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'Wir sind damals für 5 Tage nach Dresden gefahren. Schon nach
dem ersten Tag war ich so fertig und verzweifelt, ich habe sogar von
meinem Zwerg geträumt und wurde dann unausstehlich. Die Spiele
wirken wie Heroin: Kannst du spielen, bist du glücklich und vergisst
alles – kannst du nicht spielen, dann kommen die Schmerzen. Ich
habe es in der Hochphase langsam auch körperlich gespürt;
war dauernd im Nacken verspannt und habe häufig unglaubliche Kopfschmerzen
bekommen. Aber egal, wozu gibt es Betablocker.'
Onlinesucht wird in Deutschland noch weitgehend totgeschwiegen und
doch sind Studien zufolge bis zu fünf Prozent der Internetnutzer davon
direkt oder indirekt betroffen. Mehrere 100.000 Menschen können
sich von ihrem PC nicht mehr losreißen, wollen die Verbindung
zum World Wide Web nicht trennen. Neben Chats und Foren sind es vor
allem Spiele, die in der jüngeren Vergangenheit immer öfter
im Zusammenhang mit Onlinesucht genannt werden: Namentlich MMORPGs,
also Online-Rollenspiele, wie 'Dark Age of Camelot', 'EverQuest', 'Ragnarok
Online' oder neuerdings auch 'World of WarCraft'. Die Betroffenen schotten
sich nach und nach mehr von ihrer Außenwelt ab, vernachlässigen
im schlimmsten Fall Arbeit und Angehörige, bauen sich in den virtuellen
Weiten ein alternatives Leben auf. Nicht umsonst gibt es bereits ein
vor allem in Nordamerika erfolgreiches Spiel, das sich 'Second Life'
nennt.
Verursacher: die Entwickler?
Was veranlasst einen normalen Menschen dazu, Tag und Nacht in die
Onlinewelten abzutauchen? Sind es Einsamkeit und Unzufriedenheit mit
dem realen Leben? Oder einfach die Spiele selbst, die ein krankhaftes
Suchtpotential aufbauen? Daniel M. (Name von der Redaktion geändert)
stand mit beiden Beinen im Leben: Frisch verheiratet, ein Student mit
Ambitionen, im Grunde glücklich und zufrieden. Dennoch spielte
er rund zwei Jahre lang täglich sechs bis zwölf Stunden 'Dark
Age of Camelot': 'Meine Frau wurde immer genervter, die hat ohnehin
lange genug zugeschaut, muss man ehrlich sagen. Aber irgendwann war
sie dann kurz davor abzuhauen.'
Die Abhängigkeit kam erstaunlich schnell: Schon nach drei Wochen,
sagt Daniel rückblickend, habe er gemerkt, irgendwie süchtig
zu sein. Ausschlaggebend war aber nicht einmal die Kommunikation mit
anderen Spielern, wie man es vermuten mag, sondern vielmehr der sportliche
Wettkampf: 'Ich war Nummer 4 von 30 Leuten in meiner Gilde –
ich hatte etwas zu verlieren.' Doch noch schwerwiegender als das Mithalten
mit den Spielgefährten ist das Nachschieben neuer Inhalte von
Entwickler-Seite. So genannte Content-Updates führen regelmäßig
neue Gegenden, besonders starke Waffen oder zusätzliche Aufgaben
ein, die man natürlich unbedingt erkunden, finden oder bestehen
muss.
Was für die Hersteller die Grundvoraussetzung ist, um das Spiel
kommerziell erfolgreich zu halten, ist für suchtgefährdete
Spieler der Nagel zum Sarg. Immer wenn sie denken, es müsse endlich
Schluss sein und das Spiel sei ohnehin langweilig geworden, kommt die
nächste Erweiterung. Und nur wenige spielen die ganze Zeit mit
einem einzigen Charakter – sie bauen sich mehrere Figuren auf,
müssen neue Rassen und Klassen ausprobieren, stärker und
größer werden. Die Auswirkungen sind immens: Neben Problemen
mit den Angehörigen treten auch berufliche und damit finanzielle
Schwierigkeiten auf. 'Ich kannte genug Leute, die ihren Job verloren
haben wegen Camelot – und irgendwann nicht einmal mehr die Monatsgebühren
zahlen konnten.'
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