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Test - Lost in Random : Tim Burton würde vor Stolz platzen

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Die Behauptung, Videospiel XY sehe aus wie ein spielbarer Animationsfilm, mag inzwischen leicht abgedroschen klingen, doch wäre das nicht der Fall, wenn nicht immer mehr Spiele erschienen, deren Grafik tatsächlich das Kriterium erfüllten. Beim Anblick von Lost in Random aus der Feder von Zoink Games und Thunderful schlägt mitunter die Kinnlade auf den Boden. Man mag manchmal den Augen nicht trauen.

Windschief. Alles ist windschief, krumm und buckelig. Und grob, aber auf eine angenehme Weise, so als ob Umgebung und Darsteller aus Holz geschnitzt seien. Wäre die Bewegung der Figuren nicht so flüssig, könnte man meinen, es ginge um einen Stop-Motion-Film aus Tim Burtons Feder. Mit allem Drum und Dran, also unförmigen Darstellern mit schiefen Zähnen, unproportionierten Gesichtern, völlig überzeichneten Gliedmaßen und diesem Hauch gruseliger Entstellung, der durch Schatten, Nebel und zwielichtiger Beleuchtung in Form und Farbe gefestigt wird. Kaum eine Ecke dieser bizarren Fantasiewelt entzieht sich dem akribischen geplanten Design der Grafiker, die der Unity Engine jeden sehenswerten Grafiktrick entlocken.

Es ist gar nicht lange her, da fiel das Stichwort „Tim Burton“ im Rahmen des Tests von Psychonauts 2. Dort war der Stil des Filmvisionärs nur ein Teil des Designs, denn als zweite Referenz wurde von uns die Nickelodeon-Serie Ren and Stimpy herangezogen. Lost in Random ist dagegen so Burton-esque, dass das Spiel glatt aus seiner Feder stammen könnte. Die Geschichte des Geschwisterpaars Odd und Even (zu Deutsch: Gerade und Ungerade) wirkt wie ein auf Grusel verdrehtes, düsteres Märchen im bizarren Stil eines Alice im Wunderland, aber ohne den psychedelischen Unterton. Abseits der Tim-Burton-Vergleiche käme wohl der Stop-Motion-Film Coraline von Henry Selick dem Grundton am nächsten.

Würfelglück fürs Leben

Noch bevor man sich ein Urteil von der Präsentation bilden kann, ziehen die Designer von Zoink die wichtigsten Register, denn die Handlung steht jederzeit im Vordergrund. Ein allwissender Off-Erzähler mit hervorragender, köstlich britisch akzentuierter Märchenonkel-Stimme führt den Spieler in alle Geschehnisse ein und macht dabei vor humorösen Anmerkungen nicht halt.

Die beiden Mädchen Odd und Even leben mit ihren Eltern arm, aber glücklich in der sogenannten Einserstadt. Ein Name, der nicht aus Zufall oder historischem Kontext entstand. Tatsächlich sind alle sechs Städte der Random genannten Märchenwelt nach den Seiten eines sechsseitigen Würfels benannt. Je höher die Augenzahl, desto größer der Wohlstand.

Ein Schicksal, mit dem sich alle abfinden, denn so bestimmt es das Gesetzt der finsteren Königin. Ihr Gesetz besagt, dass nur der Zufall gerecht sei. Eigentlich genau so, wie es früher schon Usus war, als viele hochrangige Bewohner von Random noch ihren eigenen, schicksalsbestimmenden Würfel besaßen. Doch unter der erdrückenden Herrschaft der einen dunklen Königin gilt diese Regel nur noch für ein einziges Ereignis im Leben: den zwölften Geburtstag.

Jedes Kind hat an diesem Datum die Chance, seiner Geburtsstätte zu entkommen, indem es einen Würfel wirft. Die gewürfelte Augenzahl bestimmt, in welcher Stadt dessen Zukunft liegt. Und so geschieht es, dass Evens Schwester Odd an ihren zwölften Geburtstag eine Sechs würfelt. Ihre Eltern und alle Stadtbewohner gehen davon aus, dass sie in Zukunft ein wohlhabendes Leben an der Seite der dunklen Herrscherin führen wird. Aber ob es stimmt, weiß niemand.

Niemand kann es wissen oder es herausfinden, denn von den früher so mannigfaltig vorhandenen, persönlich gebundenen Würfeln wurden alle von der dunklen kaltherzigen Königin vernichtet. Seitdem befinden sich alle sechs Würfelstädte in Unruhe. Durch Barrieren voneinander getrennt, wissen sie kaum noch etwas von den benachbarten Orten, zumal sie viel zu sehr damit beschäftigt sind, sich durch interne Streitereien das Leben schwer zu machen.

Alle Würfel? Nein, das stimmt nicht. Einer der Würfel existiert noch, doch er wäre wohl unentdeckt geblieben, wenn Even keine Zweifel am Glück ihrer Schwester gehegt hätte. Motiviert durch einen seltsamen Geist, beschließt sie, ihre Schwester zu suchen und verlässt die Einserstadt als blinder Passagier eines Handelsschiffs. An ihrem ersten Ankunftsort trifft sie durch Zufall auf diesen einen Würfel, der übrigens kein lebloses Objekt ist. Er kann laufen, sprechen und viele wertvolle Dinge in seinem inneren Tragen. Vor allem aber ermöglicht er Even, sich gegen die Streitmächte der dunklen Herrscherin aufzulehnen.

Karten, Brettspiele und Augenzahl

Evens Kampfkünste hängen von Spielkarten ab, die sie im Laufe des Abenteuers zu einem mächtigen Deck ansammelt. Jede dieser Karten birgt eine Kampfeigenschaft, die zu einer von fünf Kategorien gehört, nämlich Schaden, Abwehr, Waffe, Risiko und Joker. Fünfzehn davon darf sie als Kampfdeck zusammenstellen. Sie verleihen ihr vorübergehend besondere Kräfte und Gegenstände. Etwa ein Schwert oder einen mächtigen Streitkolben (mit begrenzter Haltbarkeit), Bomben zum freien Platzieren oder Utensilien, die ihre Lebenskraft wiederherstellen.

Ausspielen kann sie diese Karten aber nicht jederzeit. Zuvor muss sie gegnerischen Soldaten und ihren kleinen Schergen Kristalle entziehen, indem sie mit einer Zwille auf kleine Kristall-Auswüchse an ihren Körpern feuert. Und selbst wenn sie dann genügend Kristalle auflesen konnte, bleibt ihre Auswahl begrenzt, denn einerseits deckt sie immer nur maximal fünf zufällig ausgeloste Karten pro Runde auf, andererseits darf sie nur jene Karten ausspielen, deren Wert sie mit einem Wurf ihres Würfel-Kumpels erreichen konnte.

Dummerweise fehlen dem Würfel, den sie liebevoll Dicey nennt, viele Punkte an seinen Seiten. Bei ihrer ersten Begegnung kann er keine Augenzahl höher als zwei zeigen. Dementsprechend begrenzt ist nicht nur Evens Kampf-Deck, sondern auch ihr Vermögen, die Grenzen der Städte zu überwinden, denn jedes Stadttor verlangt einen Wurf mit passender Augenzahl, damit es sich öffnet. Bleibt nur die Frage: Wie kommt Even an weitere Augen für ihren Würfel heran? Einfach aufmalen funktioniert nicht.

Wie es der Zufall will, erhält sie Hilfe von den Anwohnern der Städte, von denen die wenigsten mit dem Status quo zufrieden sind. Allerdings gibt es nichts umsonst. Even muss sich durch ein dichtes Geflecht von Haupt- und Nebenquests hangeln, Gegenstände besorgen, Multiple-Choice-Gespräche mit teils absurd freakigen Gestalten führen und kleine, recht einfach gestaltete Rätsel lösen, um voranzukommen. Wobei nicht selten ein Schlagabtausch mit Monstern und Soldaten folgt. Im schlimmsten Fall sogar im Rahmen überdimensionaler Brettspiele, in denen jeder Wurf mit dem Würfel nicht nur Evens spielbares Kartendeck bestimmt, sondern auch eine große Spielfigur bewegt. Diese „Brettspiele“ mitsamt ihren oft langen Kampfrunden enden erst, wenn die Spielfigur das Zielfeld erreicht oder wenn ein bestimmtes Objekt durch weitere Interaktion vernichtet wurde.

Ein wenig hölzern

Lost in Random präsentiert sich auf den ersten Blick innovativ und in seiner absichtlich verschrobenen Art höchst amüsant. Es ist unerheblich, wie abgedroschen der Vergleich mit einem Animationsfilm auch sein mag, denn hier greift er zu hundert Prozent. Es ist höchst vergnüglich, die Welt zu erkunden, die Besonderheiten der schrulligen Figuren aufzudecken und Evens manchmal vorlautes Mundwerk loszulassen. Das Einzige, was manchmal aus dem Rahmen fällt, ist die Lippenbewegung der schrägen Fantasiegestalten, die nie vollkommen auf das Gesprochene passt und manchmal unnötig grob erscheint. Aber angesichts des Inhalts, der durch die Bank weg von ausgezeichneten Stimmkünstlern vorgetragen wird, wäre übermäßige Kritik ungerechtfertigt.

Ganz kritiklos kommt die Präsentation leider trotzdem nicht davon, denn so schön das Allgemeinbild auch sein mag, im Detail fehlt es doch an Schliff. Es ist beispielsweise viel zu einfach, an den Ecken und Kanten der oft engen Gassen der Städte hängenzubleiben. Manchmal (wenn auch selten) klaffen sogar Lücken in der Grafik – siehe etwa in der Stadt Dreiheit. Dort soll man in einer abwärts führenden Gasse alle Lichter löschen, um einer wichtigen Person namens Schattenmann zu begegnen, allerdings setzt das Gefälle der Gasse nicht ganz auf der untersten Ebene auf, sodass man die Hintergrundgrafik in der Lücke zwischen den Grafikelementen erspähen kann. In derselben Stadt ist zudem die Schattenkaskade (auch auf dem PC) so kurz, dass man das Eingangstor ab einer gewissen Entfernung in vollem Sonnenlicht sieht, obwohl es im Schatten eines großen Gebäudes liegt. Schade, denn solche Kleinigkeiten können das wundervolle Gesamtbild kurzzeitig zerstören. Zum Glück sind solche Schnitzer selten anzutreffen.

Mein Würfel und ich - Zocksession zu Lost in Random

Lost in Random ist das neueste Spiel aus dem Hause EA. Pirmin konnte es bereits zocken und zeigt euch die wunderschöne und kreative Welt des Action-Adventures.

Auf spielerischer Seite sieht es nicht ganz so rosig aus. Das Kampfsystem mag ideenreich und witzig sein - im Großen und Ganzen auch unterhaltsam - aber es kann zeitweise ganz schön nerven, gerade weil einiges vom Zufall der Würfelglücks abhängt. Wenn man von sechs Gegnern umkreist wird, ärgert man sich die Halsschlagader blau, wenn man nur eine eins oder eine zwei würfelt oder die Karte mit der gerade nötigen, starken Bewaffnung nicht im Deck auftaucht. In dem Fall muss man nämlich eine ganze Weile um Gegner herumtänzeln.

Man entkommt ihnen in den allermeisten Fällen durch ein schnelles Ausweichmanöver, das man per Knopfdruck aktiviert, aber danach folgt das mühselige Suchen nach einer sicheren Stelle in den stets abgeschlossenen und manchmal erdrückend engen Kampfarenen, in welchen man genügend Platz und Zeit findet, die Kristall-Auswüchse der Gegner ins Visier vors Fadenkreuz zu bekommen. Dass sämtliche aktiven Hiebe mit den Nahkampfwaffen hölzern und steif wirken, ja sogar so lange dauern, dass jeder Hieb daneben beinahe automatisch mit Kampfschaden bestraft wird, hebt die Stimmung auch nicht unbedingt. Keiner dieser Kritikpunkte wiegt schwer genug, um Lost in Random den Spaß abzusprechen, aber dynamisch und lebhaft ist was anderes, zumal die Kampfrunden auf dem normalen Schwierigkeitsgrad sowieso schon zu lange dauern. Immer wieder spawnen neue Gegner nach und strecken die Spielzeit unnötig in die Länge.

Eine Maßnahme, die anscheinend Teil des Gesamtkonzepts ist, denn auch im Adventure-Anteil besteht Lost in Random mehr aus Stil als aus Substanz. Im Grunde läuft man immer nur von A nach C über B, um Gegenstand D zu finden. Derweil sucht man in den Gassen nach Münzen, die mal in Tonbehältern liegen, die man mit der Zwille abschießt, oder in kleinen Tunneln, die der lebende Würfel leerräumt. Ernsthaften Freiraum für Erkundungen gibt es abseits vereinzelter Seitengassen aber nicht, da jede noch so kleine Straße irgendeinen Nutzen hat. Sei es für die Hauptaufgabe oder eine Sidequests. Ob man nun Collectibles sammelt (Märchenbuchseiten) oder Geld, damit man sich neue Karten im Shop leisten kann, macht keinen Unterschied. Wer einfach nur der Geschichte folgt, findet das Meiste automatisch.

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