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Test - Road 96: Mile 0 : Test: Der Nachfolger zum Indie-Meisterwerk ist eine riesige Enttäuschung

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„Ein Meilenstein für das Genre der interaktiven Geschichten“ überschrieben wir unseren Test zum Vorgänger Road 96. Das Spiel vom französischen Indie-Entwickler DigixArt generierte seine Handlung bei jedem Durchlauf abhängig von euren Entscheidungen neu und erzählte dabei eine übergreifende, mitreißende Geschichte zwischen bissiger Politsatire und atmosphärischem Road-Movie. Der Nachfolger Road 96: Mile 0 nicht.

In meinem Test zum Vorgänger Road 96 im Sommer 2021 geriet ich regelrecht ins Schwärmen. Denn wider Erwarten handelte es sich bei dem interaktiven Road-Movie nicht um den x-ten Trittbrettfahrer in der Telltale-Kolonne, sondern einen kleinen Meilenstein fürs Genre, indem die Geschichte des Spiels durch einen Algorithmus stets neu aus einzelnen Bausteinen zusammengesetzt wurde.

Road 96 formulierte aber auch eine zynische Gesellschaftskritik über die Gefahren rechtspopulistischer Politik am Vorbild der damalig aktuellen Trump-Präsidentschaft. Und breitete diese in der Form eines Road-Trips aus, der so vielfältig ausfiel wie die Menschen, denen man darauf begegnet, und die Situationen, die man erlebt: mal aufregend, mal witzig, mal herzerwärmend oder auch einfach mal banal.

Road 96 stellte euch immer wieder vor Entscheidungen, die den Verlauf der Geschichte beeinflussten und eure Haltung innerhalb des gesellschaftlichen Geflechts definierten, und ließ diese am Ende stets im Nervenkitzel kulminieren, ob es einem gelang, die Grenze zu überqueren, oder man beim Versuch draufging. Nicht einmal die sonst so verschrienen Minispiele nervten, sondern taten sich auf geradezu subversive Weise als gewitzt und vielseitig hervor. Diesen Punkt behalten wir für später gesondert im Hinterkopf. Halten wir an dieser Stelle einfach nur fest: Dem Nachfolger Mile 0 gelingt nichts von alledem.

Story: ein Prequel vor dem Road-Trip

Das ist zunächst auch gar nicht schlimm, sondern zeichnet ihn im Gegenteil aus. Die Entwickler machen nicht den Fehler, den ersten Teil schlicht wiederholen zu wollen, was nur hätte schiefgehen können. Stattdessen schlagen sie bewusst einen neuen Weg ein. Nur biegen sie schon bald in eine völlig falsche Richtung ab. Doch von vorne.

Bei Road 96: Mile 0 handelt es sich um ein sogenanntes Prequel. Es erzählt die Vorgeschichte von Zoe, dem rothaarigen Mädchen, dem man im Vorgänger wiederholt auf seiner Reise begegnete. Zoe stammt aus reichem Hause. Sie ist die Tochter eines hochrangigen Ministers im Kabinett von Präsident Tyrak, der schon im Vorgänger als dystopisches Abbild von Donald Trump auftrat und in Mile 0 sein Versprechen von Sicherheit und Ordnung rücksichtslos durchsetzt, indem er das Land zusehends in einen Polizeistaat verwandelt.

Das genaue Gegenteil von Zoe stellt ihr Freund Kaito dar. Als Kind einer Migrantenfamilie lebt er in Armut und unwürdigen Verhältnissen, erfährt zunehmend gesellschaftliche Verachtung und Ausgrenzung. Als Zoe herausfindet, dass er und seine Eltern mit dem Widerstand gegen das Regime sympathisieren, gerät sie in einen Strudel der Ereignisse, die ihr durch eure Entscheidungen maßgeblich mitformt: Unterstützt sie ihren Freund und riskiert so den Bruch mit ihren eigenen Überzeugungen und dem Elternhaus? Und wie verhält sich Kaito in der sich zuspitzenden Situation – bleibt er ein vorsichtiger Beobachter oder erklimmt er als radikaler Revoluzzer selbst die Barrikaden in dem Risiko, dabei einen Bürgerkrieg anzuzetteln, der mehr Schaden anrichtet als er verhindert?

Wie an diesem Beispiel zu sehen: Ihr spielt die beiden Protagonisten Zoe und Kaito stets im Wechsel und schmiedet durch eure Entscheidungen schlussendlich ihrer beiden Schicksal: Begehrt ihr gegen die übergriffigen Polizisten auf, schlägt euer Gesinnungsbalken in die aufrührerische Richtung aus, haltet ihr euch hingegen bedeckt, gewinnt die vorsichtige Seite eurer Persönlichkeit an Punkten. Im Gegensatz zum Vorgänger durchquert die Handlung diesmal keinen kompletten Staat, sondern bleibt stets an einem Ort, dem Wüstenstädtchen White Sands, dessen Lokalitäten die Schauplätze für die einzelnen Kapitel bilden: die Bauruine, in der sich die beiden Teenager einen heimlichen Rückzugsort geschaffen haben, Zoes Kinderzimmer im luxuriösen Anwesen ihres Vaters, die Innenstadt, in der sich die angespannte Lage zwischen Passanten, Polizei und Medien immer weiter aufheizt.

Der verdichtete Handlungsort ist von den Entwicklern geschickt gewählt, weil er einen starken Kontrast zum mäandernden Verlauf des Vorgängers bildet und in seinen wiederkehrenden Schauplätzen die ideale Bühne liefert, um die Stationen der verhängnisvollen Entwicklungen nachzuverfolgen, durch die sich eine freie Gesellschaft schrittweise in eine Diktatur wandelt.

Leider findet sich in diesem Punkt bereits die erste Enttäuschung von Road 96: Mile 0. Denn wo es dem Vorgänger noch subtil gelang, seinen Road-Trip zum Schaufenster und Brennglas auf ein Land zu machen, das als dystopisches Zerrbild vor aktuellen politischen Tendenzen mahnt, schlägt die Gesellschaftskritik des Prequels einfach nur blind in alle Richtungen, ohne genau zu wissen, was sie nun eigentlich kritisieren will. Böse Politiker sind halt böse. Die Schere zwischen Arm und Reich ist schlecht, Überwachung und Polizeigewalt auch. Und dann noch irgendwas mit Migranten. Wenn man nur einfach immer irgendwo nach rechts zielt, trifft es am Ende schon irgendwie den Rechten.

Mile 0 tritt dergestalt lediglich Türen ein, die ohnehin meilenweit offen stehen und daher nirgendwohin führen. Statt besorgniserregende Zustände zu benennen und die Konsequenzen aufzuzeigen, gibt es lediglich einen pauschalen Streuschuss ins Ungefähr ab, der zwar irgendwo alles Mögliche zu treffen vorgibt, aber bei näherer Betrachtung kein richtiges Ziel findet. Die Diskussion, die das Spiel dadurch anstoßen möchte, führt es hauptsächlich nur mit sich selbst, weil es kaum um aktuelle politische Themen kreist, sondern lediglich um den eigens geschaffenen fiktiven Kosmos.

Leider wird dieser Mangel an Fokus auch an keiner anderen Stelle von der Geschichte aufgefangen. Wo der Vorgänger auf den Stationen seines Road-Trips stets mit neuen Erlebnissen, eindrücklichen Momenten und illustren Figuren überraschte, beharrt das Prequel stur auf seinen Gestus des mahnenden Zeigefingers und verlässt sich ansonsten fast ausschließlich auf den penetranten Fan-Service wiederkehrender Charaktere. Allenfalls die Freundschaft zwischen Zoe und Kaito bildet ein erkennbares Fundament von authentischer Coming-of-Age-Realität, erstickt diese aber in der Melodramatik verschwiegener Geheimnisse und schwülstiger Debatten.

Minispiele: verlorene Harmonie

Dabei schwebte den Entwicklern für diese menschelnde Facette eigentlich eine elegante Leichtigkeit vor, die das Aushängeschild von Road 96: Mile 0 hätte bilden soll, ihm aber zu seinem größten Kritikpunkt und schlussendlich zum Verhängnis wird. Denn das Spiel kleidet Momente der besinnlichen Auszeit, der dramatischen Verdichtung oder einfach nur des heiteren Schwanks in Minispiel-Szenen, in denen Zoe und Kaito auf ihr Skateboard steigen und zu fetziger Musik (der Soundtrack ist ganz klar das Highlight des Spiels!) durch eine Traumwelt brettern und darin die aktuelle Situation wie in einer Art Musikvideo metaphorisch reflektieren.

Erinnert ihr euch, wie ich eingangs erwähnte, dass im Vorgänger sogar die Minispiele eine irgendwie ganz gewitzte Randnotiz einnahmen? Nun, im Nachfolger bilden sie einen wesentlichen Bestandteil des Gameplays, nehmen zeitlich sogar etwa ein Drittel des Spiels ein - und nerven tierisch. Entwickler DigixArt verschmilzt auf diese Weise ihren narrativen Indie-Hit Road 96 mit ihrem deutlich älteren Geschicklichkeits-Musikspiel Lost in Harmony, aus dem im Übrigen auch der Charakter Kaito stammt, und lässt dadurch zusammenwachsen, was nie und nimmer zusammengehört.

Ihr fahrt in jenen Szenen auf dem Skateboard in halsbrecherischem Tempo einen Parcours entlang, müsst blitzschnell Hindernissen ausweichen, darüber hinwegspringen oder unter ihnen durchrutschen, absolviert hin und wieder Quicktime-Events, sammelt unnütze Sternchen für den Highscore ein und sterbt Dutzende Tode, wenn ihr solcherlei Spielen genauso unfähig oder einfach nur leidenschaftslos gegenübertretet wie ich.

Mag sein, dass sich Spielernaturen davon begeistern lassen (oder zumindest weniger daran stören), die Gefallen an reaktionsschnellen Rail-Racern wie Thumper & Co. finden oder ihnen zumindest aufgeschlossener gegenüberstehen. Doch die Schnittmenge zwischen Fans von interaktiven Geschichten und derjenigen von Hochgeschwindigkeits-Hindernisrennen dürfte schätzungsweise nicht allzu groß ausfallen. Zumindest ich für meinen Teil spiele solche Spiele in der Regel unter anderem auch genau deshalb, um von derartigem Gameplay verschont zu bleiben. Und selbst wenn ich von meiner persönlichen Abneigung für einen Moment absehe und mich mental bereit erkläre, mich darauf einzulassen, so kann ich nicht umhin festzustellen, dass diese Form von Einstreusel spielerisch reichlich banal ausfallen und ihr vorherrschender Zweck darin zu bestehen scheint, dass sie die mit vier Stunden sehr kurze Spielzeit strecken und ansonsten vom allgemein leidlich einfallsreichen Zustand des Spiels ablenken sollen.

Road 96: Mile 0 - Prequel zum Road-Adventure angekündigt - Trailer

Am 4. April 2023 erscheint mit Road 96: Mile 0 ein Prequel zum Road-Adventure Road 96, das zwei Teenager in den Fokus rückt.

Immerhin entwickelt der Grafikstil in diesen Szenen mit einer rasanten Musikvideo-Inszenierung seine Glanzmomente. Den Rest des Spiels über schabt er jedoch nahe am Rand eines Totalausfalls. Dass eine Indiespiel-Produktion wie diese mit einem höchst beschränkten Budget auskommen muss, steht außer Frage. Dass die Entwickler sich aber nicht einmal ansatzweise Mühe zu geben scheinen, diese Umstände stilistisch aufzufangen, wie es Indiespielen oftmals höchst einfallsreich gelingt, wirkt geradezu wie ein Offenbarungseid. Wo der Vorgänger seine kantigen Figuren zumindest zwischenzeitlich immer mal durch malerische Momente zu kontrastieren wusste, sieht Mile 0 über die komplette Spielzeit einfach nur billig und hässlich aus.

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Um dennoch versöhnlich zu enden, sei abschließend ein weiteres Mal der Soundtrack hervorgehoben, der das eindeutige Highlight des Spiels darstellt und in seiner Spannweite von avantgardistisch bis massentauglich mitunter fast schon frech die aktuelle Gemütslage des Geschehens einfängt: gefälliger Teenie-Pop in Zoes Kinderzimmer, sphärischer Post-Rock in den melancholischen Momenten, schrammelnde E-Gitarren auf dem Ritt durchs Albtraumland oder Gute-Laune-Swing auf einer sorglosen Fahrt auf dem Skateboard.

Und irgendwo zwischen all diesen widerstreitenden Polen erhascht man den Hauch einer Ahnung davon, wo die Entwickler mit ihrem Spiel ursprünglich mal hinwollten, auf dem Weg dorthin aber genau wie ich in den Quicktime-Events nicht die richtigen Knöpfe zu drücken wussten.

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