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Test - Reveil : Test: In diesem Horror-Spiel ist nichts wie ihr es erwartet

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Psychologischer Horror. Bei diesem Stichwort assoziiert man als langgedienter Gamer sofort zahlreiche einschlägige Klischee-Bilder: unheimlich klappernde Türen, entstellte Babypuppen, schlurfende Mädchen mit langen Haaren im Gesicht, düstere Gänge und natürlich: Jumpscares. Nicht zu vergessen ein „überraschendes“ Ende, bei dem sich herausstellt, dass das Grauen nur Halluzination war, mit der der Protagonist ein Trauma verarbeitet. Mit Reveil bedienen die deutschen Entwickler von Pixelsplit und ihr Publisher Daedalic solcherlei Versatzstücke bewusst, um sie unvorhergesehen zu brechen und euch dort zu überraschen, wo ihr es am wenigsten erwartet.

Zu Beginn des Spiels erwacht ihr in der Rolle von Walter Thompson aus einem seltsamen Traum. Doch damit beginnt für ihn der eigentliche Albtraum erst: Seine Wohnung befindet sich in einem desolaten Zustand. Überall stapeln sich leere Bierflaschen, vergammelte Essensreste und Pillendosen. Von seiner Frau und seiner Tochter fehlt auf rätselhafte Weise jede Spur. Die Ahnung verdichtet sich, dass etwas Grauenhaftes vorgefallen sein muss, an das sich der Protagonist nur schemenhaft erinnert.

Erwarte das Unerwartete

Doch gerade als uns zu schwanen beginnt, dies alles sei möglicherweise nur ein Traum, narrt Reveil seine Spieler zum ersten Mal: Denn um das, was wir als „überraschende Wendung“ schon meilenweit gegen den Wind zu riechen meinen, macht das Spiel überhaupt kein Geheimnis. Unversehens bricht die Realität aus ihren Fugen und fällt vor unseren Augen in sich zusammen. Auf einmal befinden wir uns in einem Zirkus, dem Ort, an dem unser Protagonist jahrelang als Bühnenbauer gearbeitet hat, dabei seine Frau kennenlernte und später mit ihr seine Tochter großzog, die bereits in jungen Jahren als Seiltänzerin und Trapezkünstlerin zum Star der Show avancierte. Bis das familiäre Glück ein jähes Ende fand …

Bereits mit seinem ersten Kapitel im Zirkus, bzw. dessen altmodischem Gruselkabinett, legt Reveil die Marschrichtung für seine ebenso doppelbödige wie ungewöhnliche Erzählweise fest: Hier geht es nicht um die realistische Repräsentation eines Geschehens, das man erlebt und zu einer Geschichte zusammensetzt, sondern um eine Erfahrung, deren Sinnzusammenhänge sich wie im Traum nur im Symbolhaften äußern und sich in einer surrealen Wahrnehmungswelt manifestieren, in der die Grenzen zwischen Realität, Erinnerung und Traumbild verschwimmen.

Und in der die Mechanismen einschlägiger Horror-Spiele und -Filme nur als Mittel, aber nie als Zweck eingesetzt werden, um sie im Zitat als das Klischee zu entlarven, das sie in dieser Art Videospiel schon lange sind. Entsprechend beginnt das Spiel mit einer Reise durch die wohl ungruseligste Geisterbahn, die man sich vorstellen kann, in der sich die Entwickler mit albernen Pappmonstern und an sichtbaren Fäden schwebenden Gegenständen über die abgeschmackten Jumpscares und plumpen Schreckmomente der Konkurrenz lustig zu machen scheinen.

Reveil erzeugt keine Schrecken, auch lässt es so etwas wie Spannung nur vereinzelt und zaghaft aufkommen. Stattdessen fordert es eure Wahrnehmung und Erwartung heraus, narrt etwa im Spiegelkabinett euren Orientierungssinn, führt eure Sinne in der Illusion optischer Täuschungen wiederholt in die Irre und schürt derartig eure Neugier auf die Fragen, die sie mit Andeutungen und Vexierbildern wie die Brotkrumen ihrer Geschichte ausstreuen: Handelt es sich bei den surrealen Szenen um wirkliche Erinnerungen? Oder verarbeitet das Unterbewusstsein des Protagonisten damit lediglich ein Erlebnis, vor dem sich sein Verstand aus gutem Grund verschlossen hat?

Traumhaft schöner Albtraum

Die Entwickler von Pixelsplit inszenieren diesen surrealen Fiebertraum in einer grafischen Exzellenz, wie sie eindrucksvoller für ein derart kleines Indiespiel kaum ausfallen könnte: in sagenhafter Detailverliebtheit, aber vor allem in einer Farbsprache und Lichtdramaturgie, an der man sich kaum sattsehen kann. Jeder Raum scheint geradezu in farbigem Licht getränkt zu sein, deren Beleuchtung ausgeklügelten Überlegungen folgt, bunte Scheinwerfer etwa bizarre Schatten an die Wände malen oder auch mal den Spieler unvermittelt blenden, sodass er den Weg vor sich oder bestimmte Winkel nicht einsehen kann.

Das Kinderzimmer der verschollenen Tochter wird einzig und allein von einer Nachttischlampe beleuchtet, die um die Behaglichkeit des Bettes eine warme Geborgenheit erzeugt, aber mit ihren rotierenden Mustern unheimliche Schatten an die nur düster illuminierten Wände wirft. Generell kann das für Videospiele ungewöhnliche Ambiente im Milieu der Schausteller und Zirkusartisten im anachronistischen Vintage-Design mit seinen farbenfrohen Kulissen, den liebevoll hölzernen Requisiten und mechanischen Gerätschaften ein ums andere Mal faszinieren.

Spielerisch tritt Reveil über weite Strecken in den Spuren der Walking-Simulatoren, die die Stimmung und das Vermitteln ihrer Geschichte über das Diktat des Gameplays stellen. Wenn es den Spieler dann doch mal vereinzelt mit einem Rätsel konfrontiert, scheinen diese gar in ihrer auffallenden Zurückhaltung und vorsätzlicher Einfallslosigkeit geradezu als Satire auf die Erwartungen und den Gameplay-Zwang konventioneller Spieleentwicklung zu fungieren.

Da müsst ihr mal die Sicherung für einen Rummelplatz-Automaten auswechseln, den Code für ein Kofferschloss entschlüsseln oder die Schalter an einer Maschine in der richtigen Reihenfolge betätigen – das war’s im Großen und Ganzen schon. Ein kurzes Versteckspiel mit einem Monster ist so plump und lieblos umgesetzt, dass man sich, wie bei so Vielem in diesem Spiel, unweigerlich die Frage stellt, ob es die Entwickler als ironischen Kommentar auf das zugehörige Videospiel-Klischee eingebaut haben oder sich schlicht einfach keine größere Mühe geben wollten.

Und noch während man dabei ist, die ersten Theorien zu entwickeln, was hier vor sich geht und auf welche Auflösung das Spiel wohl zusteuern mag, erwacht Walter Thompson wie der Protagonist von Prey erneut in seinem Bett, als sei nichts gewesen. Ist der Albtraum damit vorbei? Erhalten wir endlich Antworten? Natürlich nicht. Denn mit jedem Erwachen tauchen wir tiefer ein in seinen Wahnsinn, erleben wie in P.T. eine neue Variation desselben Grauens und erfahren dabei von weiteren Stationen seines Lebens: ein Kapitel spielt an Bord des Zuges, mit dem der Zirkus von Stadt zu Stadt reist, mitsamt der Tierkäfige für die Dressurnummern, ein anderes Kapitel setzt euch in einem finsteren Wald aus, in dem wir uns vor der Bedrohung eines umherschleichenden Slenderman in Acht nehmen müssen.

Fügen wir noch ein bisschen Outlast, Amnesia oder Layers of Fear hinzu - wie schon an der Nennung diverser Spielenamen im vorigen Absatz zu sehen war: Reveil gebärdet sich als eine Art „Greatest Hits“ des Horror-Genres, ohne dass es ihm aber recht gelingen will, diese zu einem „Best of“ zu formen. Das liegt vor allem daran, dass es abseits seiner Schlaumerei über gebrochene Genreerwartungen kaum etwas zu erzählen hat, das über das Grübeln auf die große Auflösung am Ende hinausginge. Und diese scheint schon nach kürzester Zeit so offensichtlich, dass ich mich die meiste Zeit des Spiels über andauernd fragte, was zum Geier die Entwickler noch aus dem Hut zaubern wollen, das nicht vorhersehbar wäre und mich noch überraschen würde.

Ein einziger großer Hütchenspielertrick

Und an dieser Stelle wird es schwer für mich, weiter über Reveil zu sprechen, ohne zu spoilern, daher werde ich mich in meinen Ausführungen bewusst vage fassen und nur so viel verraten: Ja, diese Wendung habe ich tatsächlich nicht kommen sehen. Aber vor allem deshalb, weil sie so hanebüchen ausfällt, dass ich sie zunächst für eine weitere erzählerische Finte hielt, einen bewusst weit hergeholten Scherz, der mich völlig kirre machen soll, bevor das Spiel die letzte Biegung zur wahren Enthüllung nimmt.

Doch dann dämmerte mir allmählich, dass sie tatsächlich ernst gemeint ist. Und das Spiel endgültig als das enttarnt, was sich schon die ganze Zeit über angedeutet hat: als einzigen großen Hütchenspielertrick, dessen einziger Sinn und Zweck am Ende im bloßen Effekt besteht, den Spieler übers Ohr gehauen zu haben, indem der Trickster heimlich die Regeln ändert und nur deshalb überrascht, weil er zwischendurch geschummelt hat.

Reveil - Trailer zum psychologischen Horror-Game von Daedalic

Im psychologischen Horror-Spiel Reveil von Daedalic ist nichts so, wie es scheint.

Zumal mir spontan allein mindestens vier Spiele einfallen, die in einem sehr ähnlichen Ende münden, aber diese deutlich schlüssiger umsetzen, sowie ein Hollywood-Film aus dem postmodernen Spektrum des Horrorgenres, dessen Titel ich bewusst nicht nenne, weil er euch sofort auf die richtige Fährte bringen würde, von dem ich aber vermute, dass er maßgeblich zur Inspiration für Reveil beigetragen haben mag.

Interessanterweise ähnelt Reveil in vielen Punkten dem erst kürzlich erschienen Ad Infinitum (Test), ebenfalls von einem kleinen, ambitionierten deutschen Entwicklerstudio, das in recht ähnlicher Weise eine surreale Horrorgeschichte zwischen Erinnerung, Traum und vermeintlicher Realität erzählte und dabei ebenfalls zwischen erstaunlich imposanter Grafik und handwerklich holprigem Gameplay schwankte. Doch während es Ad Infinitum letztlich weitgehend intelligent und vielschichtig gelang, seinen Schrecken als eine Allegorie auf traumatische Kriegserlebnisse aufgehen zu lassen und diese zum Zerrspiegel einer gepeinigten Seele zu machen, läuft die psychologische Deutungsebene von Reveil komplett ins Leere, weil es sich dafür ab einem gewissen Punkt nicht mehr im Geringsten interessiert, sondern einzig und allein auf den angestrengten Mindfuck eines schlichten Ätschibätsch zusteuert.

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Es mag genau das Ansinnen der Entwickler gewesen sein, sich solcherlei typischerweise emotional und psychologisch verschlüsselten Interpretationsmustern zu entziehen, eben weil sie in Horrorspielen mittlerweile selbst Klischee geworden sind, das man nicht mehr guten Gewissens ernst nehmen kann. Doch wenn man sich dann etwa wiederum anschaut, wie zutiefst klischeehaft jede einzelne der fünf unterschiedlichen Endsequenzen des Spiels auftritt, fällt es zusehends schwerer, jede Eigensinnigkeit, die man ihm zuvor als bewusste ironische Brechung oder schelmisches Vexierspiel mit Genrekonventionen abzunehmen bereit war, nicht doch als lediglich handwerkliche Ungenauigkeit und dramaturgische Holprigkeit aufzufassen. Am Ende wurde Reveil im Bestreben, tapfer und unermüdlich gegen den Strom zu schwimmen, von diesem letztendlich mitgerissen.

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