Test - Lost Judgment : Noch mehr, mehr, mehr Yakuza
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Mit dem Ableger Judgment ging die Yakuza-Reihe 2019 auf neuen Pfaden weiter, und kaum zwei Jahre später kehrt Privatdetektiv Takayuki Yagami auch schon zurück, bereit für seinen nächsten großen Fall. Der Nachfolger Lost Judgment versucht sich noch ein bisschen stärker von der Hauptreihe abzugrenzen. Wie gut den Entwicklern dies gelungen ist, erfahrt ihr in unserem Test.
In Lost Judgment schlüpfen wir erneut in die Rolle von Privatdetektiv Yagami, einem Paradebeispiel für Menschen mit gut funktionierendem Moralkompass und wahrscheinlich dem am ungesündesten lebenden Martial-Arts-Profi aller Zeiten. Er raucht, er säuft, er baggert alles mit Rock an, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, und vor allen Dingen tut er all dies mit einem Hundeblick wie aus dem Lehrbuch. Doch die meiste Zeit über tritt er der Yakuza und großmäuligen Studenten in die weiche Gegend am unteren Ende des Rückens.
Weniger Yakuza, mehr Mario Party
Auch in Lost Judgment dürft ihr euch wieder auf eine recht spannende und attraktiv in Szene gesetzte Geschichte mit dem raubeinigen Detektiv freuen, die jedoch genau wie im ersten Teil einiges an Sitzfleisch und gehörige Stärken in Sachen Aufmerksamkeit fordert. Viele Wendungen, neue Charaktere im Dauertakt und verzwickte Charakterbeziehungen sorgen manchmal für eine überwältigende Menge an Informationen.
Die Geschichte, für die ihr trotz oder gerade aufgrund der geballten Ladung an Erklärungen keine Vorkenntnisse benötigt, macht Pi mal Daumen ungefähr ein Viertel des Spiels aus. Ein weiteres Viertel besteht aus den immer währenden Auseinandersetzungen mit ungehobeltem Volk, das auf offener Straße einen Kampf anfängt.
Kenner des Vorgängers wissen bereits, dass Yagami und die Yakuza nicht gerade beste Freunde sind und ihre Mitglieder daher tagein tagaus versuchen, ihm die Leviten zu lesen. Natürlich mit wenig Erfolg, denn der Protagonist ist eine Kung-Fu-Killermaschine und das Fußvolk der japanischen Mafia vor allen Dingen ziemlich beschränkt im Denkprozess. Hinzu kommen im zweiten Teil nun jugendliche Delinquenten, von denen die meisten ebenfalls Kampfsport beherrschen.
Die restlichen fünfzig Prozent von Lost Judgment wurden mit Minigames und Nebenmissionen gefüllt und wer nun denkt, dass dies ja typisch für die Yakuza-Reihe ist, hat zwar im Kern nicht Unrecht, begreift das Ausmaß unserer Aussage aber nicht. In Judgment waren diese Minigames und optionalen Aufgaben schon recht vielseitig und großflächig vertreten, im neuesten Teil wird aber jegliche Skala gesprengt.
Neben den vielen fakultativen Beschäftigungen, die wir aus dem direkten Vorgänger schon kennen – wie beispielsweise die Drohnenrennen, das Virtual-Reality-Spiel, das Batting-Center, die Arcadehallen, eure Liebschaften mit den Katzen der Stadt, Kartenspiele, Shogi und noch so vieles mehr –, gesellen sich nun noch eine Vielzahl an neuen Beschäftigungstherapien.
Als wäre dies nicht schon überwältigend genug, enthält das Spiel zusätzlich noch eine Welt innerhalb der Welt. An der Hochschule, die Dreh- und Angelpunkt von Yagamis Ermittlungen ist, könnt ihr nämlich noch einen weiteren zeitaufwändigen Fall annehmen und euch auf die Suche nach dem „Professor“ machen, einem Schurken, der sich im Darknet versteckt und die Schüler dazu anstiftet, Verbrechen zu begehen.
Um dieser Schreckensgestalt näher zu kommen, muss Yagami sich nach und nach zum Berater der unterschiedlichsten Schulclubs emporschwingen und diesen helfen, ihre Ziele zu erreichen, damit die Mitglieder ihn mögen und mit neuen Nebenaufgaben versorgen, die den Detektiv schlussendlich zum Drahtzieher hinter den fiesen Machenschaften führen. Lange Rede, kurzer Sinn: Ihr bekommt noch einmal eine ganze LKW-Ladung mehr Nebenmissionen und Minispiele.
Der Alltag eines Privatdetektivs
Auch abseits der vielen Minigames und der Frage, was man sonst noch so mit seinem Leben anstellen könnte, gibt es nur wenig Veränderung, dafür aber irgendwie überall mehr von allem. Die kleinen Aufgaben, die Yagami erfüllen muss, um einen Fall zu lösen, sind im Großen und Ganzen so erhalten geblieben, wie ihr sie aus dem Vorgänger kennt, wurden aber an allen Ecken und Enden erweitert.
Dadurch machen die Beschattungen, das Sammeln von Informationen und das Verfolgen von Flüchtenden zwar nicht mehr Spaß, aber zumindest sorgt das zusätzliche Feintuning dafür, dass sich der Frust im Vergleich zum Vorgänger in Grenzen hält. Auch wenn zu beschattende Personen noch immer unter Verfolgungswahn leiden, Yagami bei Verfolgungsjagden über jeden Kieselstein stolpert und alle anderen Probleme von Judgement ebenfalls weitgehend erhalten geblieben sind.
Ansonsten gibt es auch beim Schlendern durch die Stadt ein paar Neuerungen, die tatsächlich Sinn ergeben und sich richtig anfühlen, am Spielprinzip ändert sich dadurch aber fast nichts. Mit einem Skateboard kommt Yagami beispielsweise nun schneller von A nach B und kann unterwegs noch ein paar Tricks hinlegen, spezielle Mahlzeiten gewähren temporäre Boni, an markierten Stellen kann der Charakter jetzt klettern und durch das Tragen von optionalen (und unsichtbaren) Kleidungsstücken erhaltet ihr geringe Verbesserungen der Werte.
Beim Ermitteln könnt ihr neben der bekannten Drohne nun auch einen Peilsender, ein Abhörgerät und einen Hund einsetzen, was die Suche nach Hinweisen aber nur bedingt spaßiger gestaltet. Hauptsächlich deswegen, weil ihr die Gerätschaften sowieso nur in einem stark begrenzten Bereich einsetzen könnt, sie abseits der Missionen keinen Nutzen haben und die zu findenden Objekte erneut in einem Spektrum zwischen „sieht ja jedes Kleinkind“ und „wer zur Hölle würde da suchen?“ versteckt wurden. Die Ausnahme bildet hier das eben erwähnte Hündchen, das euch auch in Kämpfen zur Seite stehen kann und je nach Situation recht nützlich ist.
Während der meisten Missionen gilt es, jede Menge Text zu lesen, Unterhaltungen zu führen und Anhaltspunkte zu kombinieren. Wie auch schon im ersten Teil werdet ihr mit Informationen regelrecht erschlagen, und da die Entwickler wissen, dass Spieler dazu neigen, langweilige Themen einfach zu überspringen, wird jede auch nur im Geringsten wichtige Information mindestens ein Dutzend Male wiederholt. Spannend ist die Story also wie bereits erwähnt schon, nichtsdestotrotz zieht sie sich wie Kaugummi unterm Schuh an einem heißen Sommertag.
Außerdem sollte vielleicht erwähnt werden, dass der neueste Ableger der Yakuza-Reihe wie gewohnt ohne deutsche Sprachausgabe daherkommt. Ihr könnt das Spiel stattdessen sowohl in englischer als auch in japanischer Sprache mit deutschen Untertiteln spielen, wobei wir an dieser Stelle die japanischen Originalsynchronsprecher empfehlen.
Kämpfer kämpfen kampferprobt
Das Kampfsystem von Lost Judgment wurde im Vergleich zum Vorgänger ebenfalls nur erweitert und nicht groß verändert, was im Klartext bedeutet, dass ihr immer noch zwischen verschiedenen Kampfstilen hin- und herwechseln könnt. Statt zwei Stile, einen für einzelne Gegner und einen für Gruppen, habt ihr nun aber noch einen dritten, der sich für Feinde mit Waffen empfiehlt. Alle drei Kampfstile wurden etwas verfeinert, ausgearbeitet und lassen sich schnell erlernen, wenn auch nur langsam meistern.
Eure Gegenspieler sind, ebenfalls typisch für Yakuza, zu Beginn ein Haufen Anfänger, die euch nichts entgegenzusetzen haben. Dadurch neigt man dazu, den Kämpfen nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken und die Auseinandersetzungen locker anzugehen. Bis der Schwierigkeitsgrad plötzlich rasant angezogen wird und selbst kleine Gelegenheitskontrahenten euch ordentlich zusetzen können. Dieser Wechsel kommt wie immer schnell und ohne große Ankündigung.
Die richtigen Bosskämpfe sind natürlich wieder in einer ganz anderen Liga und wer sich nicht die Mühe gemacht hat, die drei Kampfstile mit gesammelten Erfahrungspunkten auszubauen und ausgiebig zu erlernen, schaut sehr schnell in die Röhre. Die Gegner haben es wieder einmal faustdick hinter den Ohren, und wer sich weigert, den Schwierigkeitsgrad nach unten zu schrauben, muss sich schon ziemlich zusammenreißen, um nicht zu Hackfleisch verarbeitet zu werden.
Sobald man den Dreh aber erst einmal raus hat – wahrscheinlich lange bevor ihr alle Minispiele und Schulclubs freigeschaltet habt – wird das Kämpfen aber zu einem gut einstudierten Pflichtprogramm, das sich mühelos auf einer Pobacke absitzen lässt. Erst im höchsten Schwierigkeitsgrad wird es wirklich anspruchsvoll, doch selbst dort könnt ihr euch mit Hilfsgegenständen über Wasser halten, wenn nicht sogar unbesiegbar machen.
Und wenn alle Stricke reißen, lassen sich die meisten Kämpfe schon allein dadurch gewinnen, dass ihr einfach einen Hutständer, einen Stuhl, ein Fahrrad oder sonst einen Gegenstand greift und damit auf die Birne eurer Kontrahenten einschlagt, bis diese die Nationalhymne unter kreisenden Sternen singen. Und je nach Fortschritt wird Yagami mit den eingesetzten Waffen ziemlich einfallsreich.
Die vielen Finisher und Special Moves sind erneut schön in Szene gesetzt, aber teilweise aus dem Vorgänger entliehen, wo sie bereits deutlich zu oft zum Einsatz kamen. Einige Ausnahmen bestätigen die Regel, doch unterm Strich müsst ihr schon mit gut berechnetem Kalkül arbeiten, um die Gegner in Situation zu bugsieren, in denen seltene Manöver möglich werden.
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Grafisch leicht poliert
Einen großen technischen Sprung von der Next-Gen-Version von Judgment zu Lost Judgement dürft ihr nicht erwarten. Das Spiel läuft generell in 1440p mit 60 fps, sowohl auf der Xbox Series X als auch auf der PS5. Es gibt auch einen 4K-Modus, der nochmal deutlich an Schärfe drauflegt, die Framerate dafür aber auch auf 30 fps drosselt. So oder so sieht das Spiel visuell sehr schick aus und erlaubt sich nur wenige hässliche Momente. Selbst auf der PS4 Pro ist der Titel durchaus ein Hingucker.
Wie auch schon der direkte Vorgänger überzeugt Lost Judgement vor allen Dingen bei der Mimik und Gestik der wichtigen Charaktere. Unwichtige NPCs sollten aber lieber nur aus der Entfernung bewundert werden. In den Zwischensequenzen hingegen zeigen die Entwickler dafür umso mehr, was sie auf dem Kasten haben und präsentieren filmreife Atmosphäre und coole Einstellungen.
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