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Test - Gemini Rue : Benutze Pistole mit Mafioso

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Nach dem Doppelklick auf die Spielstartverknüpfung des Indie-Adventures Gemini Rue folgt erst mal ein Kulturschock, der Adventure-Veteranen ein feistes Grinsen auf die dentale Klaviatur zaubern dürfte: Pixelige Gestalten, über deren Köpfen die Dinge, die sie sagen, als pixelige Lettern vor ebenso pixeligen Hintergründen erscheinen – wer alte LucasArts-Titel oder Klassiker wie Beneath a Steel Sky liebte und lange vor Hogwarts-Harry mit Simon the Sorcerer gezaubert hat, wird sich bei Gemini Rue sofort heimisch fühlen: Point & Click der ganz alten Schule. Bis auf eine Ausnahme: Es wird gekämpft ...

Regen, Neon und Beton – der Minenplanet Barracus ist kein angenehmer Ort. Ausgerechnet hierhin verschlägt es den Detektiv Azriel Odin. Der vierschrötige Hüne im Trenchcoat will in der Raumkolonie einen alten Freund und Informanten aufstöbern. Als besagte Plaudertasche das Treffen verpasst, macht sich Azriel auf die Suche – dabei kreuzt er den Weg der Boryokudan: ein mafiöses Kartell, das besonders allergisch auf Schnüffler reagiert. Im Laufe seines Handlungsstrangs tritt Azriel der kriminellen Brut gehörig auf die Füße. Im Laufe seines Handlungsstrangs? Richtig, denn es gibt zwei Protagonisten.

Wobei Nummer zwei, Delta Six genannt, eher zu bemitleiden ist. Zwar muss er nicht wie Azriel ohne Schirm im Dauerregen einer düsteren Metropole umherstreifen, aber dafür ist er Gefangener von Center 7, einer geheimen Einrichtung. Hier wird er nicht nur munter genötigt, die Tests seiner anonymen Peiniger zu durchlaufen, sondern bekommt zu allem Überfluss auch noch Gehirnwäschen verpasst, bei denen den Probanden immer wieder alle Erinnerungen aus der Denkmurmel gespült werden. Weil das nicht unbedingt seine Vorstellung von einem angenehmen Dasein ist, trägt sich Delta Six mit Fluchtgedanken.

Barracus – ohne B. A., aber gewalttätig

Wer jetzt an den Cyberpunk-Klassiker "Blade Runner" denkt, ist ziemlich nah dran: Sowohl die regennassen Straßen von Barracus als auch die klinischen Räume von Center 7 atmen den Geist des Neo-Noir-Genres. Der getragene, von Saxophon und Piano abgerundete Soundtrack tut da sein Übriges. Es ist eine düstere Zukunftsvision, die hier präsentiert wird – und nicht immer geht es friedlich zu: Als Azriel sich schließlich mit einer klassischen, auf die Handlungssynonyme „Hand“, „Fuß“, „Auge“ und „Mund“ reduzierten Point-&-Click-Mechanik zur Wohnung seines Freundes durchgerätselt hat, klopft es an der Tür.

Gemini Rue - gamescom 2011 Trailer
Daedalic hat zum PC-Titel Gemini Rue auf der gamescom einen neuen Messe-Trailer im Gepäck.

Wer dort steht und was er oder sie will, soll an dieser Stelle offenbleiben. Aber der ungebetene Besuch geht für ein Adventure ungewohnt ruppig zu Werke: Handeln wir nicht schnell genug, ist Azriel hinüber. Game over. Vorbei sind die seligen Zeiten der guybrushesken Unsterblichkeit, es hat eher etwas von Indy 3. Auch später kommt es immer wieder zu Feuerwechseln, die an den SNES-Klassiker Blackthorne aus Blizzards Kindertagen erinnern und bei denen es gilt, im Bildhintergrund in Deckung zu gehen und mit präzisem Timing einer Trefferchance zu harren.

Spricht mit mir, Baby

Eine gnädige Autosave-Funktion vereitelt dabei Frust. Adventure-Puristen mögen über ein Kampfsystem im geheiligten Point-&-Click-Genre nicht besonders erfreut sein, werden aber davon abgesehen nur wenig Grund zum Mäkeln finden. Die meist logischen, gerade bei Azriel sehr detektivisch angehauchten Rätsel gehen locker von der Hand – Delta Six hat es da schon schwerer. Das Interface ist dabei einen Tick zu simpel geraten, erfüllt aber die Erwartungen. Lediglich das Inventar beider Charaktere ist etwas zu minimalistisch.

Nett ist die Idee mit Azriels Kommunikator: Mit dem kleinen Gadget kann der hartgesottene Schnüffler nicht nur telefonieren, sondern er speichert dort auch Namen und Notizen über handlungsrelevante Charaktere ab. Dabei sind alle Dialoge im Spiel vertont. Die deutsche Sprachausgabe kann sich durchaus hören lassen, der englischen, die mit auf der Silberscheibe schlummert, hört man ihre Indie-Herkunft leider etwas an. Puristen stellen den Ton aus und genießen so die volle Retro-Erfahrung, Multimediafreunde schalten wahlweise sogar einen Audiokommentar zu.

Fazit

von Bernhard Trecksel
Wer spannende Detektivgeschichten und dystopische Cyberpunk-Szenarien liebt, bekommt mit Gemini Rue die Vollbedienung – vorausgesetzt, derjenige ist ein Freund des Adventure-Genres und kein Grafikfetischist. Man merkt dem Spiel zu jeder Sekunde die Liebe zu alten Gangster-Streifen und Neo-Noire wie "Blade Runner" an: Düstere Gassen, schmuddelige Straßen und die Halos flackernder Laternen bestimmen das Bild der liebevoll handgezeichneten, grau- bis violettstichigen Hintergründe. Von der Kampfmechanik einmal abgesehen, bleibt unterm Strich ein astreines Adventure, das zu keiner Sekunde seine Wurzeln verleugnet. Die kleineren Kritikpunkte im Spielkonzept lassen sich dabei durchaus verschmerzen: Wer sich auf dieses Underdog-Juwel einlässt, wird mit einer packenden Handlung und einem Grad an Immersion belohnt, den moderne 3-D-Titel und Technikmonstren oft vermissen lassen – man muss hier nämlich beim Spielen die eigene Phantasie bemühen. Wer das kann, für den fusionieren Geschichte und pixelige Retro-Optik zum Spielspaßgaranten, der nicht so schnell von der heimischen Festplatte verschwinden wird.

Überblick

Pro

  • Retrografik, die zum Einsetzen der eigenen Phantasie zwingt
  • grandioser Soundtrack
  • packende Geschichte
  • dichte Atmosphäre
  • kluge Autosave-Funktion vor Action-Szenen

Contra

  • Retrografik, die nicht jedem gefallen wird
  • sehr kleines Inventar
  • Übersetzungsbugs stören die gute Lokalisierung

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