Test - Torment: Tides of Numenera : Hat sich die lange Wartezeit gelohnt?
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Entscheidungen wichtiger als Skills
Torment fühlt sich wie ein spielbares Buch an, mit dessen Figuren wir interagieren können, die uns irrsinnig viel zu erzählen haben. Glücklicherweise hat inXile die Multiple-Choice-Dialoge mit reichlich Entscheidungsmöglichkeiten und Interaktionen gepflastert. So können wir durch verschiedene Antworten den Verlauf eines Gesprächs beeinflussen, Charaktere überreden, überzeugen oder einschüchtern, viele tief in den Texten versteckte Geheimnisse ergründen und Belohnungen ergattern. Oder wir treffen Entscheidungen, die unsere Beziehung zur Spielwelt und deren Figuren sowie zuweilen den weiteren Verlauf ganzer Quests beeinflussen.
Dahinter stecken gleich mehrere clevere Systeme. So können wir drei verschiedene Arten von begrenzt verfügbaren Aktionspunkten für Kraft, Geschwindigkeit und Intellekt einsetzen, um die Chancen bei Interaktionen zu verbessern, und uns dabei sogar von unseren Begleitern unterstützen lassen. Wollen wir beispielsweise eine Tür mit Gewalt aufbrechen, können wir durch Stärkeaktionspunkte die Chance erhöhen, dass dies gelingt. Da die Punkte sich nur im Schlaf regenerieren, aber selbiger nicht immer möglich ist (oder Auswirkungen hat) gilt es, mit den Punkten für wirklich wichtige Dinge hauszuhalten. Zudem formen unsere Entscheidungen die „Gezeiten“, quasi moralische Ausrichtungen, was sich wiederum moderat auf die Reaktion der Umwelt und ihrer Bewohner auswirkt.
Die erfreulich große Entscheidungsfreiheit setzt sich im Gameplay fort, denn wir haben immer wieder die Wahl, ob wir Konflikte durch Kampf oder mit Worten und Interaktionen lösen. Auch wenn wir mit bis zu drei weiteren Kameraden unterwegs und dazu noch mit Fertigkeiten und Waffen ausgestattet sind, ist der Kampf doch nur eine Option und kein wichtiger Bestandteil des Spiels. Das ist selten und im Falle von Torment extrem gut und clever gelöst.
Rundenbasierte Kämpfe – oder auch nicht
Sollte es dann doch mal zu einem Kampf kommen, wechselt das Spiel vom Echtzeit- in den Rundenmodus. Darin können wir unseren Helden nebst seinen Begleitern nacheinander befehligen, wobei jeweils eine Aktions- und eine Bewegungsphase zur Verfügung stehen. Die Kämpfe sind eher taktischer Natur und zuweilen recht knifflig, können aber meist umgangen werden. Ablenkung und Flucht ist ebenso eine Option wie Interaktion. Teilweise bestehen derartige Sequenzen sogar daraus, dass wir einen Dialog mit den Konfliktgegnern führen und so die Auseinandersetzung mit Worten beilegen können. Das ist ziemlich klug gemacht.
Ein Nachteil zeigt sich aber recht schnell: Abgesehen von den besagten Aktionspunkten spielen sowohl Skillsystem als auch Ausrüstung nur eine geringfügige Rolle und sind beim eher gewaltfreien Weg nahezu überflüssig. Gleiches gilt für die Chiffren (begrenzt tragbare Einmalzauber), die verschiedenen Arten von Buff-Nahrungsmitteln und selbst die Fertigkeiten. Das recht komplex wirkende System wird dadurch leider ein wenig entwertet.
Das heißt allerdings nicht, dass es überflüssig ist, denn wer ein wenig gewalttätiger durch die Gegend stapft, wird all das Verfügbare zu schätzen wissen. Das gesamte Potenzial des umfangreichen Systems wird aber keinesfalls ausgereizt, was sich negativ zur geringen Spielzeit addiert. Es verstärkt das Gefühl, dass Torment: Tides of Numenera eigentlich noch viel umfangreicher und größer gedacht war. Das schmale Kickstarter-Budget sowie weitere Projekte wie Wasteland 2 und 3 oder Bard's Tale haben das wohl nicht zugelassen.
Faszinierend und etwas anders
Mit all diesen Elementen, gut geschriebenen Quests und enorm viel inhaltlichem Einfallsreichtum gelingt es den Entwicklern aber, uns in den Bann zu ziehen. Wir versuchen stets, die Hintergründe dieser so seltsamen Spielwelt und ihrer Bewohner zu ergründen. Wir betreiben „echtes“ Rollenspiel, indem wir bewusst oder unbewusst unsere Entscheidungen fällen und somit quasi unsere eigene Geschichte schreiben. Zwar folgen wir dabei einem vorgegebenen Korsett, haben darin aber ungemein viel moralische Freiheit.
Interessanterweise schafft es Torment, nahezu völlig auf eine Bestrafung des Spielers zu verzichten. Nicht einmal der Tod ist ein Ende, denn im Falle des Ablebens verschwinden wir in eine seltsame Labyrinthwelt, aus der es immer einen Weg zurück in die normale Spielwelt gibt und wo man zum Ende des Spiels hin ebenfalls einiges erleben kann. Torment spielt sich alles in allem erfrischend anders als viele moderne Rollenspiele, indem es vehement den Inhalt sowie die Entscheidungen und Gedanken des Spielers in den Vordergrund stellt. Hinzu kommt das alles umfassende Konzept der Geschichte, das unwillkürlich zum Nachdenken anregt.
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