Test - Little Hope : Hexen-Horror von den Until-Dawn-Machern
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Mit Little Hope geht die Reihe launig trashiger Horror-Kurzgeschichten der Dark Pictures Anthology von Supermassive Games (Until Dawn) in die zweite Ausgabe. Nachdem uns Man of Medan letztes Jahr zum Pauschalurlaub aufs Geisterschiff schickte, all-inclusive Zombies, lädt Little Hope nun zum Wochenendausflug ins Hexenhäuschen.
Beginnen wir – wie für diese Art Gruselgeschichten vom Grabbeltisch der Groschenheftchen üblich – mit einem „Was bisher geschah“: Nachdem sich die Entwickler von Supermassive Games mit Until Dawn einen Namen im Genre der interaktiven Trash-Schauermärchen in Hochglanzoptik gemacht hatten, schickten sie ihr Konzept unter der Überschrift The Dark Pictures Anthology in die Serienfertigung: eine Reihe von kürzeren, dafür aber auch preisgünstigeren interaktiven Geschichten nach dem Vorbild der früher von Mutti als Schmuddelheftchen geschmähten, von Sohnemann aber umso inniger geliebten und heimlich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke verschlungenen Gruselgeschichten aus dem Sortiment der zumeist am Kiosk etwas abseits stehenden Zeitschriftenständer im Wäschespinnenformat.
Man of Medan machte letztes Jahr den Auftakt mit seinem Kintopp von den fünf Jugendlichen, die zu einem Bootsausflug aufbrechen und sich schon bald unfreiwillig auf einem Geisterschiff in der Gesellschaft von Zombie-Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg wiederfinden – und veranschaulichte deutlich all die Vor- und Nachteile, die das dahinterstehende Konzept mit sich bringt: Die kürzere Spieldauer von lediglich etwa fünf Stunden ermöglichte einen hohen Variantenreichtum bei den verzweigenden Handlungssträngen, ließ der Geschichte und ihren Charakteren aber nur wenig Raum zur Entfaltung. Heimlicher Star des Trash-Festes war der einzigartige Koop-Modus, bei dem mehrere Spieler die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven erlebten. Unterm Strich bot Man of Medan jedoch eher krawallige Kolportage statt kernigem Kinogrusel.
Für Little Hope versprachen die Entwickler im Vorfeld das, was einen Nachfolger im Idealfall auszeichnet: die Vorteile auszubauen und sich der Nachteile anzunehmen. Die Vorzeichen standen gut, allein schon wegen des Settings, das der Volksmund vermutlich als „unverbraucht“ bezeichnen würde: Diesmal verschlägt es uns in eine Geisterstadt, deren mörderische Vergangenheit vor dem Hintergrund der amerikanischen Hexenprozesse des 17. Jahrhunderts angesiedelt ist und das Spiel damit in eine popkulturelle Tradition stellt, die im Jahr 1957 mit dem Filmklassiker Hexenjagd (auch bekannt als „Die Hexen von Salem“) als Gerichtsdrama mit einem Plädoyer für Aufklärung und Menschlichkeit begann und im Horrorkino der 60er- und 70er-Jahre geradezu eine Schwemme von B-Filmen auslöste wie Hexen bis aufs Blut gequält, Die Stunde wenn Dracula kommt oder Der Hexenjäger. In diesem breit gefächerten thematischen Umfeld verspricht Little Hope eine mindestens erfrischendere, hoffentlich furchteinflößendere, möglicherweise sogar vielschichtigere Erfahrung zu werden als sein zumeist doch eher platt-plakativer Vorgänger.
Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald
Durch einen Autounfall strandet eine Gruppe von vier Studenten mit ihrem Professor mitten in der Nacht im fernab der Zivilisation gelegenen Städtchen Little Hope, das wie sein offenkundiges Vorbild Silent Hill zwar von jeder Menschenseele, aber nicht von bizarr entstellten Manifestationen des Grauens verlassen scheint. Und genau wie in besagtem Horrorspielklassiker hält ein allgegenwärtig wabernder Nebel die unfreiwilligen Besucher an diesem unheiligen Ort fest, verbirgt die lauernden Schrecken hinter seinem Schleier und deutet sie lange Zeit nur als unheimliche Ahnung einer ständig drohenden Gefahr im Dunkeln an.
Während die Gruppe die ebenso dunklen wie menschenleeren Straßen und Häuserruinen nach einem Ausweg oder wenigstens einem funktionierenden Telefon absucht, bricht nach und nach das Übernatürliche in diese Welt und über sie herein. Ein kleines Mädchen, das wirkt wie aus der Zeit gefallen, taucht unversehens auf und verschwindet ebenso plötzlich wieder. Flashbacks von einem 300 Jahre zurückliegenden Hexenprozess suchen die Protagonisten heim und künden von großer Ungerechtigkeit und grausamen Begebenheiten, die einst an diesem Ort geschehen sind und ihn möglicherweise mit einem Fluch belegt haben, der den Protagonisten heute zum Verhängnis wird.
Unerklärliche Ereignisse versetzten damals die puritanischen Dorfbewohner in Aufruhr. Ein junges Mädchen scheint vom Teufel besessen und droht, die gesamte Stadt ins Verderben zu stürzen. Oder ist sie nur das Opfer und Projektionsfläche für irrationale Ängste, Gerüchte, Zwietracht und Missverständnisse? Nach und nach verfällt das gesamte Dorf in einen Wahn, der in Lynchjustiz und einem aufsehenerregenden Hexenprozess gipfelt, in dem mehrere Unschuldige auf grausame Weise hingerichtet werden - und deren gequälte Seelen bis heute des Nachts aus ihren Gräbern steigen, um als grotesk entstellte Todesengel Rache an denen zu nehmen, die sie einst verdammten.
Es scheint, als bestünde irgendeine Art von Verbindung durch die Jahrhunderte zwischen den Ereignissen von damals und den Studenten von heute und als gäbe es einen schicksalhaften Grund, der sie alle zur gleichen Zeit nach Little Hope geführt hat: Denn die Schlüsselpersonen der Hexenjagd von einst ähneln in ihrem Aussehen auf frappierende Weise den unfreiwilligen Besuchern von heute. Sind sie Wiedergeborene, die nun für die Sünden aus einem früheren Leben zur Rechenschaft gezogen werden? Oder lösen sie die Tragödie von einst überhaupt erst aus, indem sie in den Dorfbewohnern durch ihre geisterhaften Zeitsprünge die Vorstellung vom Wirken des Teufels überhaupt erst auslösen? Können sie die Vergangenheit verändern und zum Guten wenden? Oder sind sie dazu verdammt, die grausamen Taten bis in alle Ewigkeit in Endlosschleife zu durchleben?
Es war so finster und auch so bitterkalt
Aus den Fragen, die Little Hope nach und nach ausstreut wie Hänsel und Gretel die Brotkrumen auf ihrem Weg zum Hexenhaus, weben die Entwickler fast unmerklich ein filigranes Netz an Handlungsfäden, in das sie den Spieler locken, und türmen seine verschiedenen Ebenen wie ein Jenga-Spieler seinen Turm zu einer Vielschichtigkeit auf, wie sie ganz und gar außergewöhnlich für derlei trivialen Hokuspokus-Spuk ist. Wer angesichts der Trailer Hexenhorror im Stile von Blair Witch erwartet oder gar brutalen Torture-Porn vor Inquisitionskulisse, sollte seine Erwartungen unbedingt komplett neu justieren. Thematisch und inhaltlich ist Little Hope deutlich näher im Umfeld psychologisch geerdeter Gruselfilme angesiedelt wie The Others oder Der Exorzismus von Emily Rose oder steht gar in der gänzlich Genre-fernen filmischen Tradition von Fritz Langs Lynchjustiz-Drama Blinder Hass. In seinen besten Momenten lässt sich Little Hope wahrscheinlich am ehesten mit den – im Übrigen ganz vorzüglichen – aktuellen Filmen Hagazussa: Der Hexenfluch und vor allem The Witch vergleichen, die sich beide die Mittel des Horrorfilms lediglich aneignen, um damit eine Mischung aus psychologischem Thriller und historischer Tragödie über die Ohnmacht des Einzelnen im Angesicht von Aberglaube, Furcht und Hass zu inszenieren.
Denn eigentlich ist Little Hope überhaupt kein Horrorspiel, und wenn doch, dann versagt es als solches geradezu kläglich. Zu keinem Zeitpunkt gelingt es den Entwicklern Spannung aufzubauen, und die Begegnungen mit den Dämonen, die ganz offensichtlich genau das bewirken sollen, lösen eher Schulterzucken als Adrenalinschübe aus und sind an plumpem Budenzauber aus dem Gruselkabinett vom Rummelplatz kaum zu übertreffen. Während die Atmosphäre vergleichbarer Spiele ohne das beruhigende Licht einer eingeschalteten Lampe kaum zu ertragen ist, lassen sich für Little Hope die Vorhänge gar nicht fest genug zuziehen, wie man möchte, um wenigstens einen Hauch Gruselstimmung herzustellen.
Bisweilen wirkt es, als gäben sich die Entwickler nicht einmal Mühe oder als fehle ihnen das erzählerisch-handwerkliche Rüstzeug, um eine Atmosphäre des Unheimlichen aufzubauen: Wenn etwa zum ersten Mal das Übersinnliche über die Protagonisten hereinbricht, als sie erkennen, dass sie der Unerbittlichkeit des Nebels nicht entkommen können, ist das so dermaßen unbeholfen inszeniert, dass eher Irritation aufkommt als wohliges Unwohlsein oder gar Panik. Regelrecht verzweifelt wirken die Entwickler, wenn sie in inflationärer Regelmäßigkeit die einzige Jokerkarte ausspielen, derer sie sich als Mittel zur Spannungserzeugung gewiss zu sein scheinen: Jumpscares. Mit Katzen. Armer schwarzer Kater, kann man da nur sagen. Der Spuk von Little Hope ist mehr verzweifeltes Huibui als markerschütternder Hexensabbat.
Die Hexe musste braten, die Kinder geh‘n nach Hause
Ein Hauptproblem scheint mir, dass Little Hope so wirkt, als sei seine Geschichte von den Autoren vom Ende her entworfen worden: mit seiner durchaus cleveren Auflösung als Ausgangspunkt, um den herum sie im Anschluss die übrigen Handlungsfäden sponnen. Doch so filigran sie diese zu einem Netz verknoten, in das sie den Spieler zu fangen locken, so löchrig Klaffen die Leerstellen dazwischen. Selbst das an sich smarte und auf dem Papier vermutlich mal aufwühlend konzipierte Ende verpufft angesichts seiner unspektakulären Inszenierung in Teilnahmslosigkeit und dürfte nicht wenige Spieler enttäuscht zurücklassen.
Der dramaturgische Weg dorthin kommt während der etwa fünf Stunden Spielzeit wie seine Protagonisten nur schleppend voran, was vor allem in seiner geradezu bräsig schlingernden Marschroute begründet liegt: Ihr lauft die immer gleichen dunklen Straßen und Waldwege entlang, bis ihr an eine Häuserruine gelangt (mal ein verlassenes Haus, mal eine Fabrik, mal eine Kirche, sieht im Grau in Grau der ewig rabenschwarzen Nacht aber eh alles gleich aus), erlebt einen Flashback in die Vergangenheit, anschließend eine Meinungsverschiedenheit unter den ungleichen Charakteren und flieht schließlich vor einem Quicktime-Angriff der Monster. Dieses schablonenhafte Muster zieht das Spiel in eiserner Strenge und daher gelangweilter Routine und Vorhersehbarkeit bis zu seinem Ende gnadenlos durch.
Immerhin: Als sehr angenehm empfand ich, dass die Quicktime-Events deutlich seltener als in den vorherigen Spielen der Entwickler auftreten, sehr viel einfacher ausfallen und sich stets vorher ankündigen, sodass man sie nicht sofort vergeigt, wenn man während einer Zwischensequenz mal die Kaffeetasse in die Hand genommen statt den Controller weiterhin fest umklammert hat. Alle Entwicklerstudios seien dazu aufgerufen, dieses Prinzip zu übernehmen: Wenn schon Quicktimes, dann bitte so!
Nun ist das Märchen von Hans und Gretel aus
Auch in den Disziplinen, mit denen sich der Vorgänger Man of Medan noch positiv hervortat, kann Little Hope nicht an dessen Qualitäten anschließen. Während der Koop-Modus dort noch eine faszinierende Erfahrung darstellte, in der zwei Spieler die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven erleben, besteht er hier meist nur darin, nebeneinanderher die Straße entlangzuspazieren. Wenn sich in Man of Medan die Wege der beiden Spieler trennten, erzeugten die Lücken in der Handlung meist Neugier und spannungsgeladene Unsicherheit. In Little Hope erschweren sie oftmals lediglich das Verständnis der Geschichte.
Auch die Entscheidungen, die in Man of Medan in stellenweise stark unterschiedliche Abläufe der Geschehnisse mündeten, bewirken in Little Hope zwar noch durchaus beeindruckende Variationen in nahezu jedem einzelnen Dialog und jeder Szene. Meist machen sie sich jedoch lediglich in irrelevanten Nebensächlichkeiten bemerkbar, die für das Gesamtgeschehen weitgehend vernachlässigbar sind – etwa wenn im einen Spieldurchlauf der eine Charakter mutig vorangeht und in einem anderen eben ein anderer. Selbst die meisten der stark unterschiedlichen Enden ergeben sich nur ansatzweise aus euren zuvor getroffenen Entscheidungen während des Spielens, sondern anhand einer einzigen, der allerletzten Aktion im Finale. Trotz viermaligem Durchspielen hielten sich die Unterschiede in meinen Handlungsverläufen sehr in Grenzen. Mehr Fleißarbeit der Entwickler, als Wiederspielanreiz für den Spieler.
Selbst die wieder mal beeindruckend hochwertig produzierte Grafik von Little Hope hat ihre Licht- und Schattenseiten – vor allem weil sie fast ausschließlich genau daraus besteht: Licht und Schatten. Das ganze Spiel über seid ihr unentwegt im selben nur vom Schein der Taschenlampe erhellten Dunkel der Nacht unterwegs, das jedes auch noch so verschwenderisch detaillierte Objekt und jede wunderschön hochaufgelöste Textur vor den Blicken verhüllt und dazu führt, dass alles am Ende doch einfach nur gleich und trist aussieht.
Bestaunenswert lebensecht fallen auch wieder die virtuellen Pendants des Schauspieler-Ensembles aus, diesmal angeführt von Hollywoodstar Will Poulter (Maze Runner, Detroit, Black Mirror: Bandersnatch), deren Gesichtsfalten jedoch wie schon in den vorherigen Spielen von Supermassive Games in bestimmten Momenten vom Uncanny Valley unnatürlichen Augenrollens und grimassenhafter Mimik durchzogen werden. Worüber man in Until Dawn und Man of Medan noch wohlwollend hinwegsehen mochte, mag im Zeitalter von The Last of Us 2 und Death Stranding jedoch nicht mehr im gleichen Maße gelingen.
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