Test - Transference : Der größte Horror findet im Kopf statt
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Horror ist eine Frage der Ansicht. Manche Leute erschrecken sich vor Blut und Gedärmen, ich eher vor allen Foltermethoden, mit denen man den Geist eines Menschen bricht. Darum ist Transference so ziemlich der dickste Horrorbrocken, der mir in der virtuellen Realität begegnen kann. Die Idee, das eigene Bewusstsein in einen Computer zu übertragen, ist gar nicht mal so neu, kam ja sogar schon in Star Trek vor. Was aber, wenn dessen Speicher Löcher in dieses Bewusstsein frisst? Wenn das eigene Sein buchstäblich fragmentiert wurde?
Die Suche nach dem ewigen Leben speist endlos viele Geschichten. Indiana Jones sucht nach dem Heiligen Gral, Joan Ponce sucht den Jungbrunnen. Raymond Heyes, seines Zeichens Wissenschaftler, versucht dagegen etwas ganz anderes. Er überträgt sein Bewusstsein sowie das von Frau und Kind in einen Computer, auf dass sie losgelöst vom Körper für immer fortbestehen. Gebunden an ihre Erinnerungen, wandern sie an jenen Orten umher, die die Familie einst verband.
Dank PSVR (oder HTC Vive auf dem PC) darf ich mir ein eigenes Bild von dieser Furcht einflößenden Situation machen. Das Headset ist jedoch kein Zwang, sonst wäre eine Umsetzung auf Xbox One nicht drin gewesen.
Wie sinnvoll es ist, dieses Szenario an einem normalen Fernseher zu erleben, sei mal dahingestellt. Transference wurde als VR-Erfahrung entworfen. Trotz der manchmal arg beklemmenden Atmosphäre und einigen altbackenen Jumpscares mit Herzkaspergarantie möchte ich auf VR nicht verzichten. Es macht aus Transference etwas Persönliches, ja, ungemein Immersives, das weit über eine übliche VR-Schießbude hinausgeht. Elijah Woods Filmfirma SpectreVision hat im Verbund mit Ubisoft ganze Arbeit geleistet, damit die Egoperspektive nicht nur eine optische Angelegenheit bleibt.
Über das VR-Headset erlebt, verdichtet sich die Atmosphäre augenblicklich. Beim Durchstreifen des alten Hauses der Familie bestimmen Lichtverhältnisse und der Zustand des Gemäuers das Wohlbefinden, allerdings ohne den berühmten Holzhammer. Weder Blut noch Verwüstung kommen zum Einsatz. Stattdessen ermöglicht das besonders nahe Blickfeld der VR-Brille eine plastische Ansicht der Abnutzung. Alles fühlt sich ungemein echt und greifbar an, was an sich schon typisch für viele VR-Spiele ist, bei Transference aber noch einen Schritt weiter geht.
Exzellent eingesetzte Shader gaukeln Fotorealismus vor, nutzen aber nur so viele Ressourcen wie gerade nötig. Der besondere Kniff dabei ist nämlich der Kontrast, der gezeichnet wird. Überall in diesem alten Mehrfamilienhaus klaffen Löcher, die davon zeugen, dass die Umsetzung in die digitale Welt nicht hundertprozentig geglückt ist. Hinter diesen Löchern steckt kein Gemäuer oder der Zugang zu einem anderen Zimmer. Dahinter ist … nichts.
Ich fühle mich dabei ungemein an Michael Endes Buch „Die unendliche Geschichte“ erinnert. Solltet ihr nur die abweichende und wenig inspirierte Filmfassung aus den 80ern kennen, dann könnt ihr das nicht nachvollziehen. Das Nichts, das hier eine Parallele in Form von digitalen Löchern darstellt, bedeutet Nichtexistenz, Auslöschung. Wie ein schleichender Tod, eine unfassbare Ohnmacht, eben nichts.
An diesen Löchern kommt ihr nur vorbei, wenn ihr buchstäblich die Lücken füllt – durch Erinnerungen, durch vergessene Fantasien, durch verlorene Persönlichkeitsfragmente. Die meisten werden spielerisch als kleine Rätsel und Puzzles präsentiert, haben aber immer eine psychologische Komponente. Raymond Heyes’ Ehefrau beispielsweise ist Musikerin und beschäftigt sich viel mit der Wirkung von Klängen. Infolgedessen besteht bereits der Zugang zum Haus der Familie aus einem Musikrätsel, das mit den Tönen der Hausklingeln verknüpft ist.
Das Abenteuer findet im fließenden Wechsel zwischen den drei Perspektiven der Mutter, des Vaters und des Kindes statt, wobei der väterliche Wissenschaftler seine Motivation von Anfang an in Form eines kleinen Full-Motion-Videos darlegen kann, um die Narrative auf verständliche Schienen zu bringen. Zudem erklären Spracheinlagen aus dem Off einige Zusammenhänge.
Dabei wird immer wieder deutlich, wie die Figuren einander sehen. Ich meine damit nicht das körperliche Abbild, sondern Wesenszüge. Der Vater wird immer durch Technik dargestellt: Apparaturen, Kabel, die überall hinführen, aber selten ihr Ziel preisgeben. Die Türen zum Vater sind oft verschlossen. Die Mutter kommt häufig durch Akustik zum Tragen und durch Instrumente. Das Kind kämpft dagegen mit den Höhen und Tiefen des Reifeprozesses, erinnert sich gerne an fröhliche Momente wie den eigenen Geburtstag, aber auch an das Mobbing von Mitschülern.
Jeder der Darsteller hat unterschiedliche Erinnerungen an das traute Heim. Oder besser gesagt, sie fokussieren sich auf unterschiedliche Aspekte und Zeitperioden. Ein Druck auf einen der Lichtschalter im Haus genügt, um mich in eine andere Person zu versetzen, die zugleich einen anderen Zustand des Hauses mitbringt. Eine direkte Wahl habe ich allerdings nicht. Der Personentausch orientiert sich an den vorliegenden Handlungs- und Rätselvorgaben.
Solche Rätsel sind zwar selten kompliziert, weil Gegenstände, die man nehmen, genauer betrachten und anderweitig einsetzen kann, immer in unmittelbarer Nähe ihres Fundortes zur Verwendung kommen, doch unterwerfen sie sich oft der bizarren Logik einer Traumwelt. Dadurch ist der Lösungsweg nicht gleich ersichtlich. Ein wenig Herumprobieren gehört zum Spielablauf, ebenso wie die genaue Beachtung der oft beklemmenden Akustik. Ein Fest für Auge und Ohr, wenn man den Grusel zulässt.
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