Test - Lemnis Gate : Geniale Zeitschleifen-Hirnverknotung
- PC
- PS5
- PS4
- XSX
- One
Mal wieder Bock auf Ballern mit der Extraportion WTF? Mit Hirnverknoter-Strategie erster Kajüte, die zugleich auf Intuition setzt? Dann ist Lemnis Gate euer Spiel! Selten war ein Ego-Shooter so simpel und doch so abgefahren, dass es euch die Hirnwindungen aus der Schädeldecke schreddert.
Zeitreise gehört zu den beliebtesten Themen der erzählenden Künste. Was wäre, wenn man Geschehenes verhindern, den Lauf der Zeit umstricken und eine neue Zukunft schmieden könnte? Sicher ein spannendes Thema mit vielen witzigen Schlupflöchern für Plot-Twists, aber nichts, was man ernsthaft in der Realität überblicken wollen würde, denn die Folge wäre eine endlose Verknüpfung übelster Paradoxa. Allem voran geht das Großvater-Paradaxon: Wenn ich in die Zeit zurückreise, um meinen Opa zu töten, werde ich selbst nie geboren und kann Jahre später auch nicht in die Vergangenheit reisen. Und selbst wenn ich ihn töte, nachdem er bereits einen meiner Elternteile gezeugt hat, gibt es für mich in meiner „neuen“ Gegenwart gar keinen Grund mehr, in die Vergangenheit zu reisen, wodurch mein Opa letztendlich doch nicht umkommt. Über temporale Widersprüche von Zeitreisen darf man nicht zu lange nachdenken, sonst wird man ganz wirr im Kopf.
Aber was wäre, wenn ein Shooter euch dazu brächte, doch ein paar Gedanken dieser Art in ein Zeitreise-Schlachtfeld zu investieren? Ein FPS wie Lemnis Gate, dessen Schlachten nur 25 Sekunden dauern, euch aber die Möglichkeit einräumen, eben diese etliche Male neu zu beeinflussen. Ein komplexes Unterfangen, mit erstaunlich wenigen Regeln, aber endlos genialem Spielablauf!
25 Sekunden in Zeitschleife
Mit seinem Hauptfiguren-Kader mutet sich Lemnis Gate eingangs ein wenig wie eine verstümmelte Version eines Superhelden-Shooters an, quasi Overwatch für Arme. Sieben Figuren mit unterschiedlichen Charakterzügen und distinktiver Bewaffnung rappeln sich zu einer Heldenmannschaft zusammen, deren selbst auferlegtes Ziel daraus besteht, in einem Zeitreise-Konflikt die eigene Zeitlinie bewahren zu wollen. Da wäre etwa Quentin Anderson, genannt Rush. Er vermag für einen Augenblick so schnell zu laufen wie der Superheld The Flash. So entgeht er Geschossen in einem Wimpernschlag. Sein Kumpel mit dem Spitznamen Toxin schießt am liebsten mit einer Giftkanone und wirft obendrein Granaten, die aber keine Sprengsätze sind. Stattdessen vermag Toxin, sich zu dem Ort zu teleportieren, an dem die Granate aufschlägt. Der Roboter mit dem Namen Karl errichtet dagegen am liebsten Schutzschild-Kuppeln über sich und einen seiner Gefährten.
Der Vergleich mit Overwatch ist nicht besonders fair, da das Design der Figuren wesentlich unspektakulärer und weniger auf offensichtliche Fantasy-Einflüsse setzt. Menschen und Roboter mit weichem Future-Fighter-Geschmäckle? Nein, so ein oberflächliches Design kann sich nicht mit intelligenten Gorillas, Mega-Mechs, Samurai und Revolverhelden messen. Muss es auch nicht, denn Lemnis Gate ist ja gar kein Superhelden-Massenshooter. Hier treten maximal zwei gegen zwei an. In der Regel sogar nur ein einsamer Spieler gegen einen weiteren.
Warum dann sieben distinktive Helden als Team? Ganz einfach: Je nach Spielmodus steuern ein oder zwei Spieler bis zu fünf dieser Figuren in dieselbe Schlacht. In eine Schlacht, die nur 25 Sekunden dauert, aber abhängig von Spielmodus entweder rundenweise oder simultan vonstattengeht und diverse Ziele vorgibt. Mal geht es um reines Niedermetzeln des gegnerischen Teams, mal um das Einnehmen von Türmen und mal um das Sammeln und Nachhausebringen von Orbs im Capture-The-Flag-Stil.
Ich hör schon euer Kopfkratzen: Knapp unter einer halben Minute? Was kann man in dieser Zeit schon ausrichten? Eine ganze Menge, wenn die genannten 25 Sekunden in einer Zeitschleife laufen. Dieselbe Zeitspanne wiederholt sich in einer Schlacht fünf Mal hintereinander, wobei jeder neue Anlauf als Runde bezeichnet wird.
Tot oder nicht? Schau ‘mer mal!
Das Spielprinzip von Lemnis Gate ist auf der praktischen Seite relativ simpel: Man zieht mit einem der Helden los, erledigt seine Aufgabe innerhalb des Zeitlimits und wartet dann ab, was der Gegner dem entgegenzusetzen hat. Weil mit jeder der fünf Runden einer Schlacht aber weitere Aktionen in die Zeitschleife eingeflochten werden, wird eine Beschreibung des Ganzen kompliziert. Für die Verdeutlichung des Spielablaufs ist ein praktisches Beispiel am besten geeignet. Hier also ein typisches Szenario:
Im Capture-the-Flag-artigen Modus, in dem man eine Handvoll Orbs finden und zum Spawn-Punkt bringen soll, startet der erste Spieler ganz allein auf dem Feld. Sein Gegner darf zwar mit der Drohne über das Spielfeld fliegen und beobachten, was Spieler eins tut, aber noch nicht eingreifen. Naturgemäß sucht Spieler eins den ersten Orb, liest ihn auf und bringt ihn nach Hause, was gut und gerne zwischen 15 und 20 Sekunden beansprucht und natürlich leicht gelingt, weil ja noch niemand versucht, ihn daran zu hindern.
Was Spieler eins in der ersten Runde tut, wird für alle zukünftigen Runden gespeichert und nach dem Abschluss seines Versuchs in Endlosschleife wiederholt, sodass beide Parteien den bisherigen Ablauf beobachten und ausführlich analysieren können – sozusagen in Form eines Action-Replay. Anschließend steigt Spieler zwei in das Geschehen ein mit dem Ziel, den Erfolg, den Spieler eins in der ersten Runde erstritten hat, mit Waffengewalt zu verhindern. Spieler eins kann derweil nicht mehr in seinen ersten Anlauf eingreifen, muss also zusehen, wie sein Gegner auf sein gespeichertes Verhalten reagiert. Bei entsprechendem Zielwasser schießt Spieler zwei den Avatar von Spieler eins über den Haufen, der aufgrund dessen nun doch nicht den ersten Orb nach Hause bringt. Spieler zwei stibitzt ihn aus seinen toten Händen und flitzt damit zum eigenen Spawn-Punkt. Beide haben ihren Anlauf abgeschlossen - damit wäre Runde eins beendet.
Runde zwei steht an – und jetzt wird es kompliziert, aber auch endlos genial: Alles, was beide Spieler in Runde eins vollzogen haben, bleibt gespeichert und wird automatisch ausgeführt. Da beide Spieler den bisherigen Ablauf von Runde eins kennen (der ebenfalls zwecks Analyse in Endlosschleife beobachtet werden darf), machen sich beide Gedanken, wie sie das Geschehen in Runde zwei weiter zu ihren Gunsten beeinflussen können. Spieler eins hat erneut den Vorzug. Er schickt eine weitere Spielfigur ins Rennen und versucht, den Gegner daran zu hindern, seinen Runde-1-Avatar zu töten. Gelingt das, dann bleibt der ursprünglich erbeutete Orb doch noch in seinem Besitz. Sieht er die Situation aber als hoffnungslos an, kann er die Situation belassen, wie sie ist und stattdessen versuchen, einen ganz anderen Orb aufzulesen. Spieler zwei reagiert dann wieder darauf.
>> Knoten im Hirn: Die 10 besten Zeitschleifen-Spiele <<
Klingt komplex? Ist es auch, aber das ist noch gar nichts, denn so richtig spannend wird es erst, wenn einer der Spieler intuitiv handelt. Etwa indem er Minen oder einen Geschützturm an einer strategisch wertvollen Stelle platziert oder einfach mal vorausschauend in die leere Luft ballert. Angenommen, sein Gegner läuft in einer zukünftigen Runde in so eine Mine oder wird von einer präventiv abgefeuerten Salve getroffen, dann stirbt er, darf aber als Geist weiterspielen und die 25 Sekunden der aktuellen Runde so ausfüllen, wie er glaubt handeln zu müssen, wenn er nicht gestorben wäre. Denn es besteht ja die Möglichkeit, dass er mit einer weiteren Figur diesen Frag verhindert – etwa indem er den entsprechenden Geschützturm (oder die Mine) in einem späteren Anlauf beseitigt. Die strategische Planung solcher Züge bringt das Hirn auf Hochtouren!
Mit jeder weiteren Runde agieren mehr Avatare gleichzeitig auf dem Schlachtfeld, deren Handeln man nacheinander bestimmt hat. Das Geschehen wird somit irre komplex. Man spielt quasi Geisterschach mit Figuren, die leben, mal gelebt haben und eventuell zukünftig wieder leben könnten, wenn man verhindern kann, dass sie im Laufe der 25 Sekunden vorzeitig abkratzen.
Da der Ausgang einer Schlacht bis zum letzten Moment offenbleibt und starke Verschiebungen das Potenzial für Frust in die Höhe treiben könnten, zählt am Ende nicht das reine Endergebnis – also nicht, wie viele Orbs man letztendlich nach Hause bringen konnte. Die finale Punktzahl setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen, etwa wie viele Frags man einheimsen konnte, wie viele Orbs gerettet wurden und wie oft man die Zeitlinie änderte.
Bringt das Hirn zum Rauchen und die Finger zum Glühen
Das beschriebene Szenario wäre bereits höchst komplex, wenn alle fünf Spielfiguren, die man in die Runden schickt, die gleichen Fähigkeiten hätten. Jetzt stellt euch mal vor, wie euer Hirn erst raucht, wenn ihr unterschiedliche Fähigkeiten einsetzt. Schutzschild um eine Figur aufbauen, die der Gegner aufs Korn genommen hat? Per Spezialfertigkeit schneller am Orb sein als der erste eigene Avatar und somit den Schlachtplan des Gegners komplett durchkreuzen? Kritische Handlungen bis zur letzten Runde aufsparen und somit eine ganze Kette von Ereignissen ungeschehen machen? All das und mehr ist möglich.
Angesichts der wenigen Spielmodi, die ihre Abwechslung hauptsächlich aus der Unterscheidung zwischen rundenbasiertem Spiel und Echtzeitschlachten ziehen, steht und fällt der Unterhaltungswert mit dem Können des Gegners. Je besser euer Gegenüber die Situation analysiert, desto spannender die Schlacht. Im gegenteiligen Fall ist es schlicht zu einfach, ihn in mehreren Runden über den Haufen zu ballern. Lemnis Gate eignet sich somit nicht für schnelle Runden mit typischen „erst schießen, dann fragen“-Kandidaten, auch wenn solche durchaus mal einen Zufallserfolg verbuchen können. Um so lobenswerter wäre zu erwähnen, dass die Möglichkeit, gute Gegner anzutreffen, dank Crossplay recht hoch ist. Playstation, Xbox oder PC? Spielt keine Rolle. Und PC-Spieler sind angesichts der vielfältigen strategischen Möglichkeiten nicht einmal halb so stark im Vorteil wie bei anderen Multiplayer-Shootern.
Kommentarezum Artikel