Test - Curse of Anabelle : Zum Fürchten schlecht
- PC
Grafikfilter sind schöne Werkzeuge, wenn man geschickt mit ihnen umgeht. Man verwendet sie wie Make-up, denn sie sollen natürliche Schönheit unterstreichen, um Kontraste hervorzuheben. Sobald jemand anfängt, ein Gesicht mit Make-up zu übermalen, ist Vorsicht geboten, denn dann soll meist etwas weniger Schönes versteckt werden. So ähnlich verhält es sich auch mit Bildfiltern, wie das Grusel-Adventue Curse of Anabelle beweist.
So hässlich ist die Grafik gar nicht. Ich habe jedenfalls schon Schlimmeres gesehen, gerade im Indie-Bereich. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass die Leute von Rocwise Entertainment irgendetwas verstecken wollen. Gefühlt ein Mal pro Minute huscht ein völlig übertriebener Grafikeffekt über den Bildschirm, der mir den Eindruck vermittelt, ich müsse mal zum Optiker gehen. Unschärfe, ruckartige Fischaugen-Verzerrungen, Farbverschiebungen … so etwas eben. Im Verbund mit lächerlich oft verwendeten Stilmitteln aus der Grusel-Mottenkiste – zum Beispiel Blitzen im Fünf-Sekunden-Takt - wirkt das alles noch dicker aufgetragen als in einem B-Movie.
Moment mal. Bin ich es, der eine Brille braucht, oder ist meine Spielfigur einfach nur high wie eine Haubitze? Mit schief angewinkeltem Kopf über eine Straße schlendernd, so lahm, dass selbst ein Druck auf den Rennen-Knopf ihm gerade mal die Schrittlänge eines von Arthritis geplagten Rentners zugesteht, und dann auch noch ständig von imaginären Stimmen heimgesucht? Also wenn da keine Drogen im Spiel sind ...
Spiel? Welches Spiel? Ich steuere einen Mann namens Nathan, so um die 30, der das Mysterium um den Tod eines kleinen Mädchens aufdecken will. In First-Person-Perspektive schleiche ich mit ihm durch Schauplätze wie einen Friedhof oder das verfluchte Haus der Ramsey-Familie, die allen Hinweisen zufolge hinter mysteriösen Morden in den Fünfzigerjahren steckt. Unterwegs sammle ich Werkzeuge und lese einen ganzen Haufen wirrer Notizen, die für den Ablauf der Handlung keinerlei Bedeutung haben, aber das Setting mystischer gestalten sollen.
Walking-Simulator
In der ersten Stunde passiert erstmal eine ganze Weile lang gar nichts, sofern man von ein paar billigen Jumpscares absieht. Angeblich soll ich Puzzles lösen, aber das deckt sich nicht mit meiner Auffassung davon. Eher wühle ich mich durch Schränke und Tische und klicke hier und da auf Gegenstände, die ich in mein Inventar stecke, um sie an anderer Stelle zu benutzen, wobei beinahe jede Handlung vollautomatisch vollzogen wird.
Dadurch bleibt mir viel Zeit, all das in mich aufzunehmen, was mir Rocwise als Umgebung präsentiert. Wie es sich für ein Gruselspiel gehört, kann so eine mystische Indiziensuche natürlich nur bei Nacht und Sturm stattfinden. Ich hätte nichts anderes erwartet, auch wenn es vor Klischee trieft. Trotzdem sind die Umstände wahrlich schräg. Der Versuch, sowohl Psychedelik als auch spielerischen Inhalt mit möglichst wenig Material zu vermitteln, ertrinkt in einer geradezu Slapstick-artigen Unbeholfenheit. Dabei sind die miesen englischen Sprecher, denen es in einigen Rückblenden sowohl an Betonung als auch an Einfühlungsvermögen für die jeweilige Szene mangelt, noch das kleinste Übel. Zumindest anfangs.
Ich lache innerlich, wenn ich daran denke, was für ein Stümper von Elektriker die Häuser verkabelt haben muss, in denen ich verzweifelt nach den wenigen brauchbaren Hinweisen suche. Lichtschalter für einen ganzen Raum? Pah! Ich muss jede einzelne Wandlampe separat anschalten, damit sie im Umkreis von geschätzten eineinhalb Metern die Leuchtkraft zweier Kerzen ausstrahlt. Kommt mir vor wie eine Beschäftigungstherapie mit Wimmelbild-Charakter.
Überall liegt unbrauchbarer Käse herum, dessen Analyse die Spielzeit sinnlos streckt. Wenn man nämlich weiß, welche Utensilien etwas taugen, kann man das Spiel innerhalb von etwa zwei Stunden beenden. Wow. Erst beim Schreiben dieser Zeilen wird mir klar, wie absurd das klingt. Nathans Schneckentempo ist Absicht, damit die erste Hälfte des Spiels nicht so schnell an einem vorbeifliegt.
Das Haus der Dämonen
Aber es geht noch schlimmer, denn so richtig los geht es erst in der zweiten Hälfte, wenn Nathan stirbt, im Ausgleich dafür aber als wandelnder Geist Zugriff auf drei Bücher erhält, die ihm Einsicht auf übersinnliche Maßnahmen gewähren. In einem Buch erfährt er alles über Dämonen und wie man Siegel herstellt, die sie vertreiben. Das zweite Buch ist der Exorzisten-Almanach schlechthin inklusive aktiv anwendbarer Zauber. Der letzte Wälzer ist das Ramsey-Tagebuch, dessen Einträge Hinweise auf seltsame Vorgänge in deren alter Villa geben soll.
Von diesem Moment an macht der Spielablauf eine 180-Grad-Wende vom Möchtegern-Grusel zum Action-Adventure mit effektvoller Magie. Besser wird es trotzdem nicht, nur inkonsistenter, weil die Spieldesigner noch deutlicher preisgeben, dass sie selbst nicht wissen, was sie da auf die Beine stellen wollten. Völlig aus der Luft gegriffen kann Nathan plötzlich zwischen mehreren Zeitlinien hin- und herspringen, während er von der Geisterstimme seiner alten Flamme Emily so ziemlich alles, was zu tun ist, vorgekaut bekommt.
Spätestens hier fällt Curse of Anabelle konzeptionell in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Null Spannung, null Inspiration, dafür ein Fremdschäm-Faktor von 150 und jede Menge Ungereimtheiten. Wenn Nathan nun ein Geist ist, warum höre ich dann seine Schritte? Wenn er durch die Zeit reisen kann, warum bleibt dann keine Zeit, ihm die Umstände seiner neuen Fähigkeiten zu erklären? Wie schafft er es, als Geist Bücher aufzuheben, wenn er auf der anderen Seite nicht einmal einen Türknauf anfassen kann? Aaaargh, diese unlogischen Zusammenhänge fressen mir das Gehirn weg!
Fragen über Fragen, wobei ich mir nicht sicher bin, ob mir die Antworten gefallen würden. Wenn ich Emily und Nathan im Geisterdialog sprechen höre, rollen sich mir nämlich im Sekundentakt die Fußnägel hoch. Ihre Dialoge klingen so, als ob sich Fünftklässler gegenseitig etwas vorlesen würden. Man hört, dass beide Sprecher nie zusammen in einem Raum standen. Sich unter diesen Umständen durch Multiple-Choice-Gespräche hangeln zu müssen, sollte bei Amnesty International in die Liste von Foltermethoden aufgenommen werden.
Nun, ein Gutes hat der Umschwung des Spielinhalts: Man weiß wenigstens, was man von diesem Moment an tun soll. Man bewegt sich durch das Ramsey-Haus, findet verwunschene Räume, springt durch die Zeit auf der Suche nach Medaillons, mit denen man Siegel craftet, und verjagt schlussendlich die anwesenden Dämonen. Und das dann in Endlosschleife. Das hat zwar abseits der vielen Partikeleffekte, die die Grafiker einflechten, den Spannungsbogen einer Steuererklärung, weil alle Dämonen den gleichen Auftritt hinlegen, aber zumindest offeriert der Spielablauf eine Richtung, der man folgen kann.
Und Anabelle? Das Mädchen, um das sich die Handlung angeblich dreht? Ja, zu der gelangt man zum Schluss noch, aber das Ende ist so sinnlos, dass man den Kopf gegen die Tischkante hauen möchte.
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