Länderauswahl:
Du wurdest von unserer Mobile-Seite hierher weitergeleitet.

Special - Virtual Reality : Hype oder Hit?

  • PC
  • PS4
  • Mob
Von  |  |  | Kommentieren

Zu hohe Erwartungen

VR hat also Potenzial. Doch es droht an unseren eigenen, zu hoch gesteckten Erwartungen zu scheitern. Was wir wollen, das ist ein preisgünstiges Ticket für die Reise in eine andere Welt. Für die endgültige und definitive Grenzüberschreitung. Aber was wir erst mal bekommen, das ist ein überteuertes High-Tech-Gimmick, das nicht mal alle relevanten Spiel-Genres realisieren kann.

Abenteuer in der Egoperspektive wie ein Fallout 4 funktionieren vielleicht mit einigen Anpassungen. Aber was ist zum Beispiel mit einem Witcher 3, in dem wir unserem Hexer über die Schulter schauen, anstatt in seinen Kopf zu zoomen? Oder einem Final Fantasy, in dem wir gleich eine ganze Heldengruppe begleiten und unsere Gegner per Menüauswahl verdreschen? Die nächste ernüchternde Erkenntnis: So was hat per Headset wenig Sinn – diese Genres müssten im Falle eines VR-Erfolgs entweder auf dem Fernseher bleiben oder aber verschwinden.

HTC Vive Pre - CES 2016 Trailer
Hier gibt es einen Trailer zur neuen Version des HTC Vive von der CES 2016 aus Las Vegas für euch.

(Die Vive vom taiwanesischen Smartphone-Hersteller HTC wurde von Valve entwickelt und ist technisch der härteste Konkurrent von Oculus Rift.)

Nun hat das Feld der Blockbuster- und AAA-Hersteller aber kaum die Zeit, um auf das Reifen der VR-Technik zu warten: Hier hat man gerade erst mit Hängen und Würgen die Verdienstausfälle überstanden, die mit dem Übertritt in eine neue Hardware-Generation einhergehen. Jetzt noch mal einen Haufen Geld in eine Technologie investieren, die vielleicht niemals Gewinne einbringen wird? Wohl kaum.

Könnten also die Indies in diese Bresche springen und den Erfolg der VR herbeiführen? Ebenfalls unwahrscheinlich: Allein die ganz Großen im Publisher-Business hätten das nötige Kleingeld, um VR-Begeisterten genau die Sorte Immersion zu liefern, die sie unbedingt wollen. Hier geht es mehr denn je um die Qualität der Darstellung. Ohne hochkarätige und immersive Grafikkulisse ist VR nicht nur eine Farce – sie ist vor allem obsolet. Denn worum geht es hier, wenn nicht um den totalen audiovisuellen Kick?

Stellt sich also zu Recht die Frage: Warum haben wir uns das eigentlich gewünscht? Was haben wir uns davon erhofft? Hätte uns nicht von vornherein klar sein müssen, dass uns dieser Flaschengeist hinters Licht führt? Nein, denn wir sind nur deshalb auf den "Hype-Train" aufgesprungen, weil uns die eigene Fantasie getäuscht hat. Und natürlich aus dem gleichen Grund, aus dem wir vor 30 Jahren durch schrittweise umblätternde Pseudo-3-D-Welten gestiefelt sind. Oder wir mithilfe eines Textparsers über absurden, grafikfreien Rätseln gebrütet haben.

Wir haben schlicht daran geglaubt, dass Spiele einmal mehr sein würden als eine bloße Ansammlung von ASCII-Zeichen und Pixelhäuflein. Und bis es so weit war, hat unsere Fantasie die Arbeit erledigt, die der Computer nicht oder zumindest nur unzureichend erledigen konnte. Die Virtual Reality bräuchte jetzt einen ganz ähnlichen "Glaubensvorschuss", um nicht zum wiederholten Male in der Versenkung zu verschwinden. Doch während während das gedankliche Konzept der VR-Headsets noch immer in den 80ern verortet ist, sehen sich Rift & Co. heute einem voll entwickelten und gereiften Medium gegenüber, das seine wilden Experimentaljahre längst hinter sich hat. Hier wirken die Cyber-Brillen wie ein Anachronismus – ein Störfaktor.

Manchmal kann ein derartiger Störer ein Segen sein: Er hat das Zeug dazu, ein stagnierendes Geschäftsfeld aufzumischen und neu zu ordnen. Doch in den meisten Fällen nervt er einfach und verschwindet ähnlich schnell wieder von der Bildfläche, wie er aufgetaucht ist. Nintendos fuchteliges Motion-Control-Experiment dagegen fiel vor zehn Jahren auf fruchtbaren Boden, weil sich die Branche zu diesem Zeitpunkt sowieso neu sortieren musste: Damals ging es nicht nur um den Übergang von einer Hardware-Generation zur nächsten – es ging auch um den Wechsel zur HD-Technik, der eine Menge Staub aufwirbelte.

Das Zeitfenster war also wie geschaffen für ein Experiment: ein Experiment, das günstiger war als das Mitbewerberfeld. Das keinen teuren HD-Fernseher verlangte und außerdem eine völlig neue Kontrollerfahrung versprach. Doch trotz des anfänglichen Erfolges ist auch die Generation "Motion Control" gescheitert: Nur wenige erinnern sich noch allzu gnädig an die fuchtelige Steuerung der Wii und weder PlayStation Move noch Kinect haben es je zu irgendeiner Relevanz gebracht.

Darum ist der Kunde von heute extrem sensibilisiert, wenn es um alternative Spiellösungen geht: Er will ein performantes Spielsystem mit klassischer Eingabelösung, das seine Existenz als Hochleistungs-Couch-Kartoffel unterstützt – aber Gehampel, Gefuchtel und anderen Verrenkungen erteilt er eine Absage. Er will sich nicht das Genick verrenken, um bei Doom blitzschnell die Blickrichtung zu wechseln und dann beim Ausweichmanöver gegen die Wohnzimmerwand zu rennen. Und für all das auch noch 700 Euro bezahlen. Was auf Messen und Präsentationen vielversprechend wirkt, das könnte sich in den heimischen vier Wänden als teure Gurke erweisen.

Das bedeutet nicht, dass die "Generation VR" überhaupt keine Chance hat: Auch hier hätte ein überraschender Spielhit das Zeug zum Hardware-Seller. Er könnte durch eine positive Community-Resonanz die größten Kommunikationsschwierigkeiten der VR kompensieren: wie zum Beispiel das Problem einer Hardware, die ihre Vorzüge erst dann zeigen kann, wenn man sie bereits besitzt. Doch die Chance, dass die Cyberpunk-Brille für die nächsten zehn Jahre wieder in der Mottenkiste verschwindet … die ist ungleich höher. Aber immerhin: Die Idee hinter VR ist ein hartnäckiger Wiedergänger. Wenn sie sich das nächste Mal aus der Gruft traut, dann hat sie vielleicht gleich das passende Holodeck im Schlepptau.

Könnte dichinteressieren

Kommentarezum Artikel