Test - S.T.A.L.K.E.R. 2 - Heart of Chornobyl : Test: Die Spielwelt ist der Star des Sequels
- PC
- XSX
Eine mehr als siebenjährige Odyssee ist zu Ende gegangen. Dauerte das erste S.T.A.L.K.E.R. aufgrund der damaligen Überambitionierung von GSC Game World eine gefühlte Ewigkeit, so sind die Gründe diesmal deutlich greifbarer im Angriff Russlands auf die Ukraine verwurzelt. Das Studio mit Hauptsitz in Kyiv wurde zumindest teilweise verlagert, nicht wenige Mitarbeiter beschlossen, sich der Verteidigung ihres Landes anzuschließen. Keine einfachen Umstände für die Entwicklung eines potentiellen AAA-Titels mit einem derartigen Spielumfang, der folgerichtig mehrfach verschoben wurde. Nun ist das Endergebnis endlich da und unsere Spannung war groß.
Schon der Auftakt von S.T.A.L.K.E.R. 2 - Heart of Chornobyl lehrt uns eine gewisse Demut. Der erste flinke Mutant beißt uns kräftig in den Hintern, der zweite zeigt uns, dass Flucht durchaus eine sinnvolle Option sein kann. Menschliche Gegner beweisen ihre Treffsicherheit und wissen, wie man Feinde flankiert, umgeht und mit Granaten aus der Deckung treibt. Wir erleben, dass Anomalien manchmal tödlich sein können und dass mit Verstrahlung oder blutenden Wunden nicht zu spaßen ist. Und dass man nicht mit gezogener Waffe in eine Siedlung rennen sollte.
Das Abenteuer in der verstrahlten Zone ist kein Spaziergang, das wird schnell klar und das ist auch gut so. Mit spärlicher, halb kaputter Ausrüstung geht es ums nackte Überleben und darum, niemals leichtsinnig zu werden. Manchmal steht man einfach nur da und versucht verzweifelt herauszufinden, was die Entwickler eigentlich von einem wollen und wie man die jeweilige Situation lösen soll. Gut, man kann verschiedene Schwierigkeitsgrade wählen und den Survival-Trip bei Bedarf etwas vereinfachen, aber das Spiel selbst wird dadurch nicht wirklich leicht und das fängt schon bei der Abnutzung der Ausrüstung und den immensen Reparaturkosten an.
Egal, nach den ersten Fehlschlägen und einer wachsenden Zahl von Toden kommt man langsam in den Flow. Eines wird schnell klar, den Titel Survival-Horror hat sich S.T.A.L.K.E.R. 2 mehr als verdient. Überleben ist eine Kunst und der Horror, wenn irgendwo im Gebüsch ein Geräusch oder ein Grunzen zu hören ist oder sich der Himmel rot färbt, wird schnell zur alltäglichen Realität. Schnell überlegt man sich, ob man sich wirklich auf jede Konfrontation einlässt, zumal Kämpfe Ressourcen kosten und die Ausrüstung verschleißen, oder ob man nicht lieber einen großen Bogen um verdächtige Gebiete macht. Wer den Superhelden markieren und sich im Run&Gun-Stil durch die Zone ballern will, ist hier falsch.
Jedenfalls schlüpft ihr im Spiel in die Rolle von Skif, einem der vielen Stalker, die in der atomar verseuchten Zone rund um das ehemalige Kernkraftwerk Chornobyl ihr Glück suchen. Eine Charaktererstellung gibt es nicht, aber das ist auch egal, denn ihr bekommt Skif sowieso nie zu Gesicht - First Person eben. Außerdem soll das wohl auch verdeutlichen, dass Skif im Grunde ein Niemand ist, nur einer von vielen Glücksrittern in der Zone. Und so werdet ihr ohne großes Wenn und Aber mit minimalster Ausrüstung in die Sperrzone geworfen, erhaltet über Funk ein paar Anweisungen und zu allem Überfluss wird euch auch noch das letzte bisschen Ausrüstung, darunter ein wertvoller Scanner, abgenommen.
Zum Glück trefft ihr auf einen netten Lebensretter und euer Abenteuer beginnt so richtig, nachdem ihr die erste Siedlung erreicht und die ersten Auftraggeber und Fraktionen im Spiel kennengelernt habt. Die Hauptstory braucht etwas Zeit, um in Gang zu kommen, hält aber einige Überraschungen parat. Dazu gibt es jede Menge Nebenquests, die teilweise ziemlich knifflig sind, und Aufträge, mit denen ihr einfach nur Geld verdient, um eure Ausrüstung zu reparieren, zu verbessern oder Munition und Nahrung zu kaufen.
In der Zone gibt es jede Menge menschliches Leben, das in Fraktionen und maroden Siedlungen organisiert ist. Die Leute sind sehr misstrauisch und stehen Fremden oft ablehnend gegenüber. Andere Stalker, Banditen, sogenannte Sicherheitsfirmen (auch Söldner genannt) – mit solchen Leuten möchte man sich lieber nicht anlegen. Auch wenn ihr Aufträge für die Fraktionen erledigen könnt, so richtig zugehörig oder gar sicher fühlt man sich nie. Diese Form der Einsamkeit ist durchaus ein prägender Aspekt des Spiels. Entscheidungen mit Konsequenzen gibt es zuhauf, wobei kein moralischer Vorschlaghammer gezogen wird - in der Zone gibt es schlicht keine Moral, jeder ist sich selbst der nächste.
Man muss sich auf das recht ungewohnte und leider oft altbackene Spieldesign einlassen, das einen nicht zu jeder Sekunde an die Hand nimmt. Es gibt zwar Questmarker, Kartenmarkierungen und weitere Annehmlichkeiten, aber man muss sich trotzdem oft selbst überlegen, was zu tun ist. Auch im Kampf muss man einige schmerzhafte Lektionen lernen.
Schade ist, dass der Spielfluss immer wieder unterbrochen wird, zum Beispiel durch den Blick auf die Karte oder euren PDA. Vor allem das Inventar und das Ausrüstungsmanagement sind da ziemlich nervig. Einige wichtige Optionen wie Blutungen stillen, Heilung oder Essen sind zwar auf Hotkeys gelegt, aber ihr müsst trotzdem oft ins Inventar schauen. Außerdem gibt es eine Begrenzung der Traglast, was sich ziemlich stark auf die Bewegungsgeschwindigkeit und Mobilität auswirkt. Das Interface-Design ist alles andere als "modern", das Spiel wirkt beim Mikromanagement altbacken und das Inventar könnte glatt aus dem ersten Teil der Reihe stammen.
GSC Game World meistert dafür die Klaviatur eines Survival-Shooters mit Bravour, hat aber natürlich auch einige Schwachstellen. Der Vorteil ist, dass man immer unter Strom steht, weil man nie weiß, was als Nächstes passiert. Man blickt immer auf die Vorräte, checkt, wie weit es noch bis zur nächsten Basis ist, überprüft den Zustand der Ausrüstung und hat meistens auch noch ein Auge auf den Geldbeutel. Zu den Standard-Ausrüstungsgegenständen gehören Nahrung, Munition, Wundverbände, Medipacks und Antistrahlungsmittel. Zum Glück hat GSC es nicht übertrieben und ihr müsst nicht selbst jagen, um euch mit Nahrung, Munition und so weiter zu versorgen.
Der Nachteil ist, dass die Survival-Aspekte mitunter ziemlich mühsam werden können. Die Tragkraft schränkt euch beispielsweise stark ein. Schnellreisen ist nur zwischen einigen Siedlungen möglich und auch noch teuer. Außerdem ist eure Ausdauer nach relativ kurzer Entfernung erschöpft. Wenn ihr nicht im Schritttempo die langen Wege absolvieren wollt, kostet euch das viel Zeit. Dadurch ist es schwieriger, durch den Verkauf von Gegenständen die finanzielle Lage zu verbessern. Auch die ständige Sorge um Nahrung und Schlaf kann auf Dauer ermüdend sein und den Spielfluss beeinträchtigen.
S.T.A.L.K.E.R. 2 – Heart of Chornobyl ist vor allem dann am stärksten, wenn ihr in der Wildnis unterwegs seid und eure Missionen absolviert (auch wenn die nicht immer einfallsreich sind) oder wenn ihr einfach losstiefelt und die zahlreichen Points of Interest unter die Lupe nehmt. Das Spiel erinnert ein wenig an die alten Tugenden von Skyrim. Wenn ihr am Horizont ein Gebäude oder etwas anderes seht, kann es sein, dass sich dort weitere Mutanten oder mehr oder weniger reiche Beute befinden. Aber auch versteckte Händler oder die Verstecke anderer Stalker sind immer wieder eine tolle Sache. Besonders cool ist, dass die Verstecke anderer Stalker immer wieder dynamisch und zufällig in der Spielwelt auftauchen.
Die Kämpfe und Feuergefechte machen richtig Spaß, vor allem, wenn ihr die Ausrüstung modifiziert und verbessert – was später im Spiel auch dringend notwendig ist. GSC setzt nämlich nicht auf Level-Fortschritte und Rollenspielfertigkeiten, sondern die Ausrüstung und eure eigenen spielerischen Fähigkeiten sind das A und O. Ihr seid also immer auf der Suche nach besserer Ausrüstung, Waffenaufsätzen, Rüstungsverbesserungen und natürlich Artefakten. Die haben aber meistens nicht nur Vorteile, sondern auch heftige Nachteile. Ihr müsst dann selbst entscheiden, was davon für euch wichtiger ist.
Die Atmosphäre in der offenen Spielwelt, die in verschiedene Areale aufgeteilt ist, ist wirklich beeindruckend. Der ständige Wechsel der Tageszeiten und Wetterbedingungen ist wirklich schön anzusehen. Wenn ein Gewitter über die Zone zieht und Blitze neben euch einschlagen (und euch mit etwas Pech sogar treffen) oder ihr schleunigst Schutz suchen müsst, weil eine tödliche Strahlenemission über euch hinwegzieht, ist das zwar nicht immer angenehm, aber die Zone ist trotzdem nie langweilig - obwohl sie weitläufig und manchmal sehr öde und verlassen ist. GSC hat sich richtig entschieden, die Spielwelt nicht zu überfrachten. So kann sie atmen und ihr könnt die Stille und Einsamkeit auf euch wirken lassen.
Sehr schön ist, dass die Spielwelt trotz aller Ödnis immer noch lebendig wirkt. Neben den erwähnten, dynamisch auftauchenden Stalker-Verstecken passiert immer wieder etwas in der Spielwelt. So ziehen Mutanten und Stalker durch die Zone, liefern sich untereinander Gefechte und auch die Anomalien sind nicht unbedingt statisch auf bestimmte Stellen beschränkt. Das A-Life-2.0-System stellt ein umfassendes Lebensumfeld dar, in dem auch die Aktionen des Spielers einen direkten Einfluss auf die Zone haben. Das macht sich durchaus bemerkbar.
Und dann sind da noch die einfallsreichen Anomalien. Ein Mohnfeld, dass euch "high" werden lässt und nach zu langem Aufenthalt einfach tötet. Ein pulsierendes Energiefeld, dass euch in sein Inneres zieht und gnadenlos vernichtet. Elektrizität, Gift, Feuer - oder einfach nur Splitterfelder, die euch blutende Wunden verpassen. Dazu Mutationen, manchmal schnell und aggressiv, manchmal mit Telepathie, manchmal mit Telekinese. Geil.
Technisch gesehen ist S.T.A.L.K.E.R. 2 – Heart of Chornobyl eher durchwachsen. Die Umgebungen in der Unreal Engine 5 Grafik sind fast schon traumhaft schön in ihrer Dystopie, auch wenn es nicht gerade viel Abwechslung gibt. Dafür wirkt die Spielwelt sehr natürlich und echt und wurde nicht einfach per Zufallsgenerator erstellt. Auch die Gebäude und Innenräume sehen gut aus. Die Darstellung der NPCs hingegen könnte deutlich besser sein. Die Animationen wirken etwas steif und vor allem in den Dialogen fühlt man sich an Starfield oder andere Bethesda-Titel erinnert und das nicht in positivem Sinne. Die Figuren sind statisch, ihre Mimik wirkt hölzern und die Inszenierung ist nicht wirklich überzeugend. Klar, das erfüllt seinen Zweck, aber schön ist anders.
Auch beim Feinschliff des Spiels gibt es noch Luft nach oben. Das Balancing wirkt in Ordnung und halbwegs ausgewogen, die Wirtschaft insbesondere bei den Reparaturkosten hingegen etwas unfair, zumal Reparaturen nicht selten teurer werden als ein Neukauf. Bugs sind ohne Zweifel noch vorhanden. Unsere Testversion, die wir etwa eine Woche vor dem Release bekamen, hat zwar ein paar Updates und Patches bekommen, und heute Morgen kam sogar noch ein komplett neuer Client dazu. Aber es gab trotzdem noch Probleme in allen Versionen, auch wenn es schon besser geworden ist. Inzwischen sind es meistens nur noch Kleinigkeiten wie Grafikfehler, flackernde Texturen und seltsame Fehler in der Physik.
Die größten Baustellen hat GSC in den letzten paar Tagen noch behoben. Im aktuellsten Build gab es in einem Gebäude noch seltsames Licht-/Schattenflackern und in der Ferne sichtbare Pop-ups der Vegetation. Die anfänglichen Abstürze sind bei uns zuletzt nicht mehr aufgetreten. Wie sich die Konsolenversion so macht, müssen wir noch sehen – wir hatten bisher nur die PC-Version zum Testen. Wir sind froh, dass sich unsere anfänglichen Befürchtungen angesichts der ersten Testversionen nicht bestätigt haben – zumindest nicht in dem Umfang.
Die Performance ist auf jeden Fall positiv zu bewerten. S.T.A.L.K.E.R. 2 – Heart of Chornobyl lief bei uns mit "epischen" Detaileinstellungen sehr flüssig und mit einer guten und stabilen Bildwiederholrate. Außerdem gibt es Upscaling-Optionen wie AMD FSR und NVIDIA DLSS mit Frame Generation, damit das Gameplay noch flüssiger wird. Auch NVIDIA Reflex zur Reduzierung der Latenz ist mit an Bord. In 1440p im 21:9 Format auf epischen Einstellungen mit DLSS und Frame Generation lagen wir bei einer RTX 4070 Ti deutlich über 100 fps.
Dass GSC Game World irgendwann nach all den Verschiebungen auf die Kostenbremse treten musste, sieht man dem Spiel leider an. Das Spiel gibt's nur mit englischer und ukrainischer Sprachausgabe, eine deutsche Synchronisation gibt's leider nicht. Ihr müsst also mit deutschen Untertiteln vorliebnehmen. Zumindest die Menüs und das Interface sind auf Deutsch verfügbar. Die Sprachausgabe kann leider auch nicht überzeugen. Die Sprecher klingen oft ziemlich unprofessionell und zeigen wenig bis keine Emotionen. Man könnte fast meinen, der eine oder andere NPC wurde per KI vertont.
Kommentarezum Artikel