Test - Paper Mario – Test : Papperlapapp, klar hat dieses Rollenspiel ein Remake verdient!
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Schon wieder ein Remake auf der Switch? Ja, aber eines, das volle Aufmerksamkeit verdient hat. Während manche Leute unken, Nintendo würde fantasielos einfach alten Stoff wiederkäuen, wissen Kenner, dass Paper Mario: Die Legende vom Äonentor sein Remake absolut verdient hat, weil das Spiel buchstäblich legendären Stoff auffährt. Es geht nicht nur um ein großartiges Einsteiger-RPG mit fantasievollem Grafikstil, sondern um eine Rebellion gegen die Handlungs-Klischees des Rollenspiel-Mainstreams. Dass Mario mitspielt, ist da nur noch die Kirsche auf der Sahne.
Es gab mal eine Zeit, in der Rollenspiele in ihrem Nerd-Faktor nur knapp hinter Flugsimulatoren und Logikspielen wie Minesweeper rangierten. Als Zahlenschieberei mit epischer Story verschrien, galten sie nicht gerade als Stoff für das breite Publikum.
Japanische Softwareschmieden wie Square und Enix (die damals noch Konkurrenten waren), versuchten zwar in unregelmäßigen Abständen, das Genre einsteigerfreundlich und massenkompatibel zu gestalten, aber es wollte in den Achtzigern und frühen Neunzigern nie so recht funktionieren. Nicht einmal die Verquirlung des Themas mit der Allzweckwaffe Super-Mario erreichte anno 1996 das angestrebte Ziel, obwohl Super Mario RPG ein wahrlich fantasievolles, sehr spaßiges und vergleichsweise leichtes Crossover auf dem Super Nintendo darstellte. Wie zeitlos Squares Design tatsächlich war, bewies erst kürzlich das Remake für die Switch.
Im unvorhergesehenen Hype-Erdbeben von Final Fantasy 7, das dem Zeitgeist der Playstation-Ära zu verdanken war und dessen Magnitude wahrscheinlich selbst Square von den Socken haute, vollzog das Genre jedoch eine erstaunliche Verwandlung von der belächelten Nerd-Klickerei zur Silberplatte für grandiose Geschichten. Ein Umstand, den sich die Entwickler bei Nintendo zunutze machten, als sie Paper Mario entwarfen.
Ein herrlicher Schmarrn
Rollenspiele konnten (und können noch immer) genauso gut den epischsten denkbaren Stoff erzählen wie auch das hanebüchenste Seemannsgarn, denn anders als bei vielen anderen typischen Videospielen der damaligen Zeit durfte der Handlungsköder so stark im Mittelpunkt stehen, dass Spieler das regeltechnische Drumherum samt Haken schlicht mit herunterschluckten.
Mit anderen Worten: Paper Mario genoss in der Umbruchphase des Rollenspielgenres experimentellen Status dank erzählerischer Narrenfreiheit, die einfach nur in ein Gameplay-Paket verpackt werden musste, das jedermann verstehen konnte. Und Holla die Waldfee, was nahm sich Nintendo damals für Spitzen heraus! Teils aus schierer Not, weil das N64 mangels Speicherplatz Umdenken im Design verlangte, teils aus Trotz.
Der Nachfolger mit dem Untertitel „Die Legende vom Äonentor“ umso mehr, obwohl Big N mit der Gamecube-Konsole sowieso schon gegen einen reißenden Style-Strom schwamm, den die Playstation 2 verursacht hatte. Es ist ja nicht nur bemerkenswert, wie unterschiedlich Nintendo vereinfachte Rollenspielregeln im Vergleich zu Square interpretierte, obwohl Paper Mario als inoffizieller Nachfolger von Super Mario RPG vieles an Regel schlicht übernahm. Nein, es ist wahrlich erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit Paper Mario die Gelegenheit nutzte, Grenzen des Pixelklempner-Universums neu zu definieren.
Klar, eine entführte Prinzessin Peach stellt keine Überraschung dar, aber ein Computer, der dank Peach lernt, was Liebe ist? Bowser, der die Prinzessin retten will (!) und trotzdem der Story immer mindestens zwei Schritte hinterherrennt? Eine Schatzsuche nach sieben Sternjuwelen, deren hyper-epischer Weltuntergangs-Hintergrund so bescheuert ist, dass nicht einmal das Ende wirklich Sinn ergibt? Das kann doch nur genial sein!
Anders als Super Mario RPG, das einfach nur in einem Berg Niedlichkeits-Zuckerwatte versank und seinen Humor aus Slapstick und Wortspielen bezog, geht Paper Mario: Die Legende vom Äonentor all-in beim Thema Selbstironie. Mit seinem Scherenschnitt-Grafikstil in Theaterspiel-Umgebung wirkt es an manchen Stellen geradezu lächerlich, versucht aber trotzdem, jede Spielfigur und jede Requisite interessant nach Bastelobjekt aussehen zu lassen. Bei der Handlung nimmt es sich derweil selbst so wenig ernst, dass das Endergebnis grandiose Schmunzel-Proportionen hervorbringt, die man anfangs gar nicht vermutet. Schlimmer noch: einige Handlungsdetails erweisen sich als herrlich respektlos.
Beispielsweise zieht Paper Mario: Die Legende vom Äonentor die allzu typische Pseudo-Tragik, die einige RPGs als Stilmittel pflegen, manchmal so stark durch den Kakao, dass man sich im Nachhinein Gedanken macht, wie lächerlich Szenen wie etwa Aeriths Tod in Final Fantasy 7 wirken, wenn man sie abseits ihrer mühevoll tränendrüsigen Inszenierung betrachtet. Und das alles, ohne dick aufzutragen. Paper Mario: Die Legende vom Äonentor ist verspielt, gut gelaunt und einfach nur luftig leicht. Ein perfekter Sommer-Hit von einem Videospiel.
In Squares Fußstapfen
Bei der Beschreibung des Spielablaufs könnten wir uns fast die Mühe sparen und stattdessen schlicht unseren Super-Mario-RPG-Test zitieren. Genretypisch folgen Mario und seine Freunde einem ausschweifenden Storystrang mit vielen langen Gesprächen und kleinen Rätseleinlagen, die das Suchen von Schlüsselgegenständen oder gewissen Personen voraussetzen. Laufwege sind zwar absichtlich so aufgebaut, dass man nur nach links oder rechts reist, um Marios Jump-and-Run-Wurzeln Tribut zu zollen, aber die Schauplätze lassen keine Wünsche offen. Sie wurden lediglich kompakt gestaltet und für den Scherenschnitt-Grafikstil optimiert.
So hangelt ihr euch durch sieben Länder und eine extra ausladende Abschlusssequenz, die im Schwierigkeitsgrad mächtig anzieht, ohne durch Backtracking oder andere Streckungskniffe Langeweile zu verspüren. Etwa 35 bis 40 Stunden gehen für den Haupt-Storystrang drauf. Reicht euch das nicht, dann winkt noch ein Kampfkeller, der Profis nach dem Ende zusätzlich auf die Probe stellt. Sollte euch auch das zu leicht sein, so dürft ihr den Schwierigkeitsgrad schon früh künstlich erhöhen, denn ein Händler verkauft einen Gegenstand, der für doppelten erlittenen Schaden sorgt.
Apropos Schaden: Wie es sich bei einem klassischen RPG gehört, bestreitet ihr unterwegs regelmäßig eingestreute Kämpfe in isolierten Schlachtszenarien. Die laufen ebenfalls sehr ähnlich ab wie bei Super Mario RPG. Nennenswerte Unterschiede bestehen lediglich darin, dass Marios Kampfparty nur aus zwei statt drei Mitgliedern besteht und der Klempner auf ein deutlich größeres und flexibleres Repertoire an Kampffertigkeiten zurückgreift als seine Begleiter, die mehr oder minder Helferstatus haben und darum auch während eines Kampfes beliebig ausgetauscht werden können.
Oder vielmehr müssen, denn jeder Nebencharakter hat eigene Stärken und Schwächen. Die Gumba-Dame Gumbrina kann beispielsweise Gegner analysieren und hat ein paar nette Sprungattacken auf Lager, die den typischen Mario-Gegnern wie Gumbas, Koopa Trooopas und Buu-Huus ganz gut Paroli bieten, aber nutzlos werden, wenn Feuer oder Stacheln im Spiel sind.
Die Theater-Diva Aerona ist hingegen eine unverzichtbare Hilfe bei fliegenden Gegnern, während die Hexe Barbara dauerhaften Feuerschaden erteilt und sogar Mario komplett von der Bildfläche verschwinden lassen kann, wenn in einer Runde ein besonders harter Angriff bevorsteht. Sechs Helfer findet ihr automatisch im Laufe der Handlung. Eine weitere Helferin ist optional und verlangt das Lösen eine Nebenquest.
Niedrige Zahlen, hoher Spielspaß
Bemerkenswert: Statistiken wie Hitpoints, Angriffsschaden und Talentpunkte bleiben das ganze Spiel über erstaunlich niedrig. Es fängt im einstelligen Bereich an und selbst der letzte große Boss hat nicht mehr als 120 Trefferpunkte. Das ist nicht nur einsteigerfreundlich zwecks einfacheren Verständnisses, sondern auch für Rollenspielprofis erfreulich übersichtlich. Fest abgesteckte Runden ohne Echtzeithektik lassen genügend Zeit zum Herausfriemeln einer Strategie.
Wobei das Drumherum im Kampf ungewöhnliche Züge annimmt, denn Schlachten spielen stets auf einer Theaterbühne, bei dem Publikum anwesend ist. Die Meute will prächtig unterhalten werden, was sich auf die Strategie auswirkt. Während bei Super Mario RPG Geschicklichkeitstests bei den Angriffsmethoden lediglich der reinen Schadensausbeute dienten, nehmen sie hier heftigen Einfluss auf die Stimmung der Zuschauer, was sich wiederum auf die sogenannte Sternenenergie auswirkt, die Mario nutzen kann, um besonders imposante Angriffsvarianten zu zünden.
Bei vielen Angriffsvarianten genügt es schon, den A-Knopf mit gutem Timing noch einmal zu drücken, wenn Mario oder ein Nebencharakter die Attacke aktiv ausführt, was meist durch eine doppelte Attacke belohnt wird. Komplexere Techniken bergen allerdings auch geheime Timing-Momente, die den Klempner dazu bringen, einen Rückwärtssalto zu vollziehen oder andere Akrobatikeinlagen zu zeigen. Je mehr davon zutage kommt, desto mehr jubelndes Publikum erscheint auf den Sitzreihen, was wiederum in mehr Sternenenergie resultiert. Versemmelt ihr Angriffe, wehrt gegnerische Attacken nicht ab oder trefft schlechte Entscheidungen, dann verlassen einige Zuschauer enttäuscht den Saal oder werfen Dosen auf die Bühne.
Das Remake: Upgrades und Downgrades
Alles in allem bleibt Paper Mario: Die Legende vom Äonentor seinem Originaldesign treu. Ausnahmen bestätigen die Regel. Hier gibt es mal einen verschiebbaren Stein, wo es zuvor keinen gab, da wurde die Position eines sammelbaren Sternsplitters um ein paar Zentimeter versetzt, damit sein Versteck noch unauffälliger ist. Außerdem gibt es nun eine Warp-Zone, die das Bereisen längst bekannter Länder beschleunigt und dadurch einige Nebenaufgaben verkürzt. Handlungsdetails, Gespräche und Puzzles wurden hingegen eins zu eins aus dem Gamecube-Original übernommen. Ja sogar Marios kleine Sprachfetzen stammen noch von Charles Martinet und nicht vom neuen Synchronsprecher Kevin Afghani.
Das ist ebenso erfreulich wie bedauerlich, denn dadurch verpasst Nintendo die Chance, dem Spiel neue Nuancen zu schenken, die Kenner neugierig machen. Lediglich zwei kleine Zusatzinhalte, die nach dem Ende angegangen werden können, kommen dazu und bauen letztendlich auf Inhalte, die schon im Original bestanden, aber nicht ausgewalzt wurden. Wirklich neu sind lediglich der allgemeine grafische Anstrich und das neue Musikarrangement. In beiden Kategorien liefert Nintendo (beziehungsweise das Studio Intelligent Systems in Nintendos Namen) hervorragende Arbeit ab.
Wo auf dem Gamecube noch sämtliche Papieroberflächen stumpf erschienen, tragen sie nun fast durchweg unscharfe Spiegelungen wie bei rauem Fotopapier. Zudem wirken alle Assets verschwenderisch hoch aufgelöst, obwohl das Spiel im Docked-Modus auf dem TV nur in einer Auflösung von 900p dargestellt wird. Die Qualität der Assets scheint angesichts dessen verschwenderisch hoch, was man bei den seltenen Close-ups sehr gut erkennt.
Das hat allerdings auch seinen Preis, denn die Bildrate wurde auf 30 FPS festgezurrt - also auf die Hälfte des Originalspiels. Klingt bei einem Rollenspiel nicht weltbewegend, ist aber durchaus ein Lapsus, weil viele Timing-Elemente im Kampf dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden.
So wurden die Timing-Fenster für Verteidigung- und Konter unverändert übernommen. Sie liegen bei acht Bildern für die Verteidigung und bei dreien für Konteraktionen. Bei einer halbierten Bildrate bedeutet das allerdings, dass die Zeit für solche Aktionen faktisch doppelt so lang ausfällt. Hinsichtlich der Latenz vieler Flachbildfernseher und der Vermutung, dass viele Casual-Spieler ihre Glotze nicht in den Spiele-Modus schalten, um der Verzögerung entgegenzuwirken, mag man das Verzeihen. Für alte Hasen ist das jedoch viel enttäuschender als der Verlust der butterweichen 60-FPS-Darstellung.
Ein Hammer Soundtrack
Einen noch besseren Eindruck als der aufgemöbelte Grafikstil hinterlässt der Soundtrack, der wie bei vielen jüngeren Switch-Games durch ein Live-Band-Arrangement glänzt. Allerdings mit einem erstaunlichen Heavy-Touch auf Schlagzeug und Gitarre. Nein, headbangen ist nicht angesagt, denn die meisten Melodien werden von Blechbläsern und Streichern getragen, während Schlagzeug und Gitarre in zurückhaltender Lautstärke agieren. Trotzdem wippt man schnell mit und wundert sich, wie oft die knackige Bass-Drum zu schnellen Double-Hits ausholt.
Die Kompositionen sind nie übermäßig komplex, was gerade in den ersten beiden Kapiteln für eher verhaltene Begeisterung sorgt, aber das Arrangement entwickelt sich über das gesamte Spiel hinweg und wird von Kapitel zu Kapitel besser. Handwerklich spitze und vor allem abwechslungsreich überrascht euch die Musik spätestens ab Kapitel vier mit immer neuen Extravaganzen. So wird das musikalische Kampfthema in jedem der sieben Länder neu arrangiert oder variiert. Langeweile unmöglich. Und in den letzten beiden Kapiteln dreht Komponistin Yuka Tsujiyoko nochmal richtig auf. Wundert euch nicht, wenn ihr auf der Mondbasis Zuckungen im Hintern verspürt, weil ihr das Gefühl habt, die eingängige Techno-Mukke würde euch zum Tanzen auffordern.
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