Preview - The Sinking City : Sherlock trifft Lovecraft
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Virtuelle Detektive finden seit Jahren Gefallen an den Sherlock-Holmes-Spielen des ukrainischen Studios Frogwares. Die Adventures um den legendären Ermittler setzen auf Rätsel, Nachforschungen und kluge Schlussfolgerungen. Doch das allein ist den Machern inzwischen scheinbar zu wenig.
Beim Anspiel in Paris erfahren wir den Grund für die zumindest zwischenzeitliche Abkehr vom Meisterdetektiv: Frogwares schätzen Holmes zwar nach wie vor sehr, möchten aber etwas mehr kreativen Freiraum haben, um eigene Ideen umzusetzen. Ihr neues Spiel soll mysteriöser und gruseliger werden, zugleich aber das spielerische Grundgerüst der Sherlock-Reihe beibehalten.
Eine Stadt ertrinkt
The Sinking City spielt zu Beginn der 1920er-Jahre. Detektiv Charles Reed hat im ersten Weltkrieg schreckliche Dinge erlebt. Diese Ereignisse haben mentale Spuren hinterlassen und drohen, ihn langsam in den Wahnsinn zu treiben. Zugleich führen sie den Ermittler in die Stadt Oakmont an der Westküste der USA. Denn dort scheinen die gleichen mysteriösen Kräfte am Werk zu sein, die auch Reed plagen.
Schnell wird klar, dass es die Stadt heftig erwischt hat. Weite Teile wurden von einer Flut überschwemmt. Straßen reißen plötzlich, weil sie unter Wasser stehen. Gerümpel und Gebäudeteile treiben in der trüben Suppe, die keinesfalls natürlichen Ursprungs ist. Noch schlimmer dran sind die Bewohner, denn viele haben nicht nur den Verstand verloren, sondern wirken wie aus einem Horrorfilm entsprungen. Reed begegnet Frauen mit zugenähten Mündern, affenartigen Kreaturen und geisterhaften Erscheinungen. Genau wie die Stadt scheint auch jeder von ihnen etwas verbergen zu wollen. Aber Reed ist entschlossen, alle Mysterien aufzudecken und so nicht nur den Leuten, sondern auch sich selbst zu helfen.
Selbst ist der Ermittler
Doch dazu muss er seine Arbeit als Detektiv richtig gut machen. Das bedeutet, sich sämtliche Informationen zunächst schrittweise zusammensuchen. Denn The Sinking City gibt keinerlei roten Faden vor, schon gar nicht in Form irgendwelcher Linien, die von einem wichtigen Ort zum nächsten führen. Stattdessen müsst ihr euch das große und offene Oakmont selbst erschließen.
Zentrale Elemente sind das sogenannte Casebook und die Karte. In ersterem werden sämtliche gesammelten Infos abgelegt. Dazu gehören geführte Gespräche ebenso wie gefundene Notizen – alles kann jederzeit eingesehen werden. Abgesehen von einer simplen Unterteilung in Haupt- und Nebenmissionen erhaltet ihr keine Hilfe oder Struktur, sondern müsst die Abläufe selbst in die Hand nehmen.
Die verschiedenen Texte erwähnen in der Regel Orte und Personen, die für die jeweilige Mission wichtig sein könnten. Entscheidet ihr euch, der Sache nachzugehen, folgt der nächste Schritt: Auf der Karte setzt ihr eine Markierung, die anschließend auf dem Radar angezeigt wird. Dann macht ihr euch auf den Weg zu diesem Punkt. Unterwegs steigt Reed immer wieder in kleine Motorboote, mit denen er die überfluteten Bereiche der Stadt durchquert. Schnellreisepunkte sind zwar vorhanden, liegen aber oftmals weit auseinander, so dass ihr um Fußmärsche und Bootsfahrten nicht herumkommt. Das ist allerdings gut, denn trotz all seiner Schrecken besitzt Oakmont einen speziellen, morbiden Charme, der unübersehbar von H. P. Lovecraft inspiriert wurde.
Das schmutzige und farblich entsättigte 1920er-Jahre-Setting passt hervorragend zur starken Mystery-Atmosphäre, die in den nebligen Straßen beinahe greifbar ist. Obwohl grafisch kein Hammer und noch kräftig ruckelnd, entfaltet The Sinking City aufgrund der gelungenen Verbindung von Mystery-, Horror- und Adventure-Elementen eine dichte Stimmung. Passend untermalt wird das mit zeitgenössischen Musikstücken und Soundeffekten. Lediglich die leblosen Gesichter während der Dialoge fallen aus dem Rahmen, vor allem, weil sie nicht zur guten Vorstellung der englischen Sprecher passen.
Die Mühe lohnt sich
Habt ihr das vorläufige Ziel erreicht, stehen wieder Erkundungen und Schlussfolgerungen auf dem Plan. Denn offensichtlich ist in The Sinking City nichts. Entsprechend aufmerksam solltet ihr die verschiedenen Schauplätze untersuchen. An anderer Stelle gilt es, über Gespräche an die richtigen Infos zu gelangen. Dabei stehen euch meist mehrere Frage- und Antwortmöglichkeiten offen.
Generell helfen neben offenen Augen und Ohren auch Reeds besondere Fähigkeiten als Ermittler weiter. Diese ermöglichen ihm, in einer Art Gedankenwelt bestimmte Abläufe aus der Vergangenheit zu rekonstruieren, beispielsweise einen Mord. Außerdem kann er mit gesteigerter Aufmerksamkeit zuvor verborgene Hinweise und Spuren sichtbar machen. Diese Kräfte dürfen in begrenztem Maße ebenso aufgelevelt werden wie das Inventar und die Kampffertigkeiten.
Allerdings sollte Charles nicht zu lange in den Abgrund blicken, sonst blickt dieser zurück. Ein zu langer oder häufiger Einsatz seiner Fähigkeiten verstärkt seine Wahnvorstellungen. Genauso verschlechtern schlimme Erlebnisse, beispielsweise der Anblick einer übel zugerichteten Leiche, Charles' geistige Gesundheit. Eine ziemlich reale Gefahr bilden hingegen die Monster, denen er unterwegs begegnet. Ihr könnt diese mit einer Handvoll Schusswaffen bekämpfen, doch weil Munition rar ist und die Biester einiges aushalten, solltet ihr euch vorher überlegen, ob nicht Flucht die bessere Alternative darstellt. Diese Passagen halten sich aber zurück, stets bleibt die Detektivarbeit im Mittelpunkt.
The Sinking City gibt sich entschleunigt, bisweilen schwerfällig und insgesamt undynamisch. In anderen Genres wären das genug Gründe für einen Abgesang, doch in diesem Fall stellt es die Weichen für ein stilsicheres und atmosphärisches Mystery-Adventure. Beim Anspiel taten wir uns zunächst schwer mit dem ungewohnten Ablauf. Doch nach ein wenig Eingewöhnung blitzte das Potenzial auf.
Das Beschaffen und Auswerten von Informationen mag teilweise zeitaufwändig sein, doch wenn man die richtigen Schlüsse zieht und damit der Lösung eines Falls schrittweise näher kommt, vermittelt das ein richtig gutes Gefühl und die Motivation weiterzumachen. Es ist schön, mal nicht einem vorgegebenen Weg zu folgen, sondern selbst dafür verantwortlich zu sein, wie und wo es weitergeht.
Bisher konnten wir lediglich einen Kurztrip nach Oakmont machen und darum nicht einschätzen, wie gut die einzelnen Fälle sowie die übergeordnete Story geschrieben sind. Diese Geschichten müssen spannend und motivierend aufgebaut sein, schließlich nimmt die Action nur eine Nebenrolle ein. Außerdem darf es keine logischen Lücken oder Trial-and-Error-Abläufe geben, ansonsten könnte die Lust am Detektivspiel schnell in Frust umschlagen.
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