Test - FIFA 22 : Mit neuer Engine zum Traum-Fußball?
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Mit dem Realismus hat es die FIFA-Reihe nie so genau genommen. Irrwitzig schnelle Dribbelkünstler spielten sich selbst Knoten in die Beine und schafften es dennoch mit Leichtigkeit, gestandene Verteidiger so aussehen zu lassen, als kämen sie gerade vom bierseligen Kreisliga-Stammtisch. Doch damit ist jetzt Schluss!
Naja, nicht so ganz. Noch immer gehören Geschwindigkeit und Ballkontrolle zu den wichtigsten Eigenschaften im Angriff und auch Verteidiger sollten einigermaßen gut zu Fuß sein, um nicht ständig hinterher zu hecheln. Doch die neue HyperMotion-Engine versucht sich immerhin am Spagat zwischen authentischem Fußball und flottem Arcade-Kick.
Vom ersten Anstoß weg fühlen sich Pässe und Läufe nicht nur langsamer an, sie sind es auch. Das Mehr an Animationen sorgt dafür, dass der Ball auf halbwegs realistische Art und Weise über das Spielfeld läuft. Technisch versierte Kicker streicheln die Kugel mehr, als sie zu treten und zeigen das mit sanften Außenrist-Berührungen, eleganten Körpertäuschungen und passenden Gewichtsverlagerungen – zwar einmal mehr echt flott, aber dank der zusätzlichen Animationen etwas glaubhafter. Auch der Ball beschreibt bei hohen Pässen eine realistische Flugkurve oder hoppelt nach einem unpräzisen Flachpass am Mitspieler vorbei.
Generell vermittelt die PS5-Version die kleinen fußballspezifischen Bewegungen besser. In der Vergangenheit wurden Animationen oftmals ausgelassen, um etwa den Übergang von einer Ballannahme zum Sprint kürzer zu machen. Ebenso wirkten viele Schüsse hastig, weil der Spieler sein Gewicht im Vorfeld kaum oder gar nicht verlagerte. Nun sind es diese und weitere Feinheiten, die den Spielablauf ein Stück nachvollziehbarer und nicht zuletzt schöner anzusehen machen.
Zahlreiche Übungsstunden haben eindeutig die Torhüter hinter sich. Bei FIFA 21 waren Schüsse aus kurzer Distanz und mit Schnitt eine sichere Sache – das ist nicht mehr der Fall. Die Keeper legen teils atemberaubende Paraden hin, mit denen sie selbst am Boden liegend noch Großchancen vereiteln oder im Eins-gegen-Eins den Stürmer abkochen.
Manchmal ist es des Guten gar zu viel, wenn der Schlussmann zugunsten einer spektakulären Aktion absichtlich spät reagiert. Statt beispielsweise einen Schritt zu machen, um einen halbhohen Ball entspannt fangen zu können, springt er erst im letzten Moment ab und lenkt die Kugel mit dem ausgestreckten Arm am Pfosten vorbei. Nun ja, ein bisschen Show gehört bekanntermaßen auch zum Fußball.
Nur nichts überstürzen!
Die ersten Partien mit FIFA 22 auf der PlayStation 5 sind gewöhnungsbedürftig. Wilde Zuspiele aus der Drehung oder der Versuch, einen Steilpass zwischen zwei eng beieinander stehenden Innenverteidigern durchzumogeln, schlagen in der Regel fehl. Tatsächlich braucht es ein wenig mehr Ruhe und Übersicht im Spielaufbau. Aber das lohnt sich.
Denn im Gegensatz zur Beta (unser FIFA 22-Preview) sind die gegnerischen Abwehrreihen auf den höheren Schwierigkeitsstufen keine unüberwindbaren Mauern mehr, sondern können mit der richtigen Spielweise geknackt werden. Allerdings kommt an dieser Stelle der oben erwähnte Spagat ins Spiel: Vor allem wenn es über schnelle Angreifer und Mittelfeldspieler geht, zeigt FIFA 22 sein Arcade-Gesicht.
Liverpools Mohamed Salah, Real Madrids Vinícius Júnior oder Coverstar Kylian Mbappé von Paris Saint-Germain vereinen Wahnsinnstempo und kompakte Dribblings zu einem Paket, an dem sich viele Außen- und noch mehr Innenverteidiger verheben. Ihr erinnert euch noch an den eingangs erwähnten Kreisliga-Vergleich …
Ja, es gibt sie nach wie vor: die Slapstick-Momente, kurzzeitigen Aussetzer und trägen Typen, die manchmal keinen Bock auf Bewegung haben. Aber das alles ist seltener geworden und lässt sich durch gutes Mannschaftsspiel weiter reduzieren. Geschicktes und rechtzeitiges Zustellen von Passwegen und Räumen hilft ebenfalls dabei, den Turbo-Kickern etwas von ihrem Schrecken zu nehmen.
Eine zusätzliche Hilfe versprechen die erweiterten Anpassungen für eure defensiven wie offensiven Taktiken: Beispielsweise lasst ihr die Abwehr bei gegnerischem Ballbesitz tief stehen und damit Steilpässe minimieren. Gewinnt ihr die Kugel, kann es unter anderem mit langen Zuspielen oder schnellen Kurzpässen nach vorne gehen. Auf diese Weise können die Stärken einzelner Mannschaften effektiver genutzt und ihre Schwächen besser kaschiert werden.
Eine Simulation des Rasenschachs ist FIFA 22 dennoch nicht. Zwar zeigen sich ganz zarte Andeutungen in diese Richtung, aber letzten Endes ist der ganze Ablauf noch immer zu rasant und zu sehr von bestimmten Spielerwerten geprägt. Und die beste taktische Einstellung und der ruhigste Spielaufbau bringen wenig, wenn die Defensive plötzlich wie auf Schlittschuhen agiert und dem Stürmer in der Neunzigsten den Weg zum Tor freimacht ...
Eine Karriere nach euren Vorstellungen
In der Spielerkarriere habt ihr diesmal die volle Kontrolle über die Entwicklung eures selbst erstellten Kickers. Zu Beginn seid ihr nicht mehr als ein Ergänzungsspieler, der sich mit guten Trainingsleistungen für eine Einwechslung empfehlen muss. Regelmäßig dürft ihr drei verschiedene Übungseinheiten auswählen und absolvieren, die etwa Passspiel, Defensive oder Standardsituationen umfassen. Höhere Schwierigkeitsgrade bringen euch mehr Erfahrungspunkte ein, die wiederum schneller zu frischen Talentpunkten führen.
Mit ihnen baut ihr euch den Fußballer so, wie ihr ihn haben wollt. Braucht ihr eine satte Physis und gute Zweikampfwerte, weil ihr in der Innenverteidigung abräumen wollt oder doch Ballkontrolle und Torgefahr als offensiver Mittelfeldmann? Alles ist möglich. Weil ihr jederzeit die Position wechseln und sämtliche Punkte neu verteilen könnt, dürft ihr euch praktisch auf dem gesamten Platz ausprobieren – sofern ihr den Coach mit Leistung überzeugt. Dazu kommen drei wählbare Spezialfähigkeiten, die sich in bestimmten Spielsituationen aktivieren und kurzzeitig zum Beispiel eure Verteidigungswerte oder den Torschuss stärken.
Auf dem Platz habt ihr eure positionsabhängigen Aufgaben. So verlangt der Trainer immer drei Dinge von euch: Das können eine bestimmte Passquote, ein abgefangener Ball oder eine Torvorlage sein. Fühlt ihr euch mit den Standardvorgaben unterfordert, schraubt ihr den Anspruch nach oben und erhaltet dafür zusätzliche Erfahrungspunkte.
Möchtet ihr statt einem Spieler lieber einen ganzen Club aus dem Boden stampfen, könnt ihr das in der Managerkarriere tun: So legt ihr vom Trikot über das Stadion und die Sitzfarbe bis hin zum Transferbudget alles fest. Große künstlerische Freiheiten habt ihr aber nicht, denn bei der Gestaltung von Wappen, Trikots und Stadion könnt ihr lediglich aus einer überschaubaren Anzahl von Elementen, Formen und Farben wählen. Anschließend geht es in einer der vielen Ligen anstelle eines realen Teams an den Start. Verbannt beispielsweise den FC Bayern aus der Bundesliga und schwingt euch zur neuen Macht im deutschen Fußball auf.
Entspannte Rivalitäten
Liebt es oder hasst es, aber ohne das FIFA Ultimate Team kommt auch dieser Test nicht aus. Die Grundzüge sind bekannt: Reißt virtuell Tütchen auf und baut mit den darin befindlichen Spielern eine Truppe auf. Wer viel Zeit und wenig Geld hat, spielt massenhaft Herausforderungen, um sich Gratis-Päckchen zu verdienen. Wer wenig Zeit (oder Lust) und viel Geld hat, erkauft sich den Erfolg mit Euro. Schon während unserer Testphase saß die Kohle bei vielen Leuten wieder locker, denn nicht wenige Teams boten schon absolute Superstars wie Neymar und Ronaldo auf.
Das hat natürlich seinen Grund, schließlich sind die eingangs erwähnten Attribute Tempo und Dribbling im Ultimate Team noch wichtiger als in den übrigen Modi. Innenverteidiger ohne satten Antritt scheiden aus, weil sie von den flinken Stürmern einfach überlaufen werden. Zwar nehmt ihr auch für euer FUT-Team die neuen taktischen Einstellungen vor, doch ohne das passende Spielermaterial nützen sie wenig. Kurzum: FUT hat sich nicht verändert.
Ebenfalls gleich geblieben ist der Umfang mit Squad Battles, Freundschaftsspielen, Koop-Partien und Division Rivals. Einzig die Struktur des kompetitiven Modus krempelte EA um. Bereits drei Siege bringen euch Belohnungen in Form von Packs oder Münzen ein, die sich mit weiteren Erfolgen steigern lassen. Diese bringen euch zudem in immer höhere Rivals-Ränge, wo noch bessere Belohnungen warten. Verliert ihr Partien, so verhindern regelmäßige Checkpoints, dass ihr absteigt. Diese Anpassungen machen Rivals deutlich attraktiver für Einsteiger und Gelegenheitsspieler.
Die echten FUT-Cracks interessiert natürlich primär die Weekend League, deren System ebenfalls angepasst wurde. Nun braucht es 1500 Punkte, um an den neuen Play-Offs teilnehmen zu dürfen. Wann ihr die neun Quali-Partien spielt, ist euch überlassen. Schafft ihr es in die Weekend League, ist der Name Programm – haltet euch also einmal mehr das Wochenende frei. Dann spielt ihr maximal 20 Partien, um in der Rangliste möglichst weit nach oben zu klettern.
Ach ja, es gibt noch etwas Neues: mehr Anpassungen für euer Stadion. Ihr dürft fortan weitere Teile der Tribünen gestalten. Dafür stehen allerlei frische Objekte zur Verfügung, darunter zweifarbige Tafeln, die das Publikum im Spielverlauf für einen optischen Effekt hin- und her dreht. Wie gehabt erhaltet ihr diese Gegenstände aus Packs oder via Transfermarkt.
Minispiele und Pro Clubs
Beim Straßenfußball VOLTA drehte EA ebenfalls an einigen Stellschrauben. Tricks, Pässe und Balleroberungen bringen nun Punkte ein, die eine Leiste füllen. Anschließend setzt ihr für kurze Zeit entweder Super-Schuss, Super-Tackling oder Super-Tempo ein. Außerdem steigt der Wert eines Tores an, was euch selbst große Rückstände noch wettmachen lässt. Da weht ein Hauch alter FIFA-Street-Teile durch die Gassen und Hinterhöfe!
Für den schnellen Spaß stehen die neuen Minispiele in VOLTA-Arcade, die ihr online mit bis zu drei anderen Leuten angeht. Insgesamt sind acht Varianten dabei, darunter Dodgeball, Mauerball-K.o., Eckenduell oder Fußball-Tennis. Leider können diese nicht gezielt ausgewählt, sondern nur in einer zufälligen Rotation aus vier Minispielen erlebt werden. Zudem regiert mehrfach das Chaos, weil einige Varianten darauf setzen, dass man sich gegenseitig behindert. In solchen Fällen sieht der Ablauf mehr nach Keilerei und weniger nach Fußball aus.
Ansonsten bekommt ihr die gleichen Inhalte wie im Vorjahr geboten, also VOLTA-Battles und VOLTA-Mannschaften. Stets geht ihr mit dem eigenen Charakter an den Start, der für alles Erfahrungspunkte bekommt und somit immer besser wird. Ebenso sammelt ihr fleißig VOLTA-Münzen, die im Shop unzählige Trikots, Hosen, Schuhe und weitere Klamotten freischalten. Gestrichen wurden dagegen die Story und die Möglichkeit, neue Spieler und Legenden in die eigene Mannschaft aufzunehmen. Schade, denn das war eine große Motivation, die Battles zu spielen.
Die Pro Clubs lassen die Neuerungen aus den Karriere-Modi einfließen. Ihr habt die volle Kontrolle über die Entwicklung eurer Frau oder eures Mannes und könnt auch hier auf die Vorteile zugreifen. Zusätzlich dürft ihr das Stadion eures Clubs auf vielfältige Art und Weise anpassen. Ebenfalls neu sind Spontanspiele: Sie ermöglichen euch den schnellen Einstieg in Partien mit bis zu vier anderen Leuten. Jedes Match bringt Erfahrungspunkte ein, wirkt sich jedoch nicht auf eure Vereinsbilanz aus.
FIFA 22 auf PS4, Xbox One und PC
Spielt ihr FIFA 22 auf einer der alten Konsolen oder dem PC, müsst ihr auf die HyperMotion-Engine verzichten. Entsprechend fehlen die eingangs beschriebenen neuen Animationen und die angepasste Physik. Also ist alles wie im Vorjahr? Nicht ganz. Denn obwohl die neue Engine ausbleibt, ist der grafische Nachteil zur PS5 überschaubar. Hauptsächlich wirkt alles etwas blasser und Details wie Bärte, Haare oder Tätowierungen erscheinen weniger fein aufgelöst.
Auch der Spielablauf erinnert an die “große” Version. Es wurde etwas Tempo rausgenommen, so dass es nicht mehr ganz so rasant zugeht wie in FIFA 21. Genauso wird stärker auf den Faktor Spielaufbau gesetzt: Mit der passenden Stellung zum Ball, klugen Pässen, einer sauberen Raumbesetzung und der richtigen Nutzung der frischen Taktik-Einstellungen könnt ihr euer Spiel variabler aufziehen als im Vorjahr.
Screenshot: PS4-Version
Karriere, FUT und VOLTA bieten den gleichen Umfang wie auf der PlayStation 5. Die beiden Online-Modi ermöglichen erneut Cross-Progression: Erzielte Fortschritte werden innerhalb einer Konsolen-Familie geteilt, so dass ihr beispielsweise auf der PS4 mit eurem Ultimate Team starten und später auf der PS5 weitermachen könnt. Im Gegensatz zum letzten Jahr kostet euch der Anspruch auf beide Versionen jedoch Geld: Knapp 100 Euro müsst ihr für die FIFA 22 Ultimate Edition zahlen, die euch noch FIFA-Points im Wert von 40 Euro sowie verschiedene Spieler für den Modus beschert.
Anmerkung: Wir haben FIFA 22 auf der PlayStation 4 in der Version 1.10 und auf der PlayStation 5 in der Version 1.000.001 getestet.
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