptischen Hinweisen.
Ein schönes Beispiel für Letzteres wäre ein Sockel vor einem gigantischen Steingesicht. Das Gesicht öffnet unter gewissen Umständen den Pfad zu einer Schatztruhe. Aber nur dann, wenn man den Moment abwartet, in dem zwei nebenan liegende Statuen in Kampfpose in einem Winkel des Sonnenlichts stehen, der es so aussehen lässt, also ob deren Schatten Schwerter kreuzten. Eine einzige kryptische Zeile muss als Hinweis dafür ausreichen.
Sables Puzzles sind nie besonders tiefgehend oder verschachtelt. Besser so, denn im umgekehrten Fall müsste das Spiel mehr direkte Hinweise geben und die gesamte Stimmung würde kippen. Wer nach komplexen Zusammenhängen sucht, wird sie also nicht finden, denn den Schöpfern von Sable geht es nicht um hochtrabendes Gameplay. Man soll den kleinen Jungen begleiten und das Erlebte durch seine Augen verfolgen, die Einsamkeit, das Wachsen an der Herausforderung, das buchstäbliche Erwachsenwerden. Sable ist mehr Stimmungsbild als Geschicklichkeitstest.
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Schade, dass die Technik dem Vorhaben manchmal Streiche spielt. Nicht selten wandert die Kamera durch Objekte hindurch, also durch Dünen oder Gemäuer, weil sie dem Spieler einen eindeutigen Hinweis zu einem Rätsel vermitteln will. Andermal verdeckt der aufgewirbelte Staub des Schwebe-Bikes die komplette Kamerasicht bei einer Talfahrt. Auch Glitches begegnet man öfter als die gutmütige Kulanz des Durchschnittsspielers toleriert. Schon ärgerlich, wenn man beim nächsten Camp in geparkten Fahrzeugen hängenbleibt. Oder durch eine solide Plattform fällt. Und nicht zuletzt wäre es schön gewesen, wenn entfernte Objekte (zum Beispiel Sträucher) dem voll ausmodellierten Gegenstück stärker ähnelten. Beim Level-of-Detail-Übergang meint man manchmal, das verwendete Objekt sei gegen ein ganz anderes ausgetauscht worden. Klingt nach einer Kleinigkeit, ist aber ein schwerwiegender Faktor, wenn es um die Gesamtstimmung geht.
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