Test - Neva : Test: Welch ebenso wunderschönes wie grausames Abenteuer
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Der spanische Entwickler Nomada Studio hat mit seinem Erstling Gris bereits bewiesen, dass sie todtraurige Geschichten vor atemberaubend kunstvoller Kulisse erzählen können. Mit Neva erscheint nun das neue Spiel der Macher und das steht Gris weder in Schönheit, noch in Schwermut nach. Vielleicht ist es sogar - dank des neuen Kampfsystems - noch etwas brutaler geworden.
Genau wie Gris ist Neva ein Puzzle-Plattformer mit Adventure-Einschlag. Wobei die Puzzle (je nach Definition) eher homöopathisch gestreut wurden. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die beiden Titel hauptsächlich darin, dass Nevas Protagonistin Alba sich ihrer Gegner bewaffnet erwehren darf. Aber Neva ist tatsächlich mehr als nur ein “Gris mit Schwert”.
Das gehört in ein Museum
Das malerische Design verdanken beide Spiele dem spanischen Künstler und Creative Director von Nomada Studio Conrad Roset. Der Maler gründete 2016 das Studio gemeinsam mit den Spieleentwicklern Adrián Cuevas und Roger Mendoza, mit dem erklärten Ziel, seine Gemälde in Videospiele zu verwandeln. Erstes Ergebnis dieser Anstrengungen war eben der Rätsel-Plattformer und Kritikerliebling Gris. Alle Grafiken in Gris und auch im neuen Titel Neva sind von Conrad handgezeichnet, bevor sie ihren Weg ins Spiel fanden.
Dadurch sind die Spiele von Nomada Studio eine einzigartige Mischung aus Videospiel und Kunstwerk und man spürt förmlich, wie stolz die Entwickler auf ihr Werk sind. Den Fokus auf die künstlerischen Aspekte von Videospielen verleugnen die Macher nämlich nicht, sondern laden euch an vielen Stellen sogar ein, die schöne Landschaft zu genießen.
Immer wieder gibt es Abschnitte, in denen ihr nichts anderes macht, als schlicht nach rechts zu laufen oder nach oben zu klettern, ohne dabei Hindernissen oder Gefahren zu begegnen. Zeit, um innezuhalten und das Spiel auf sich wirken zu lassen. Und wenn ihr in einer der zahlreichen Sprungpassagen einmal den Zeitpunkt verpasst, auf eine sich bewegende Plattform zu springen, lässt sich die Wartezeit einfach mit einem Blick in die Umgebung überbrücken, bis sie wieder zurückkehrt.
Mal abgesehen von schickem Eye Candy dient der Stil aber auch als narratives Werkzeug. Die farbenfrohe Welt, in der Neva spielt, wird überrannt von dunklen Gestalten, die aus einer Art Schleim oder vielleicht sogar schwarzer Farbe zu bestehen scheinen. Später weicht dann das saftige Grün der ersten Gebiete unwirklichen Rottönen, und Teile des Spiels finden sogar nur in Schwarz-Weiß statt. Die Interpretation überlasse ich jedem selbst, aber fest steht, dass Farbe hier mehr ist als bloßes Mittel zum Zweck, sondern dazu beiträgt, die Geschichte zu vermitteln. Und die hat es in sich ...
Traumhaft traumatisierend
Es könnte so schön sein auf der kleinen Wiese neben dem saftig grünen Waldstück, auf der die junge Frau Alba mit der Wolfswelpin Neva und deren Mutter ein idyllisches Dasein fristet. Wochenend’ und Sonnenschein finden aber ein jähes Ende, als eine Horde von amorphen Schattenwesen angreift. Blumen und Pflanzen, welche die zähflüssige Dunkelheit berühren, verwelken augenblicklich, und Tiere und andere Waldbewohner versterben entweder direkt oder werden korrumpiert und in groteske, blutrünstige Kreaturen verwandelt.
Alba und die Wölfe wehren den Angriff zwar mit vereinten Kräften gerade so ab, Nevas Mutter bezahlt dafür aber mit ihrem Leben. Also nimmt sich Alba der Wolfswelpin als Ziehmutter an. Von nun an erzählt Neva eigentlich zwei parallel ablaufende Geschichten gleichzeitig.
Auf der einen Seite schildert sie die immer extremer werdende Invasion der Schattenkreaturen, die das Land nach und nach übernehmen, und handelt von Albas und Nevas Kampf ums Überleben. Und auf der anderen Seite erzählt sie vom Aufwachsen der kleinen Wolfswelpin, das mit allen Problemen einhergeht, denen man sich als Elternteil so zu stellen hat (mal abgesehen von Elternsprechtagen).
So niedlich und verspielt der Aquarell-Stil von Neva auch aussehen mag, die Geschichte ist definitiv nichts für Jüngere und Zartbesaitete. Bereits die Eröffnungssequenz macht klar, dass Neva genauso wenig für Kinder geeignet ist wie der auf den ersten Blick knuffige Zeichentrick-Film Das letzte Einhorn.
Selbst vierzig Jahre nach dem Film kämpft eine ganze Generation von traumatisierten Kindern mit Albträumen über den roten Stier, und ein ähnliches Phänomen wollen wir bei Neva und toten Wolfsmüttern besser vermeiden. Die USK begründet ihre Altersfreigabe ab 12 ebenfalls mit “belastenden Themen” wie Tod, Mobbing und Sucht, “Fantasy-Gewalt” und “düsterer Atmosphäre”.
Neva (das Spiel) konfrontiert euch unter anderem permanent mit der Angst, einen geliebten Menschen (bzw. Wolf) zu verlieren. Immerhin beginnt die Story ja wie bei Bambi schon mit dem grausamen Tod der Mutter, und Neva (die Wölfin) gerät immer wieder in gefährliche Situationen, aus denen sie sich nicht mehr alleine befreien kann. Ohne euch hätte die Welpin keine Chance.
Allerdings bleibt die Kleine nicht lange so klein und wehrlos. Später kämpft ihr sogar Rücken an Rücken mit der halbstarken Wölfin. Aber statt einem hilflosen Kind habt ihr dann eben eine aufsässige Teenagerin am Hals, deren Übermut von euch ausgebremst werden muss. Doch ehe ihr euch verseht, sind die 7-8 Stunden Spielzeiten dann auch schon vorbei und ihr stellt fest, dass Kinder am Ende dann doch immer viel zu schnell erwachsen werden. Ohne von der Story irgendetwas zu spoilern, nur so viel: Zum Finale ist mir erst die Kinnlade heruntergeklappt, dann habe ich meinen Fernseher angeschrien und schließlich geheult wie ein Schlosshund.
Kämpfen - Kuscheln - Knobeln
So weit, so gut. Der Grafikstil ist also bombastisch und die Story schön erzählt und wahnsinnig emotional, aber am Ende ist Neva ja ein Videospiel mit viel Gehüpfe, Kämpfen und Rätseln. Gerade, wenn ein Spiel so viel Fokus auf Aussehen und Grafik legt, könnte man ja meinen, dass das Gameplay zurückstecken muss. Tatsächlich handelt es sich bei Neva jedoch keinesfalls um einen Grafikblender.
Allerdings fällt das Gameplay eher reduziert aus. Ein Knopf zum Springen, einer zum Ausweichen und einer zum Schlagen - mehr braucht es schon gar nicht. Den letzten Button auf dem Gamepad belegt dann der spezielle Neva-Knopf. Kontextabhängig interagiert ihr darüber mit eurer Wolfsbegleiterin. Steht ihr neben ihr, streichelt ihr Neva, ist sie in der Nähe, ruft ihr sie zu euch, und solltet ihr voneinander getrennt sein, dann brüllt ihr mit derselben Taste verzweifelt ihren Namen.
Sonderlich viele Optionen habt ihr im Kampf also erstmal nicht und auch die Varianz an Gegnern ist eher überschaubar. Die Standard-Schleimwesen bekommen noch Verstärkung von fliegenden Feinden oder ein paar mutierten Abwandlungen und natürlich Bossgegnern, im Großen und Ganzen war es das aber schon. Im Vorfeld war ich lange Zeit skeptisch, ob das ausreicht, um das neue Kampfsystem überhaupt zu rechtfertigen.
Statt zig verschiedene Feinde zu designen, hat sich Nomada Studio eher die Umgebung zunutze gemacht und dadurch (meist erfolgreich) versucht, einzigartige Szenarien zu schaffen. So kämpft ihr in mehreren Fällen zum Beispiel gegen die Standard-Gegner, aber einmal auf freiem Feld, ein andermal über mehrere Plattformen hinweg, dann in einem engen Tunnel, in denen ihr den Schattenprojektilen der Gegner nicht ausweichen könnt und so weiter.
In anderen Kämpfen wiederum werden Gegnertypen kombiniert oder Rätselmechaniken aus dem aktuellen Bereich eingeflochten, wodurch der Schlagabtausch selbst zu einer Art Rätsel wird. Leider muss ich hier so vage bleiben, um nicht zu viel zu verraten, aber ich war überrascht, dass die Kämpfe eben nicht genervt haben oder langweilig wurden. Nur ganz selten und in Einzelfällen rissen sie mich störend aus dem Spielfluss.
Manche Bosskämpfe stellen sogar richtige Herausforderungen dar, und ohne die Angriffsmuster zu lernen (und dabei mehrmals ins Gras zu beißen), habt ihr kaum eine Chance. Solltet ihr euch damit überfordert fühlen, lässt sich aber auch jederzeit in den Story-Modus wechseln. Dann nehmt ihr keinen Schaden mehr von Gegnern (Abgründe sind jedoch immer noch tödlich) und die Herausforderung nimmt ab, dafür könnt ihr aber vollkommen stressfrei in die Geschichte eintauchen. Bei einer solch ergreifenden Geschichte ist das sicher keine Schande.
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