Test - Pokémon Let's Go Pikachu / Evoli : Besser, als du dachtest!
- NSw
Mit Pokémon: Let's Go Pikachu und Evoli kommen die ersten großen Pokémon-Spiele auf die Switch. Eine Sorge schwingt mit: Hat sich die Reihe durch Pokémon Go zu sehr von ihren Wurzeln entfernt? Wir haben Kanto mit Pikachu auf der Schulter und Pokéball Plus in der Hand ein weiteres Mal besucht und festgestellt, dass ausgerechnet Let's Go trotz kontroverser Neuerungen seinen Wurzeln treuer ist als einige jüngere Ableger.
Die ersten Pokémon-Spiele haben einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen. Sie stießen eine bis heute anhaltende Liebe zu den kleinen Monstern an. Bin ich deswegen voreingenommen? Vielleicht ein wenig, aber auch ich beobachtete mit sehr großer Skepsis, wie sich ein richtiges Pokémon-Spiel, für die Nintendo Switch angekündigt, simple Mechaniken aus Pokémon Go abguckt. Die Niantic-App starte ich auch über zwei Jahre nach Release noch regelmäßig und bin bei vielen Raids dabei, bisher habe ich diese beiden Welten aber am liebsten voneinander getrennt betrachtet.
Mit Let's Go geht die Reise nochmals nach Kanto. Trotz aller Änderungen fällt es mir schwer, das Remake der Gelben Edition länger als Spin-off betrachten, denn im Kern stecken viele der Kernkompetenzen der Hauptreihe. In den Stunden, die ich bisher mit Let's Go Pikachu verbrachte, verwandelte sich meine Skepsis in Wohlgefallen, auch wenn die ersten Spielstunden meine Befürchtungen bestätigten.
Eine düstere Vorahnung
Vor jedem neuen Pokémon-Spiel stelle ich mir dieselbe Frage: Kam mir früher alles viel schwieriger vor, weil ich jünger war, oder hat der Anspruch der Pokémon-Reihe von Jahr zu Jahr einfach nachgelassen? Inzwischen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass mir früher nicht jeder NPC eine Vollheilung aufzwang, mein Rivale sich damals noch für das Pokémon mit Typvorteil gegenüber meinem Starter entschied und man mir auch mal die Chance ließ, einen Weg zu gehen, nur um an dessen Ende festzustellen, dass mir noch eine Fähigkeit zum Vorankommen fehlte. Sonne und Mond wollten nichts dem Zufall überlassen und gestatteten mir kaum, meinen eigenen Weg zu gehen.
Dass nun auch noch Mechaniken aus einer App, die auf simple Weise für Kurzweil sorgen soll, in diese Tendenz einfließen, hat mir Bauchschmerzen verursacht. Pokémon fangen, ohne sie vorher im Kampf zu schwächen? Ich weiß ja nicht. Die ersten Spielminuten lassen Dunkles erahnen. Dass Pokémon auf offenem Feld herumlaufen, macht die Welt wunderbar lebendig, aber es vereinfacht auch das Vorankommen: Zermürbende Touren durch den Felstunnel sind nicht von einer Zufallsbegegnung mit einem nervigen Zubat nach der anderen begleitet, ich kann einfach an ihnen vorbeilaufen. Es sei denn, ich will sie fangen. Bei Kontakt wechselt das Spiel in ein vertrautes Bild: Frontalaufnahme des Pokémon und ein Ball im Vordergrund.
Mit einer Wurfbewegung des Joy-Con oder Pokéball Plus wird ein Ball geworfen. Für mich als Pokémon-Fan ist das extrem cool. Nur treffe und fange ich jedes Pokémon beim ersten Versuch. Nicht nur, dass es sich unverdient anfühlt, ein Pokémon ohne Kampf fangen zu dürfen, es wird mir auch noch derart hinterhergeschmissen? Dass ich für Fänge mehr Erfahrung bekomme als durch Kämpfe, bestärkt meine Befürchtung, dass ein ziemlicher Fang-Grind auf mich zukommen wird.
So viel zum Fangen. Spätestens als ich gleich zu Beginn gefragt werde, ob ich eine Schnellreise zu Professor Eich machen möchte, um mir 60 Sekunden zu sparen, fühle ich mich an die Bemutterung aus Sonne und Mond erinnert. Wenn das so bleibt, dann Prost Mahlzeit!
Die Erleichterung
Diese mulmigen Gefühle begleiten mich bis Marmoria City. Dort verweigert man mir den Zutritt zu Rockos Arena doch glatt, sollte ich kein Pokémon mit Typvorteil gegenüber seinen Gesteins-Pokémon vorweisen können. Mit in den Kampf muss ich sie zum Glück nicht unbedingt nehmen. Spätere Arenen erheben andere Ansprüche, die größtenteils nichts mit der Vereinfachung der Arenakämpfe zu tun haben. Ab hier vollzieht Let's Go Pikachu / Evoli eine Wandlung ins Positive. Die Trainer auf den Routen werden mehr, die Pokémon stärker und interessanter. Nach und nach ist nicht mehr jeder Kampf mit einem Angriff vorüber oder ein Pokémon mit einem unmotivierten Wurf gefangen.
Das ist die erste Probe für die Bewegungssteuerung: Springt ein Pokémon, muss ich genauer zielen, was ziemlich präzise funktioniert, sofern der Controller beziehungsweise Pokéball richtig gehalten wird. Der Technik geschuldete Fehlwürfe konnte ich nur selten feststellen. Pokémon ohne Kampf zu fangen fühlt sich inzwischen selbstverständlich an. Bewegungssteuerung ist übrigens obligatorisch. Im Handheld-Modus wird per Knopfdruck geworfen, die Kamera per Analogstick oder Motion-Control bewegt. Für mich kein Thema, dem einen oder anderen wird das aber sicher nicht schmecken.
Der Kern eines jeden Pokémon-Spiels sind aber die Kämpfe, an denen nichts verändert wurde. Sie wurden in den letzten Jahren durch Doppel- und Dreifachkämpfe, Fähigkeiten, Mega-Entwicklungen und Z-Attacken immer weiter aufgebläht. Let's Go besinnt sich seiner Wurzeln und wirft vieles zugunsten des ursprünglichen bodenständigen Gefühls über Bord. Fähigkeiten und Items zum Tragen gibt es wie damals nicht, Wesen, DV, neuere Attacken und Typen schon. Game Freak hat an den richtigen Ecken gekürzt, aber nichts ausgespart, was die über Jahre aufgebaute komplexe Basis wieder zerstören würde.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich liebe es, Pokémon mit perfekten Werten, Fähigkeiten und Attacken zu züchten. Aber es ist ganz angenehm, sich vorübergehend wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Doppelkämpfe und zu einem späteren Zeitpunkt auch Mega-Entwicklungen dürft ihr in Kanto natürlich trotzdem durchführen. Ohne all das kommen mir Kämpfe in Let's Go schwieriger als in den letzten paar Jahren vor, von schwer kann aber noch lange nicht die Rede sein. Gewöhnliche NPCs verwenden ebenfalls Heil-Items wie schon seit Sonne und Mond. Ich sehe es als positive Entwicklung.
Gelegentlich kreuzen Trainercoaches meinen Weg, die etwas mehr als der Durchschnitt draufhaben. Spezielle Meistertrainer nach Abschluss der Liga dürfen nur mit dem gleichen Pokémon und ohne Items bekämpft werden, was eine nette zusätzliche Herausforderung und Beschäftigung im Endgame darstellt, da es sie für jedes der 151 Kreaturen gibt. Je mehr Zeit ich mit Let's Go verbringe, desto mehr fühlt es sich wie ein klassisches Pokémon an und nicht wie das abgedrehte Spin-off, das ich in den letzten Monaten fürchtete.
Auch wenn gelegentlich Lösungen für Aufgaben mit dem Holzhammer präsentiert werden, mir Statusveränderungen außerhalb des Kampfes nicht das Leben schwer machen und im Hintergrund dauerhaft ein EP-Teiler aktiv ist, hat Let's Go meiner Meinung nach einen gutes Mittelmaß zwischen einsteigerfreundlich und angenehm anspruchsvoll gefunden. Selten sind NPCs mehr als zwei Level unterlegen. Und solange ich nicht alle fünf Minuten unfreiwillig geheilt werde, ist schon mal ein großer Schritt getan.
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