Test - Hero-U: Rogue to Redemption : Der Held, was er verbricht
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Die Fantasy-Abenteuer der „Quest for Glory“-Reihe standen immer ein wenig im Schatten der großen klassischen Adventure-Serien von Sierra wie King‘s Quest, Space Quest oder Leisure Suit Larry, zählen aber bei Fans zum Besten, was das legendäre Entwicklerstudio je hervorgebracht hat. Mit Hero-U: Rogue to Redemption verwirklichten die Schöpfer Lori und Corey Cole über Kickstarter eine Art Nachfolger im Geiste, der bereits 2018 auf dem PC erschien und nun endlich auch für Switch umgesetzt wurde.
Ich liebe Quest for Glory! Diese unnachahmliche Mischung aus Adventure, Rollenspiel, mitreißendem Pathos und albernen Wortspielen hat mich Anfang der 90er deutlich mehr begeistert als das zumeist recht biedere King‘s Quest oder reichlich zotige Leisure Suit Larry. Jede Episode der insgesamt fünfteiligen Reihe nimmt den Spieler mit in eine andere kulturelle Sagen- und Mythenwelt des Erdballs: der erste Teil etwa in die deutsche Märchen- und Heldenfolklore, der zweite in die Abenteuer von 1001 Nacht und der vierte in die Welt osteuropäischer Schauergeschichten um Vampire und Golems.
Was mich an den Quest-for-Glory-Spielen mit am meisten begeisterte, waren die komplex ausgearbeiteten Spielwelten. Da gab es nicht einfach nur böse Zauberer, die das Land unterjochten und besiegt werden mussten – und selbst wenn es sie gab, wie im Falle des verschlagenen Ad Avis oder der liebreizenden Katrina, dann waren ihre Missetaten lediglich verzweifelte Versuche im Bestreben, das eigene Seelenheil zu retten und inneren Frieden zu finden. Und das Land, das sie bedrohten, war nicht einfach nur ein Königreich aus Städten und Wäldern, sondern eine komplexe Gesellschaft voller Widersprüche und Sorgen, die den antagonistischen Konflikt in einem politischen spiegelte.
Was ich aber ganz besonders an Quest for Glory liebe, ist, dass sich die Serie nie zu schade für großes Pathos war. Hier geht es um Helden, die noch wahrlich heldenhaft sein wollen, die ihr Leben aufopfern für Werte wie Ehre, Tapferkeit und Tugend und gerne auch schwülstige Reden über solcherlei Themen schwingen. Nach Begegnungen mit dem weisen Löwen Rakeesh, der ehrenwerten Elsa von Spielburg oder der großherzigen Erana geht man nach dem Abspann eines Quest-for-Glory-Spieles mit dem beflügelnden Gefühl daraus hervor, gerade ein besserer Mensch geworden zu sein. Es mag zweifelsfrei bessere Adventures geben, die mechanisch feiner ausgearbeitet und spielerisch weniger sperrig sind. Dennoch trage ich vermutlich keine Spieleserie so tief in meinem Herzen wie Quest for Glory.
Hero-U: Quest for Glory trifft Harry Potter
Umso größer war meine Freude, als die Macher der Reihe, das Ehepaar Lori und Corey Cole, bereits 2012 auf Kickstarter Geld für einen Nachfolger im Geiste zu sammeln begannen. Hero-U: Rogue to Redemption spielt sogar im selben Universum wie Quest for Glory, wie zahlreiche Anspielungen deutlich machen. Nach einer holprigen Entwicklungsgeschichte erblickte das Spiel im April 2018 auf dem PC endlich das Licht der Welt. Dieser Tage erscheint es auch für Switch.
Ihr übernehmt die Rolle eines frischgebackenen Schülers an der Helden-Universität (kurz Hero-U, daher auch der Name des Spiels), wo ihr euer Handwerk im Vollbringen von Heldentaten lernt. Dafür organisiert ihr täglich euren Alltag zwischen Studieren, Trainieren, Arbeiten, Streiten, Flirten und Abenteurern.
Kennern von JRPGs mag das Muster an dieser Stelle stark bekannt vorkommen: Hero-U liegt spielerisch deutlich näher an Fire Emblem: Three Houses und Persona 5 als an den klassischen Sierra-Adventuren – was umso bemerkenswerter ist, wenn man bedenkt, dass die Kickstarter-Kampagne wie erwähnt bereits 2012 begann und damit lange vor Erscheinen der vermeintlichen Vorbilder. Wer auch immer in diesem Fall Henne oder Ei gewesen sein mag: Das Spielprinzip in den drei genannten Spielen ist jedenfalls nahezu identisch und in allen Fällen natürlich stark von Harry Potter inspiriert.
So you want to be a Hero
Hero-U spielt über einen Zeitraum von 50 Tagen in Spielzeit, die ihr zumeist im Klassenzimmer beim Lauschen des Unterrichts beginnt. Die Gestaltung der Freizeit am Nachmittag und Abend steht euch dann zur freien Verfügung: Im Übungsraum trainiert ihr euer Geschick im Werfen, Klettern und Kämpfen, in der Bibliothek vertieft ihr euer Wissen, als Aushilfe in der Küche verdient ihr Geld, das ihr im Lager für neue Ausrüstung ausgeben könnt, und im Aufenthaltsraum trefft ihr eure Mitschüler, um Freundschaften zu knüpfen, Liebeleien zu pflegen oder sie zu einer äußerst pfiffigen Minispiel-Variante von Poker herauszufordern.
Später durchstreift ihr auch ein paar Dungeons wie den Weinkeller oder ein Höhlenlabyrinth unter dem Schulgebäude, um eure erlernten Fähigkeiten im Kampf gegen Ratten und Kobolde zu erproben, Schätze zu bergen und Geheimnisse zu lüften. Wenngleich das Kampfsystem auf den ersten Blick recht plump wirkt - was Quest-for-Glory-Spieler kaum überraschen dürfte – entwickelt es nach einer Weile durchaus einen gewissen Charme, weil es zwischen Kampf, Schleichen und Fallenstellen zahlreiche taktische Möglichkeiten lässt. Im Gegensatz zu Fire Emblem verlasst ihr für eure abenteuerlichen Streifzüge dabei nie das Schulgebäude, zieht nicht hinaus in die Welt, um eure Heldenhaftigkeit auf dem Schlachtfeld großer Kriege unter Beweis zu stellen.
Die eher kleinen statt großen Geschichten, die sich auf diese Weise entspinnen, fallen für ein Fantasy-Szenario angenehm persönlich und auffallend unspektakulär aus. Viele davon sind optional, manche regelrecht versteckt, einige bewegend, andere banal oder gewitzt. Da müsst ihr einen nächtlichen Dieb stellen, der in der Schule sein Unwesen treibt, einer Mitschülerin helfen, den Schatz ihres Vaters, einem Piratenkapitän, in den Meereshöhlen zu bergen, oder einen Kommilitonen aus der Gefangenschaft eines bösen Geistes retten. Manchmal geht es nur um Kleinigkeiten, etwa einer rastlosen Seele zur letzten Ruhe zu verhelfen, indem ihr ihre Gruft ausfindig macht, oder einem gemobbten Mitschüler gegen die Drangsalierungen seines hochnäsigen Zimmergenossen beistehen.
Wie es schon Quest for Glory zum Markenzeichen erhob, gelingt den Autoren von Hero-U die schmale Gratwanderung aus zutiefst menschlicher Wärme, hochtrabendem Pathos und dennoch übertriebener Albernheit, wie sie nur meisterliche Schreiber zu vollbringen vermögen, ohne sich lächerlich zu machen. Bereits der Untertitel Rogue to Redemption deutet mit der Verballhornung des geflügelten Ausdrucks „Road to Redemption“, also „Pfad zur Erlösung“, die Vorliebe seiner Entwickler für verspielten Wortwitz an, die sie hier im (mitunter übertriebenem) Dauerfeuer raushauen.
Das Wort „Rogue“ darin bedeutet soviel wie „Gauner“, und einen solchen, gewissermaßen einen ehrenwerten Gentleman-Dieb, spielt ihr in Hero-U. Denn strenggenommen hat es euer Charakter nicht zur Aufnahme in die (Schul-)Klasse heldenhafter (Rollenspiel-)Klassen wie Paladine und Magier geschafft. Stattdessen findet ihr euch in der Gruppe der Leftovers und Missfits wieder, also der Versager und Übriggebliebenen, denen die Schulleitung nicht das Zeug zum heroischen Weltenretter zutraut. Daher sind eure Fähigkeiten im Schleichen und Schlösserknacken mindestens ebenso wichtig wie die im Umgang mit Schwert und Wurfmesser, und Fragen nach der Moral, eure Entscheidungen im Richtig und Falsch der Heldentaten werden zum definierenden Moment: denn seinen Charakter zu entwickeln, bedeutet in diesem Rollenspiel nicht nur, seine Werte zu erhöhen, sondern seiner Persönlichkeit Charakter zu verleihen. Denn am Ende sind es allein die Taten und das Herz, die einen Gauner entweder zum Dieb oder Helden werden lassen …
Trial by Fire
Auch grafisch erweisen die Macher ihren Adventure-Wurzeln kongenial Reverenz. Obwohl das Geschehen von Hero-U in einer isometrischen Draufsicht dargestellt wird, sind die Wände und Objekte mit Texturen überzogen, die dem Stil klassischer VGA-Zeichnungen nachempfunden sind: kunterbunte Kontraste, verwaschene Farbverläufe und schroffe Pixelübergänge. Ganz besonders kommt das bei den „Zwischensequenzen“ zum Tragen: wunderschön gezeichnete Standbilder, die zumeist das Ende einer erfolgreich absolvierten Quest markieren und auf erstaunliche Weise wieder genau so funktionieren, wie es in Spielen zuletzt vor etwa 30 Jahren der Fall war: nämlich als Belohnung. Keine Erfahrungspunkte, kein spektakuläres CGI-Video, kein Achievement – allein der Genuss eines hübsch gemalten Bildes und die Gewissheit, eine gute Tat vollbracht zu haben, selbst wenn sie nur virtuell sein mag, sind voll und ganz Belohnung genug für vorherige Strapazen des Abenteuers. Dass mir das heutzutage noch genügen würde, hat mich selbst überrascht. Hero-U dürfte darin eine der bemerkenswertesten Nostalgieerfahrungen bewirkt haben, die je ein Spiel in mir zu erzeugen vermochte.
Leider kann die isometrische Ansicht der Spielwelt diese Erfahrung nicht in gleichem Maße auslösen. Iso-Grafik sieht eben grundsätzlich meistens nicht sonderlich schick aus und wird daher heutzutage auch nur noch selten in dieser Form angewendet. In meinen Augen ist sie für diese Art von Spiel von vornherein ungünstig gewählt. Die langen Laufwege durch die immer gleichen Flure und Höfe der Schule werden so schnell zu einer Geduldsprobe. Zumal die Entscheidung der Entwickler, die Steuerung des Mauszeigers vom PC direkt auf den Analogstick der Switch zu übertragen, nicht gerade zum Komfort beiträgt. Zwar unterstützt das Spiel auch Bedienung per Touchpad, dafür muss man aber natürlich auf dem kleinen Monitor des Handheld spielen.
Shadows of Darkness
Nicht nur deswegen fühlt sich Hero-U vor allem in den ersten zehn der erstaunlich langen 40 Stunden Spielzeit reichlich zäh an. Oder nennen wir es beim Namen: Über weite Strecken ist Hero-U einfach nur bumslangweilig. Die einzelnen Tage laufen häufig nach dem immer gleichen Schema ab: trainieren, lernen, essen, arbeiten, schlafen. Und wieder von vorn. Da fühlt man sich zeitweise wirklich wieder eher zurück an die Schule versetzt, statt in einem aufregendem Videospiel-Abenteuer.
Offenbar fehlte es dem kleinen Indie-Team an Ressourcen, um den Trott mit unterhaltsamen Ereignissen aufzulockern, ihm mit spektakulären Vorfällen Spannung zu verleihen oder auch nur aus den alltäglichen Begegnungen herzergreifende Geschichten zu entwickeln. Selbst die Gespräche mit den Mitschülern brauchen zu lange, um ihren Figuren Profil zu verleihen und eine persönliche Beziehung aufzubauen – umso mehr, wenn man den direkten Vergleich zu Fire Emblem zieht, dem das meisterlich gelang, weil man innerhalb kürzester Zeit ein riesiges Ensemble von Nebenfiguren kennen, hassen und lieben lernte, an ihrer Vergangenheit und Entwicklung Interesse entwickelte. Hero-U gerät hingegen zu häufig ins Stocken, gibt zu wenig zu erleben und zu viel lediglich abzuarbeiten.
Dieser Eindruck verstärkt sich zudem dadurch, weil es ihm im Gegensatz zu Fire Emblem und Persona an einem übergeordneten Handlungsfaden mangelt, der den Spieler auch dann wie eine Angelschnur ködert und an seinem Haken durch die erzählerische Flut reißt, wenn gerade Ebbe im Plot herrscht. So angenehm geerdet es sich zur Abwechslung anfühlt, wenn ein Fantasy-Spiel mal nicht die große Pauke vom epischen Krieg trommelt, sondern fast schon kleinlaut und bescheiden von menschlichen Schicksalen und alltäglichen Problemen erzählt, so fehlt doch ein erkennbares Ziel, das dem Weg dorthin einen Sinn verliehen hätte. Der Plot um eine geheimnisvolle Diebesgilde und den rätselhaften Tod des Vaters, der sich hin und wieder durch ein erzählerisches Flackern bemerkbar macht, blitzt jedenfalls viel zu vereinzelt durch den Story-Nebel auf, um hoffnungsvolle Erregung auf ein großes Gewitter beim Showdown zu schüren.
Hero-U braucht eine ganze Weile, um seinen Charme zu entwickeln, ihn behutsam zu entfalten und den Spieler so lange zärtlich damit zu umgarnen, bis es ihm schlussendlich dann doch gelang, mich einzufangen. Ein Tipp, damit es euch auch so geht: Man sollte Hero-U nicht spielen, wie man es von anderen Fantasy-Rollenspielen gewöhnt ist. Statt das Spiel im Marathon „durchzusuchten“, empfehle ich, es in homöopathischen Dosen von etwa 1-2 Stunden pro Tag in genüsslicher Entschleunigung zu erfahren: einfach nur nach Feierabend mal eben ein bisschen die Charakterwerte peppeln und gemeinsame Zeit verbringen mit den Mitschülern, die allmählich zu Freunden werden, dann wieder aufhören und sich bis morgen auf das nächste kleine Abenteuer freuen, das sich bereits in Form einer Nebenquest am Horizont abzeichnet.
In dieser Gemütslage blicke ich auf Hero-U ähnlich zurück wie auf die eigene Schulzeit: trotz vielem Auf und Ab doch insgesamt glücklich. Auf die heitere Zeit mit den Freunden, auf die spannenden Exkursionen in die Dungeons und vor allem auf die vielen kleinen Geschichten, die man teilweise nur zufällig findet und dadurch das Gefühl vermittelt bekommt, gerade etwas ganz Besonderes erlebt zu haben …
Für Mitte 2021 ist übrigens unter dem Namen Summer Daze at Hero-U schon ein Nachfolger angekündigt, der in Form einer Visual Novel erzählt, wie es mit den Studenten in den Sommerferien an der Helden-Uni weitergeht.
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