Test - Humankind : Angriff auf Civilization
- PC
Seit Jahren dominiert Civilization das 4X-Globalstrategie-Genre, und genau das soll sich jetzt ändern. Humankind heißt Amplitudes Antwort auf den Genre-König. Die Macher von Endless Space und Endless Legends haben sich zum Ziel gesetzt, mit cleverer Innovation nicht lediglich einen weiteren Civ-Klon abzuliefern, sondern das Vorbild sogar zu überflügeln.
Nur noch eine Runde, dann höre ich auf, gehe ins Bett und stehe pünktlich und vor allem ausgeschlafen am nächsten Morgen wieder auf. Moment mal, die Byzantiner siedeln in meinem Tal? Naja, eine Runde noch, dann kann ich die aggressive Siedelei vielleicht im Keim ersticken. Ach Mist, ich wollte ja auch noch die Schrift erforschen und meinem Volk das Lesen und Schreiben beibringen. Das braucht sieben Runden? Egal, die sind ja schnell gespielt ...
Wer die beschriebenen Szenen nicht kennt, der hat noch nie ein Globalstrategie-Spiel wie Civilization gespielt. Alle anderen kennen die treibende Sucht, die immerzu nach der nächsten Runde, dem nächsten Spielzug und der nächsten Herausforderung verlangt. Die dafür sorgt, dass ansonsten disziplinierte Ins-Bett-Geher zu übermüdeten Schlafmützen werden, die ihren Tag der Nacht mitsamt ihren unermüdlich drängenden nächsten Runden vermachen.
Mit Humankind liefert Amplitude (Endless Space) genau das. Rundenweise wird eine Zivilisation durch die komplette Menschheitsgeschichte gesteuert, von der Steinzeit bis über die Gegenwart hinaus. Dabei verwalten wir unsere Städte, führen Armeen in den Krieg gegen andere Völker, formieren Religionen und erforschen mächtige Technologien. Erstmals seit etlichen Jahren tritt mit Humankind endlich mal wieder ein Spiel in Konkurrenz zum Genre-Platzhirschen Civilization und wagt den ein oder anderen innovativen Schritt aus dessen großem Schatten.
Mein Pharao, der preußisch-babylonische Holländer
Im Zentrum eines jeden 4X-Globalstrategiespiels steht natürlich stets die eigene Zivilisation und ihr Weg durch die Epochen. Schon an dieser Stelle geht Humankind einen ganz anderen Weg als Civ und markiert gleichzeitig seinen größten Unterschied zum Genre-König. Zwar wählen wir anfangs eine Zivilisation und beginnen beispielsweise mit den Phöniziern in der Steinzeit, doch nach jedem Epochenaufstieg stellt uns das Spiel erneut vor die Wahl, mit welchesm Volk wir von nun an weiterspielen wollen.
Das klingt erstmal völlig kurios und geschichtlich absolut bescheuert, schließlich sind Völker nicht zuletzt in sich mit einer gemeinsamen, kontinuierlichen Identität verwoben. Spielerisch ist diese Innovation aber eindeutig spannender als Civs Weg, der uns mit Kaiser Trajan aus der Antike bis ins Jahr 2080 und darüber hinaus zocken lässt.
Durch den Wechsel des Volkes eröffnen sich in Humankind deutlich flexiblere Wege zum Sieg. Während man in Civ mit der Wahl des Volkes die Ausrichtung auf Kultur, Wissenschaft, Religion oder Militär bereits zu Beginn des Spiels endgültig trifft, erlaubt Humankind den Fokus immer genau darauf zu legen, was unserem Volk gerade fehlt. Sind wir beispielsweise in der Wissenschaft führend, dann lohnt sich ein Kurswechsel zur nächsten Epoche auf ein militärisches Volk, wenn wir in unserem Forschungswahn die drohenden Gefahren vor den eigenen Stadtmauern zu lange ignoriert haben. So überwinden wir kurzerhand Defizite und erleben konstanten, befriedigenden Fortschritt in fast allen Dimensionen des Spiels.
Diesen Fortschritt braucht es auch, denn Humankind kennt nur eine Siegbedingung in Form von Ruhmpunkten. Die erhält man zwar durch beliebige Herangehensweisen, zum Beispiel durch das Erreichen kriegerischer Ziele oder wissenschaftlicher Durchbrüche, letztlich läuft aber jeder dieser Wege stets auf die Ruhmpunkte hinaus. Daher kommt nicht so recht das Gefühl eines mehrgleisigen Wettrennens mit anderen Völkern auf, wie es Civ zu vermitteln weiß. Vielmehr artet das Spiel zu einer Hatz nach dem passenden Volk bei Epochenwechsel aus, was vor allem in den dadurch ziemlich stressig-frustrierenden Online-Matches bemerkbar wird. Wer online nämlich als erster in eine neue Epoche wechselt, der darf auch als erster ein neues Volk wählen und kann allen anderen dieses Volk wegschnappen.
Die jeweiligen Ausrichtungen auf Kultur, Krieg, Wissenschaft und Co. fallen außerdem recht indifferent aus, kein Wunder - immerhin will Humankind ja, dass wir unser Volk wie mit Puzzlebausteinen in jeder Epoche anders ausrichten. Zwar verändern unsere Entscheidungen einige wichtige Parameter wie Ausbildungszeiten für Soldaten oder Kasernenbauzeiten, aber wirtschaftliche Faktoren werden vom Spiel dabei nur in völlig undurchsichtigen Zahlenspielen dargestellt. Ob wir nun +1 auf Landwirtschaft haben oder nicht, zu keiner Zeit lässt Humankind erkennen, was diese Werte nun genau bewirken.
Blütezeiten für Stadt- und Zivilisationsmanager
Unsere Siedlungen wachsen über die Epochen hinweg zu immer größeren Städten heran. Sind die Städte einmal auf ein gehobenes Maß angewachsen, dürfen wir sie in Humankind zu Metropolen zusammenfassen, die dann deutlich mehr Umsatz und Ressourcen generieren. Auch auf dem Spielfeld machen die Städte deutlich mehr her als in Civ, denn sie wachsen erheblich mehr in die Breite und sehen um einiges detailreicher aus. Das dürfte besonders Stadtplaner erfreuen, die sich schon bei der Stadtgründung eingehend Gedanken machen, wie sie die Karte mit ihren Metropolen zukleistern wollen.
Wachsen die Städte einmal an, dann erhält auch die Gesellschaft spürbaren Rückenwind. Dann heißt es Erlässe in liebevoll gestalteten und sehr angenehm vertonten Einblendungen zu verabschieden, mit denen die bürgerliche Gesellschaft beispielsweise in Richtung Bildung gedrängt oder ein Söldnerheer in Berufssoldaten umstrukturiert wird. Technologien wie das Rad, Stadtbewässerung oder (später im Spiel) Solaranlagen erleichtern dem Volk den Fortschritt über die Epochen und eine florierende Wirtschaft erlaubt waghalsige Investitionen oder konservatives Sparen für Zeiten der Not.
Humankind lässt in Sachen Fortschrittsmanagement wirklich kaum einen Wunsch offen. Die Menüführung dürfte beim Managen zwar gerne etwas kompakter und zielführender ausfallen, doch über diesen Makel ist man schnell hinweg, wenn die Kassen voll sind, die Armeen riesig und die Bürger bereits am Raketentreibstoff forschen. Auch in Sachen Erlässen und Zivilisationsfortschritt kränkelt Humankind erneut an seltsam gewählten, unverständlichen Werten. Wirklich spürbar sind die Erlässe nämlich zumeist erst, wenn wir sie mit einer Technologie unterfüttern. Es reicht beispielsweise nicht einfach nur per Erlass auf Kulturbetrieb zu drängen, wenn wir nicht auch ein Theater bauen und die Schrift erforschen. Ärgerlich ist dann nur, dass Humankind seinem Spieler diese Verkettung nicht aufzeigt.
Leider hakt es auch noch immer ein wenig in Sachen Balance, ein Problem, das auch die Beta von Humankind seinerzeit schon hatte. Sind wir einmal erfolgreich, dann multipliziert sich der erwirtschaftete Erfolg so dermaßen, dass es beinahe egal wird, wie wir weiter vorgehen - der Sieg ist uns so oder so gewiss. Erst ab dem zweithöchsten Schwierigkeitsgrad war die KI dann so ausgestattet, dass sie mit unserem Fortschritt mithalten konnte - kein sonderlich eleganter Weg, um Balance in einem Spiel herzustellen.
Außerdem ist Humankind in der letzten Epoche der Gegenwart ziemlich flott vorbei. Da das voreingestellte Rundenlimit bei 300 Runden liegt, verbringt man die wenigste Zeit in der letzten, dafür aber spannendsten Epoche. Immerhin arbeitet man ja vorher über etliche Runden hinweg darauf hin, endlich mit Atomsprengkörpern, Astrolasern und Mech-Anzügen über den Gegner herzufallen. Wer all das genießen möchte und gerne im Triumph badet, der sollte zu Spielbeginn das Rundenlimit deutlich hochschrauben.
Endlich Ordnung auf dem Spielfeld!
Wer kennt es nicht: Es ist das Jahr 2128 und das Ende einer Partie Civ nähert sich. Die Karte ist mit Armeen vollgestopft und eine Runde scheint sich wie Kaugummi zu ziehen, weil wir jede der Armeen einzeln managen müssen. Das, meine lieben Strategen, gehört jetzt der Vergangenheit an - zumindest in Humankind. Armeen bewegen sich nämlich in herrlicher Ordnung gesammelt in einer Spielfigur - wenn wir denn so wollen.
Erst wenn eine Schlacht droht, fächern die einzelnen Truppenverbände auf und lassen sich einzeln steuern. Das sorgt nicht nur für mehr Übersicht, sondern auch für diversere Armeen und insgesamt deutlich spannendere Kämpfe. Wir packen unsere Bogenschützen in die hintere Reihe, vorne stehen Pikeniere den feindlichen Berittenen gegenüber – die wiederum flankieren wir mit Schwertkämpfern. Man merkt, dass Amplitudes Fokus auf ein dynamischeres Spielerlebnis vor allem in den Kämpfen Anwendung gefunden hat – eine Stärke die das Entwicklerteam schon in Endless Legends gezeigt hat und nun wieder bravourös beweist.
In Kombination mit Humankinds Terrain-System, das im Vergleich zu Civ echte Höhenunterschiede mit in das Gameplay einbezieht, eröffnen sich außerdem ganz neue taktische Optionen. Bauen wir beispielsweise unsere Stadt auf einem Berg, können wir bereits bei der Stadtgründung Engpässe oder Schluchten abschneiden und für spätere militärische Zwecke nutzbar machen. Armeen sind zudem um einiges effektiver, wenn sie bergab auf ihre Ziele anlegen oder ihnen entgegenpreschen. Eines ist jedenfalls klar, Obi-Wan Kenobi wäre auf Humankinds Interpretation des High Grounds definitiv stolz.
Aber was fehlt dann noch?
An einigen Ecken hakt es bei Humankind trotz all der klugen Ideen noch ein wenig. Schon nach den ersten 60-70 Runden dürften 4X-Veteranen bemerken, dass es mit der Balance in Humankind nicht weit her ist. Die Schwierigkeitsgrade bilden nicht die tatsächliche Herausforderung des Spiels ab, da sie zu stark von Faktoren wie Terrain, Siedlungsort und Barbaren-Invasionen abhängen.
Erwischt man dann zufällig eine sehr gute Startposition mit reichhaltigen Ressourcen-Vorkommen, wird Humankind deutlich zu leicht, ganz egal auf welchem Schwierigkeitsgrad. Treffen wir andererseits früh auf Barbaren oder aggressive Völker, dann kann es selbst auf niedrigen Schwierigkeitsgraden zu frühen und unüberwindbaren Defiziten in unserer Entwicklung kommen. Das ist nicht nur ärgerlich, sondern besonders für Einsteiger in das 4X-Genre demotivierend.
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Auch in Sachen KI gewinnt Humankind wohl keine Medaille mehr. Die Computer-Armeen sind viel zu aggressiv, stürmen gerne mit dem Kopf in Festungsmauern und lassen sich von guten Strategen leicht ausmanövrieren. Sie nutzen zwar gelegentlich Terrain-Vorteile, nehmen Nachteile in der Position aber auch willentlich in Kauf. Civ-Veteranen dürften zumindest die Defizite der KI aber nur mit einem müden Lächeln aufnehmen, immerhin war man im jüngsten sechsten Teil der Civ-Reihe froh, wenn der Computer überhaupt irgendwas auf die Kette bekam - so arg verdattert ist Humankinds KI definitiv nicht.
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