Test - Here They Lie : Grusel, Stil und ein Schuss Übelkeit
- PS4
Geht es darum zu zeigen, wie tief man in ein neues Spielerlebnis abtauchen kann, so gehört eine ordentliche Portion Horror zu den beliebtesten Stilmitteln. Darum möchten zum Start der PlayStation VR gleich zwei Spiele ihren Probanden einen möglichst großen Schrecken einjagen: Until Daw: Rush of Blood und Here They Lie. Letzteres fährt definitiv die schaurig-schönste Umgebung auf, aber steckt auch spielbare Substanz dahinter?
Angesichts der inzwischen ausgelutschten Klischees im Horror-Genre ist das Erschrecken-Business kein leichtes mehr. Selbst Kinder winken mittlerweile gähnend ab, wenn man ihnen entstellte Fabelfiguren, Blutlachen und finstere Flure vorsetzt, denn gerade Videospiele verquirlen derart oft Stilmittel, dass echte Schreckmomente beinahe nur noch mit sogenannten Jumpscares erzielt werden, also mit plötzlich auftauchenden, oft schnell sehr nah herantretenden, schlecht zu erkennenden Monstern, deren Schreckfaktor mit ihrem plötzlichen Erscheinen zusammenhängt.
Here They Lie aus dem Hause The Tangentlemen leistet angesichts dessen gar keine schlechte Arbeit. Düstere Flure mit abgewetzten Tapeten, zersprungener Lackfarbe und zerfressener Oberfläche bieten ein Meer aus Graustufen, angereichert mit einer ordentlichen Portion dystopischer Zerstörung und Weltuntergangsstimmung. Blutpfützen und Feuer erscheinen aus dem Nichts, verschwinden wieder und hinterlassen ekelhafte, schmutzige Spuren. Mal in Überbelichtung, mal in arger Verdunklung präsentiert, zeugen jeder Flur und jedes beengte Zimmer von Trost- und Ausweglosigkeit, aber auch von winzigen Rest Hoffnung, von dem man zehrt, als wäre er die letzte Scheibe Brot auf Erden.
Schwarz-weiße Trostlosigkeit
Worum es in der Handlung geht, weiß man selbst nicht so genau. Das erzeugt ungemein viel Spannung, während man jedes vorgesetzte Detail durch die VR-Brille aufsaugt. Die meiste Zeit über folgt man dem geisterhaften Bild einer lieblichen Frau, das durch die Trümmer einer Stadt schlendert. Hier taucht sie kurz auf und verschwindet nach ein paar kurz gehauchten Sätzen wieder, da stolziert sie in der unerreichbaren Ferne und lockt mit ihrem reinen Antlitz, weil ihr grelles, gelbes Kleid klar aus der schwarz-weißen Trostlosigkeit heraussticht. Ist sie eine Erinnerung, ein Leitfaden, ein Trugbild?
Leider ist anderweitig nicht viel zu tun. Ihr schreitet mithilfe des DualShock-4-Controllers voran, leuchtet mit einer Taschenlampe in dunkle Ecken, sammelt Batterien oder kleine Textfetzen auf Zetteln und lauft stets in Blickrichtung, wobei jeder Schwenk zur Seite nur sehr langsam die Ausrichtung der Hauptfigur ändert. Wollt ihr schnell die Laufrichtung ändern, so müsst ihr auf den rechten Analog-Stick des Joypads zurückgreifen, der den Blickwinkel nach einer kurzen Schwarzüberblendung anpasst.
Da alles aus den Augen der Hauptfigur betrachtet wird, führt diese Form der Steuerung auch bei hartgesottenen VR-Fans leider sehr schnell zu einem Anfall von Motion Sickness. Das liegt weniger an gewissen Verzerrungen in der Grafik, die der Stimmung dienlich sind, als an der schieren Orientierungslosigkeit, der das Spielerhirn gelegentlich ausgesetzt zu sein scheint. Man benötigt immer wieder einen Moment, um zu realisieren, in welche Richtung man nach einer Überblende gerade schaut.
Auch Kollisionen mit Gegenständen, die die Grafik-Engine sehr unspektakulär quittiert, verwirren die Sinne und machen den Körper glauben, er sei vergiftet worden, was in Schwindel und leichte Kopfschmerzen mündet. Bedauerlich, denn eigentlich sind die Ursachen typischer Motion Sickness in der virtuellen Realität längst bekannt und hätten vermieden werden können.
Pazifistengrusel
Dichte Atmosphäre und für PSVR-Verhältnisse schöne Grafik mit vielen Spiegelungen und Reflexionen halten eine Weile bei Laune. Neugierde springt für fehlende Substanz ein, was aber nicht lange vorhält, denn Here They Lie fehlt es an einem sinnvollen Spielaufbau. Zwar treten nach der ersten Spielstunde vermehrt seltsame Kreaturen ins Rampenlicht, deren finsteres Gurgeln und Ächzen Gänsehaut garantieren, ja, gar Furcht vor dem Weitergehen wecken, aber da es keinerlei Kampf- oder Vertreibungsmöglichkeiten gibt, bleibt es dauerhaft beim Vorbeischleichen. Schauen, abwarten und abschätzen, wann eines der Biester in einem Nebenraum oder einer Seitengasse verschwunden ist. Na toll!
Bei den ersten Begegnungen erzeugt die pazifistische Ausrichtung noch Spannung, da man der Situation wehrlos ausgeliefert ist. Wenn man aber mal von den baumartig knorrigen Ungetümen überwältigt wurde, weil man zu schnell vorbeiwollte, wünscht man sich zumindest die Option, sich kurzzeitig wehren oder befreien zu können – und sei es nur, um die Beine in die Hand zu nehmen.
Tode haben wenig Konsequenz. Einmal umgenietet, landet man am letzten Zwischenstopp – oder im besten Fall sogar am eigentlich erst folgenden, weil man einen Nebenweg eingeschlagen hat, der parallel daran vorbeiführt. Solche Abzweigungen sind aber selten und offenbaren nur geringfügige Möglichkeiten zum Forschen. Meist entdeckt man nur eine weitere Kiste mit einem Textfetzen oder einem Foto.
Kommentarezum Artikel