Test - Sackboy: A Big Adventure : Niedlich, herzig, harmlos
- PS5
Nintendoesque zu sein ist keine Schande. Soll heißen: herzig, familienfreundlich und für jedermann zugänglich. Das bedeutet aber auch, dass der PS5-Starttitel Sackboy: A Big Adventure weniger Erbgut von Little Big Planet verwurstet als von gängigen Mario-, Yoshi- und Kirby-Spielen. Von ausladenden Level-Editoren – dem einstigen Alleinstellungsmerkmal der Abenteuer von Sackboy – fehlt diesmal jede Spur. Sumo Digital springt als kreative Quelle ein und ändert im Vorbeigehen einige Regeln, die geschulte Hüpfspielprofis aus der PS3-Zeit kennen.
Ist er nicht knuffig, der kleine Sackboy? Mit seinen Knopfaugen, seinem Körper aus gestricktem Garn, seinem ansteckenden Lächeln? Schon komisch, dass er nach seiner großen Zeit auf der PS3 und einem guten PS4-Auftritt sang und klanglos von der Bildfläche verschwand, war er doch schon auf dem besten Weg, zum Maskottchen für die PlayStation zu werden.
Und ein technisches Vorzeigeprodukt noch dazu. Mal ganz abseits des hochgelobten Level-Editors der Little-Big-Planet-Serie stach immer wieder das optische Detail ins Auge. Genauer gesagt, die Qualität der Oberflächen-Texturen. Ein Merkmal, das Nintendo-Spiele wie Yoshis Woolly World und Vertreter aus der Kirby-Reihe später maßgeblich beeinflusste. Wollmuster, Nähte, Häkelwerk, Geflechte und andere Handarbeiten verzierten nicht nur fantasievolle Hüpfspiel-Level, sie festigten auch den Eindruck, einer Miniaturwelt beizuwohnen.
Sackboy: A Big Adventure steht dieser Tugend in nichts nach. Überall, selbst im Startbildschirm, vermitteln diverse Objekte die Illusion, sie bestünden aus gestricktem und gehäkeltem Material. Sie sind biegsam und weich, zugleich strapazierfähig und stabil. Plattformen, die aus weichen Kissen bestehen, Wattebausch-Brücken, Jeans-Plattformen, Putzschwamm-Kreisel und viele andere Elemente, auf denen der kleine Held herumturnt, entführen augenblicklich in eine Umgebung, die gut und gerne der Fantasie eines kleinen Kindes beim Tagträumen entspringen könnte.
Es sind Kleinigkeiten, die euch regelmäßig zurück in diesen Traum ziehen. Etwa ein starker Unschärfeeffekt bei naheliegenden Objekten, der den Eindruck erweckt, die Kamera sei gigantisch groß und hätte Probleme, das Geschehen auf so kleiner Fläche einzufangen. Vom geballten Niedlichkeits-Overkill aller Lebewesen ganz zu schweigen. Es ist also beinahe so, als wäre Sackboy nie weg gewesen. Was natürlich nicht stimmt, und das hat seine Gründe. Little Big Planet brauchte eine Veränderung. Hier ist sie nun also, denn Sumo Digital schraubte hier und da am Konzept.
Mehr optische Tiefe
Regel Nummer eins: Alles ist dreidimensional, das Spielfeld scrollt also in alle Richtungen. Für Sackboy eine Premiere, schließlich gab Little Big Planet früher einen 2.5D-Sidescroller Spielaufbau vor. Vorbei ist zudem die Zeit, in der der kleine Held mit dem großen Kopf quer durch die Genres hinweg agierte. Nun wird nur noch gerannt, gesprungen und purzelbaumschlagend gerollt, was angesichts der neuen, leider steifen Kamera mit schräg angewinkelter Perspektive noch immer etwas schwammig rüberkommt. Ähnlich wie bei Crash Bandicoot lassen sich Distanzen und nicht zuletzt Sprunghöhe des Strickknirps manchmal schlecht einschätzen.
Bei allem anderen ist Jump-and-Run-Routine das naheliegende Stichwort. Bösewicht Vex entführt alle Sacklinge und verdonnert sie zu Sklavenarbeit. Nur Sackboy entkommt seinen finsteren Plänen. An ihm liegt es nun, die magischen Orbs der Fantasiewelt zu sammeln, Vex zu bekämpfen und seine Freunde zu befreien.
Das Mittel zum Erfolg heißt Sammelwut. Kleine Orbs, große Orbs, Kupferschellen, und Verkleidungen wollen aus diversen Gefäßen befreit und eingesammelt werden. Schellen und Traumorbs liegen zum Beispiel überwiegend in großen, fruchtähnlichen Blasen. Sie erinnern an Kürbisse und lassen sich durch beherzten Sprung von oben oder durch ein paar Fausthiebe knacken, auf dass die Beute herauspurzelt.
Sammeln ist also das A und O – das Hauptwerkzeug zum Messen des Erfolgs am Ende eines Levels. Je mehr Orbs ihr mit Sackboy einsackt (haha, Schenkelklopfer!), desto mehr Schellen landen als Belohnung in seinem Beutel. Diese Glöckchen könnt ihr wiederum in einem Laden gegen Verkleidungen und Emotionen eintauschen. Kosmetische Nebensächlichkeiten, die ihr für die eigene gute Laune sammeln oder auch völlig ignorieren könnt. Am Spielfortschritt sind sie nicht beteiligt, neue Level spielt ihr nämlich schlicht durch Beenden der vorhandenen Aufgaben frei. Wohin es dann als nächstes geht, bestimmt ihr eigenhändig auf einer Oberwelt, die ein paar Verzweigungen offeriert, bevor sie in Brettspielmanier den Pfad zum obligatorischen Bosskampf zeichnet.
Klingt nach Hüpfspiel aus dem Lehrbuch und bricht auch nur selten aus den Basisregeln des Genres aus. Abzweigungen zu Bonusleveln mit Geschicklichkeitsaufgaben oder Speedrun-Herausforderungen, die ihr erst durch das Finden goldener Würfel freischaltet, wirken also wenig überraschend. Solide Standardkost.
Ein langer, träger Einstieg
Aber wie sieht es denn inhaltlich aus? Antwort: Durchwachsen. Wer nur die ersten beiden der insgesamt sechs Welten zu Gesicht bekommt, wundert sich mit großer Wahrscheinlichkeit über einen Mangel an spielerischer Inspiration. Sackboy: A Big Adventure sprüht zwar vor witzigen Präsentationskniffen, niedlichen Gegnern und allgemein schöner, wenn auch wenig Next-Gen-qualifizierter Grafik, die ihre audiovisuelle Herzigkeit mit vollem Elan versprüht, aber spielerisch bleibt Sackboys neuester Streich über lange Strecken hinweg eintönig.
Klar ist es cool, durch ein Level zu hüpfen, dessen Einzelteile im Takt zu Mark Ronsons „Uptown Funk“ zappeln. Dreht man den Lautstärkeregler allerdings herunter, entpuppt sich auch dieser Spielabschnitt nur als ein weiterer, in dem der Held inspirationslos vom Start zum Ziel rennt, ab und zu Gegnern auf den Kopf hüpft, um sie zu beseitigen und ansonsten nur Orbs aufsammelt, die auf dem Weg liegen. Nicht falsch verstehen: Sämtliche Aufgaben sind handwerklich in Ordnung. Man sucht nach Geheimgängen mit Bonus-Orbs, ergreift die Flusen an rotierenden Schaumstoffrollen, um sich durch die Gegend schleudern zu lassen, oder passt Ebbe und Flut in einem Wasserlevel ab. Alles nicht schlecht, aber eben auch nicht brillant.
Trotzdem dürft ihr nicht zu voreilig urteilen. Diese Kritik betrifft nämlich – wie schon erwähnt – nur die ersten beiden Welten, in denen Sackboy: A Big Adventure aus unerfindlichen Gründen nicht aus dem Knick kommen will. Kurz vor Welt drei erwacht das Spiel völlig unvorhergesehen aus seinem Dornröschenschlaf. Es präsentiert plötzlich neue Spielmechaniken, schweift vom reinen Sammelwahn ab und legt auch im Schwierigkeitsgrad eine gesunde Portion zu. Zwar nicht durchgehend, denn in allen nachfolgenden Welten verbleiben einige Standard-Entwürfe mit Gähnfaktor, aber die Frequenz spritziger Ausnahmen steigt rapide. Sei es durch automatisch scrollende Spezialausflüge oder durch besondere Werkzeuge.
Huch, hier ist ja doch was los!
Grundsätzlich bereiten alle Level, in denen Sackboy einen Bumerang werfen darf, doppelt so viel Spaß wie der Satz an Standard-Entwürfen. Der Bumerang erhöht seine Aktionsreichweite, macht ihn bei Feindkontakt flexibler, räumt Objekte aus dem Weg, die manchmal zwar nachwachsen, aber zumindest temporär die ermüdende Linearität anderer Level aufbrechen. Kurzum: er verschafft dem Spiel in allen Belangen mehr Action.
Ähnlich verhält es sich mit jenen Spielabschnitten, in denen der Held ein Seil als Enterhaken verwenden darf. So simpel das Werkzeug als Stilmittel auch klingen mag, es dreht alle Verhältnisse auf den Kopf und hilft Sackboy im wahrsten Sinne des Wortes bei einer dynamischen 180-Grad-Wende. Aus gemächlichem Level-Abklappern wird ein actionorientierter Geschicklichkeitstest mit aufregenden Plattformkonstellationen und unerwarteten Weitsprung-Herausforderungen.
Timing, Koordination und strategisches Vorgehen sind plötzlich gefragt. Da verzeiht man gerne, dass ein Teil der Aufgaben schamlose Kopien (oder zumindest Abwandlungen) aus den letzten Super-Mario-, Yoshi- und Kirby-Abenteuern sind. Letzteres als ernsthafte Kritik anzuführen, klingt sowieso seltsam angesichts der kreativen Grenzen dieses Genres, aber es ist schon auffällig, dass Sumo die Stärken des Spiels erst dann zur Schau stellt, wenn es sich an etablierten Beispielen orientiert. Sony-Fans dürfte das nicht stören. Kinder und Familien, die Spielspaß mit geringem Frustfaktor suchen, schon gar nicht.
Einzig die Bosskämpfe am Ende jeder Welt halten sich nicht ganz an die Doktrin der Einsteigerfreundlichkeit. Nein, sie fallen nicht frustrierend schwer aus, aber im Gegensatz zum Rest des Spiels verlangen sie ein wenig Sitzfleisch und Beobachtungsgabe. Zwei Feindtreffer kosten Sackboy ein Leben, und von denen hat er in jedem Level maximal vier. Klingt nach einem ordentlichen Polster, schmilzt aber schnell zusammen, wenn ein gigantischer Tausendfüßler in Windeseile durch den Boden bricht und nur in kurzen Abschnitten seiner Bewegungsmuster verletzt werden kann.
Nun, geteiltes Leid ist halbes Leid und lässt sich dank Vier-Spieler-Funktion sogar auf ein Viertel reduzieren. Einige wenige Level verweigern sogar Solisten den Zutritt. Einziger Nachteil: Je mehr Spieler auf einmal die Umgebung bevölkern, desto mehr schwindet die Übersichtlichkeit. Trotz der farblichen Trennung der Darsteller durch krasse Helligkeitsunterschiede (und im Idealfall durch die Outfits aus dem Shop) entsteht schnell Chaos. Aber zumindest erklärt der Modus, warum die Kamera allgemein so steif bleibt. Mit dynamischer Kamerabewegung wäre das Chaos noch größer.
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