Test - Steins;Gate Elite : Besser wird's nicht
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Steins;Gate erschien ursprünglich bereits 2009, wurde seitdem auf verschiedenste Plattformen portiert und erhielt sogar eine Anime-Serie und einen Kinofilm. Bis heute gilt es unter Fans des Genres als eine der besten, wenn nicht sogar die beste Visual Novel überhaupt. Wer schon immer damit geliebäugelt hat, in diese hierzulande auf den ersten Blick etwas merkwürdig wirkende Erzählform hineinzuschnuppern, hat jetzt die ideale Gelegenheit dazu. Denn SteinsGate kommt mit ein paar Jahren Verspätung in seiner stark verbesserten Elite-Version endlich auch nach Deutschland für PS4, Xbox One und Switch.
SteinsGate handelt vom japanischen Studenten Rintaro Okabe, der sich selbst für einen genialen Erfinder hält. Jedoch, wer sich selbst die Berufsbezeichnung „Mad Scientist“ auf seine Visitenkarte schreibt, der kann wahrlich nicht ganz richtig im Kopf sein. Okabe sieht sich selbst vermutlich als eine Mischung aus Daniel Düsentrieb, Dr. Evil und Luke Skywalker: ein Rebell gegen das System, der in seinem Labor an futuristischen Apparaturen bastelt, um damit das böse Imperium zu stürzen: eine Weltverschwörung, die lediglich als „die Organisation“ bekannt bzw. eingebildet ist. Denn wie viel von seinen Prahlereien lediglich Wahnvorstellung, kindische Allmachtsfantasie oder gar Realität ist, weiß zunächst keiner so genau.
Bis er eines Tages etwas erfindet, das tatsächlich funktioniert, auch wenn keiner genau weiß, warum: Aus einer Mikrowelle baut er eine Zeitmaschine, mit der sich Nachrichten per E-Mail in die Vergangenheit schicken lassen. Schon bald merken er und seine Freunde allerdings, dass sie dadurch die Zeitlinie auf eine Weise verändern, die zunehmend außer Kontrolle gerät und großes Unheil heraufbeschwört ...
Gleichzeitig erfahren sie aus der Zukunft von einer drohenden Katastrophe, die die Welt ins Chaos stürzen wird. Nur mit der Hilfe eines weiteren Zeitreisenden aus eben jener Zukunft scheint es möglich, dies zu verhindern. Doch dadurch machen sie sich einen übermächtigen Gegenspieler zum Feind, der die Kontrolle über Raum und Zeit selbst an sich zu reißen versucht.
Eine Visual Novel, wie sie im Buche steht
Wer mit dem Genre der Visual Novel nicht vertraut ist – und hierzulande werden das nicht Wenige sein – der dürfte beim „Spielen“ von SteinsGate zunächst etwas irritiert sein. Die Anführungszeichen sind ganz bewusst an dieser Stelle gesetzt: Denn mit einem richtigen Spiel im engeren Sinne hat dieses Erzählgenre nur sehr wenig gemein. Eine Visual Novel ist zunächst einmal genau das, was der Name sagt: ein illustriertes Buch. Das bedeutet: viel, viel lesen, viele, viele Dialoge wegklicken, und ein paar leidlich animierte Bilder dazu anschauen.
Zwar trifft der Spieler (oder besser gesagt: Leser) hin und wieder auch Entscheidungen und beeinflusst dadurch den weiteren Handlungsverlauf, doch sollte man sich das nicht so vorstellen, wie man es von westlichen Spielen wie Life is Strange, den Telltale-Adventuren oder einem Choose-your-own-Adventure-Buch gewohnt ist. Die meiste Zeit über seid ihr lediglich damit beschäftigt, Dialogzeilen wegzuklicken.
Lediglich etwa alle halbe Stunde werdet ihr dazu aufgefordert, in einer kurzen E-Mail eines von mehreren hervorgehobenen Worten auszuwählen. Diese wirken meist recht willkürlich und lassen nicht die geringsten Rückschlüsse darauf zu, in welcher Weise eure Wahl das weitere Geschehen beeinflusst. Das „Spiel“ könnte ebenso gut auf diese Form der Interaktion verzichten und als reiner Anime auf DVD verkauft werden, würde es durch euer „Eingreifen“ nicht in eins von zwei Enden münden, die zum erneuten Durchspielen nicht nur ermutigen sollen, sondern es fast schon notwendig machen, um den Gesamtzusammenhang zu begreifen und das „wahre“ Ende herbeizuführen.
Boom schlaber laber
Bis es dazu kommt, wird einige Zeit vergehen. SteinsGate handelt nicht nur von Zeit, es nimmt sie sich auch. Jede Menge davon. 30 bis 40 Stunden solltet ihr bis zu einem der möglichen Enden einplanen, ungefähr 50, wenn ihr auch die anderen zu Gesicht kriegen wollt – was aufrichtig zu empfehlen ist, denn nur in der Kombination ist das Geschehen in seiner Gänze zu erfassen. Tipp: Selbst die „Game Over“-Enden, die schon vorzeitig in eins der „bösen“ Enden münden, sind sehr empfehlenswert und fügen dem Geschehen und seinen Figuren eine kraftvolle emotionale Tiefe hinzu.
SteinsGate nimmt sich nicht nur Zeit, es lässt sie sich auch: um ausführlich in die Gefühlswelten seiner Figuren vorzudringen, wissenschaftliche Theorien über Zeitreisen und Schwarze Löcher vorzutragen oder einfach mal ganze Handlungsfäden mühevoll aufzuspinnen, nur um sie kurz darauf wieder fallenzulassen und sie für mehrere Stunden aus den Augen zu verlieren, bevor sie wieder aufgegriffen werden.
Nicht selten werden Sachverhalte und Nebensächlichkeiten, die man als Spieler in 2 Sekunden begriffen hat, in mehrstündigen Debatten bis ins letzte Detail aufgedröselt und ausgewalzt. Wie es dem japanischen Erzählstil eigen ist, ergeht es sich in teilweise ermüdendem Geschwafel, das sich vor allem in den ersten 15 Stunden des Spiels endlos im Kreis zu drehen scheint. Man fühlt sich erinnert an damals, als die Kickers gefühlt drei ganze Folgen brauchten, um einen einzigen Freistoß zu schießen.
In nicht enden wollender Ausführlichkeit etwa wohnt man den Freunden während ihrer wissenschaftlichen Experimente bei, mit denen sie den Eigenschaften von Zeitreisen auf die Spur zu kommen versuchen. Was andere Spiele oder Filme in wenigen Sätzen erklären würden (man denke an Doc Browns Ansprache auf dem Supermarktparkplatz), breitet SteinsGate über geschlagene fünf Stunden hinweg aus. Was anfangs wie die Unfähigkeit der Autoren für effizientes Erzählen scheint, stellt sich jedoch bald als Methode heraus. SteinsGate ist wie eine Spinne in ihrem Netz, die lange Zeit regungslos verharrt, um dann zuzuschlagen, wenn ihr das Opfer schon längst rettungslos ausgeliefert ist.
Man braucht anfangs schon etwas Geduld und Sitzfleisch, um sich darauf einzulassen. Doch das wird man unweigerlich. Garantiert. Fast unmerklich webt SteinsGate sein Netz aus Handlungsfäden, aus dem es vor Spannung irgendwann kein Entkommen mehr gibt. Man sollte SteinsGate womöglich am besten weniger mit der Erwartung angehen, ein Spiel zu spielen, als vielmehr eine Anime-TV-Serie zu „bingen,“, wie man neudeutsch sagt, nur dass man hier nach jedem gesprochenen Satz einen Knopf drücken muss, damit der nächste abgespielt wird. Mit seiner Spieldauer liegt SteinsGate immerhin auch von der Länge her nahe an einer kompletten Serienstaffel. Immerhin ist SteinsGate in der Elite-Version für sein Genre verhältnismäßig aufwändig produziert, mit vielen Animationen aus der auf dem Spiel basierenden Serie, die es auch visuell wie eine Anime-Serie wirken lassen. Eine etwas billige Anime-Serie zwar, dafür aber eine ziemlich gute.
Denn die Dialoge von SteinsGate mögen zwar extrem ausschweifend geraten sein, sind dafür aber auch exzellent geschrieben. Als wären die Worte Akrobaten im Zirkus pendeln sie ständig in der unnachahmlichen, typisch japanischen Art zwischen großem Pathos und bizarr albernem Humor, zwischen zarten Gefühlen und kühlem Kopf, stets mit einem liebevollen Blick fürs Detail, der aber immer nur so viel enthüllt, um genug Fragen im Dunkeln zu lassen, damit die Spannung zunehmend dem Anschlag entgegen steigt.
Wer schon immer mal ins Genre der Visual Novels reinschnuppern wollte, der sollte das mit SteinsGate tun. Entweder ihr liebt es, oder ihr hasst es. Aber viel besser wird’s nicht.
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