Test - F1 22 : Mit 320 Sachen durch die virtuelle Realität
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Ich möchte ungern die alte FIFA-Analogie bemühen, um euch an den jährlichen Turnus in der Entwicklung der Formel-1-Umsetzung heranzuführen. Doch nun, da Codemasters unter der Flagge von Electronic Arts arbeitet, komme ich nicht drum herum. Es ist halt die Formel 1, ein exklusiver Sport mit einer teuren Lizenz, die sich nicht durch DLCs oder gar kostenlose Updates amortisieren lässt. Darum gibt es auch 2022 ein neues Spiel mit beinahe denselben Inhalten wie im Vorjahr. Genau genommen sogar etwas weniger, weil diesmal der Story-Modus fehlt. Aber wen juckt das, wenn man endlich so tief in diesem Sport versinken kann, dass man meint, in der Haut von Rennfahrer Charles Leclerc zu stecken.
Unerträglich! Diese Strecke fühlt sich an wie ein gigantischer Asphalt-Grill, und ich spüre es am ganzen Körper. Mit 32 Grad im Schatten brutzelt die Sonne alles zu Dönerfleisch, was sie erreicht. Dicke, schwere Luft füllt meine Lungen mit ungewohnter Wärme, während das Geräusch brüllender Motoren an mir vorbeirauscht. Nur noch wenige Sekunden vergehen, bis ich mit meinem Formel-1-Flitzer aus der Boxengasse fahre. Ich kralle mich am Lenkrad fest und gebe Gas, um die Maschine auf ohrenbetäubend hohe Drehzahlen zu beschleunigen. Nie hatte ich das Gefühl, der Königsklasse des Rennsports näher zu sein!
Ich befinde mich natürlich nicht wirklich auf der Rennstrecke von Bahrain, sondern sitze im Dachgeschoss eines Wohnhauses auf einem Gaming-Stuhl. Meine VR-Brille der Marke Oculus Rift S scheint durch die sengende Hitze mit meinem Kopf verschmolzen zu sein, denn jeder Versuch, sie zu bewegen, zerrt an meiner Haut.
Dicke Schweißperlen füllen die wenigen Lücken zwischen mir und jenem Gummi-Bezug, der mein Sichtfeld abschließt. Währenddessen verschafft mir ein Ventilator, der rund einen Meter entfernt hinter meinem Direct-Drive-Lenkrad steht, nur wenig Abkühlung, simuliert aber auf witzige Weise den Fahrtwind. Wenn es ums Klima geht, ist das Ganze eine Tortur. Aber ich liebe es und will Formel 1 nie wieder auf einem normalen Monitor spielen, nicht mal in der Rekordhitze dieses Frühsommers.
Nie wieder ohne VR!
Hinsichtlich Fahrgefühl und Karriere-Ablauf könnte ich an dieser Stelle dagegen fast eins zu eins meinen Test vom letzten Jahr wiederholen. Wahrscheinlich würde es weder jemand bemerken noch sich darüber beschweren, denn inhaltlich deckt sich vieles. Abgesehen davon, dass der nette Story-Modus nicht mehr dabei ist und das Force Feedback intensiviert wurde, gibt es wenig über F1 22 zu berichten, was nicht schon bekannt wäre.
Wie gewohnt wurden alle offiziellen sportlichen Änderungen aus der realen Formel 1 übernommen. Das betrifft dieses Jahr ganz besonders die Änderungen am Chassis der Rennautos, denn das neue kompakte Design mit veränderter Aerodynamik und neuem Reifen-Reglement soll auf der Strecke für spannendere Duelle sorgen. Porpoising, also das unangenehme Wackeln durch den Ansaugeffekt unter dem Fahrzeug, welches Lewis Hamilton neulich Rückenprobleme einbrachte, wurde zum Glück nicht bedacht. Wer weiß, wie sich das in VR ausgewirkt hätte ...
Abseits der nun voll unterstützten Sprint-Rennen bleibt der Rest auf dem bekannt hohen Niveau. Ich würde mich im Normalfall erneut über die unzureichende HDR-Implementierung bei PC-Monitoren beschweren, die schon das dritte Jahr in Folge nur scRGB auswirft, obwohl mein Monitor HDR zertifiziert ist und bei allen anderen HDR-fähigen Spielen strahlende Kontraste anzeigt. Genauso wäre ich wieder voll des Lobes über die breite Spanne an Fahroptionen für Anfänger und Profis, die fantastische Spielbarkeit und die Authentizität der Umsetzung. Das alles ist mir im Moment aber ziemlich egal.
Augenblicklich drehen sich meine Gedanken nämlich nur darum, was für ein Brett von Spielerlebnis die VR-Unterstützung in F1 22 auf dem PC darstellt. Zugleich bedaure ich, allen Playstation-Piloten mitteilen zu müssen, dass PSVR nicht unterstützt wird. Auf den Konsolen gibt’s also nur das gewöhnliche Update, während PC-Gamer, die über VR-Hardware verfügen, in eine neue Dimension eintauchen.
Neue Dimension? Nun, Formel 1 2022 ist nicht das erste Rennspiel mit einem VR-Modus, und es ist weit davon entfernt, die beeindruckendste virtuelle 3D-Umgebung der Spiele-Landschaft zu generieren. Es gibt weder grafische Mätzchen, die speziell für den virtuellen Raum geschaffen wurden, noch abgedrehte oder gar psychedelische Eindrücke. Es ist das gewohnte Abbild der Formel 1, nur eben in 3D.
Doch gerade in dieser Rennklasse ist der Sprung in die dritte Dimension ungemein wertvoll, denn das enge Chassis der besonders asphaltnah fahrenden Wagen gewährt im Cockpit wenig Übersicht. Casual-Fahrer, die das Geschehen am liebsten aus der Verfolgerperspektive beobachten, mögen das Problem nicht kennen. Aber Sim-Freunde und Lenkrad-Nutzer tun sich bei Formel-1-Boliden oft schwer, wenn es um die Wahl der Kamera geht. Im Cockpit ist alles authentischer, mit der darüber platzierten TV-Kamera hingegen besser spielbar. Nicht zuletzt, weil der dicke Stützbalken, der den Halo-Schutzring vor dem Cockpit trägt, genau mittig platziert ist und somit den wichtigsten Fixpunkt für die Augen verdeckt.
„Wie können Formel-1-Piloten mit dem Ding vor der Nase ordentlich fahren?“, habe ich mich Jahr um Jahr gefragt, während ich die Darstellungs-Optionen im Menü aufsuchte, um die Halo-Stütze ausblenden zu lassen. In VR ist das nicht mehr nötig, denn nun endlich erkenne ich, dass man als Formel 1-Pilot problemlos an dem dicken Balken vorbeisehen kann. Man fixiert einfach den Brennpunkt hinter der Halo-Stütze. Hammer! Die üblichen Vorteile wie ein gesteigerter Geschwindigkeitsrausch und die Möglichkeit, in einer Kurze den Kopf zu drehen, um den Kurvenausgang früher zu sehen, kommen natürlich dazu. So macht man Spielern mit kleinen Sachen eine große Freude.
Noch mehr kleine Sachen
Die Freude hielte sicher noch länger an, wenn das Spiel im VR-Betrieb nicht regelmäßig abstürzen würde. Während ich diese Zeilen schreibe, rechne ich mit einem Ausfall pro Stunde und hoffe, dass zukünftige Patches das Problem beheben. Und im gleichen Zug bitte auch diesen nervigen Bug, der jede Trainings-Session automatisch in einer festen Kino-Ansicht startet, statt in der echten VR-Umgebung. Immerhin gibt es dafür eine schnelle Lösung: Ich muss nur die Rückspul-Funktion verwenden und dann wieder zum Renngeschehen schalten, schon wird alles korrekt dargestellt. Schöner wäre es aber, ohne solche Maßnahmen spielen zu können – dann wäre das Erlebnis fehlerlos.
Meinem Eindruck nach stimmen die VR-Größenverhältnisse beinahe perfekt. Das ist wunderbar sichtbar, wenn ich mich in der Box, genauer gesagt in der Rennstall-Werkstatt, vom Stuhl bewege und vor den virtuellen Mechanikern stehe. Dann erhalte ich einen wunderbaren Blick auf das Fahrzeug, das abseits einiger Einsparungen, die der Rechenzeit im VR-Modus zuträglich sind, wahnsinnig authentisch erscheint. Rechenintensive Effekte wie etwa Raytracing darf man hier freilich nicht erwarten.
Im normalen Monitorbetrieb sind sie zwar dabei, aber große Unterschiede zum letzten Jahr finden sich nicht – zumindest nicht auf grafischer Seite. Wohl aber bei einigen kleineren Zusatz-Features: Der Modus F1-Life offeriert beispielsweise den Zugriff auf Super Cars wie den McLaren 720s oder den Mercedes AMG GT-R Pro, die man in Show-Events wie der Pirelli Hotlap spazieren fährt. Sie gehören als Anheizer zum Unterhaltungsprogramm der Formel 1 vor Ort und sind damit authentisch. Im Rahmen des Spiels wirken diese Events jedoch ungewohnt.
Als Herausforderungen legen Spielvarianten wie Drift, Average Speed Zone, Time Attack und Autocross spezielle Fahrweisen nahe, die mitunter jene Änderungen im Force Feedback rechtfertigen, die ich schon im Preview-Artikel angerissen hatte. Das Lenkverhalten der Formel 1-Wagen fühlt sich schon etwas schwerer und heftiger als in den Vorjahren an, auch bei den Konter-Reaktionen der Reifen. In den Supercars kommt das verbesserte Force Feedback über das neue Reifen-Berechnungsmodell sogar noch stärker zur Geltung.
Abhängig vom Modell eures Lenkrads entsteht ein sehr intensives und schwergängiges, aber auch glaubwürdiges Fahrgefühl, das manch einem so vorkommen könnte, als sei die Servolenkung abgeschaltet. So erging es mir zumindest mit meinem Fanatec DD1 und seinen 20 Newtonmetern Gegenwehr. Spaß machte mir die Drifterei mit dem High-End-McLaren und anderen schweren Karossen allemal, zumal ich endlich einmal erleben durfte, welche Herausforderung hinter der Beherrschung des Safety-Cars steckt. Mehr als ein netter Bonus sind diese Neuerungen allerdings nicht.
Warum ich meinen Piloten mit Freizeitkleidung ausstatten und ihm einen virtuellen Aufenthaltsraum ausschmücken soll, ist mir dagegen nicht so recht klargeworden. Die Möglichkeit, andere Fahrer in ihrem persönlichen Domizil zu besuchen, hat für mich so viel Reiz wie ein Besuch beim Zahnarzt. Aus geschäftlicher Sicht ergibt das jedoch Sinn, denn das Einkleiden und Ausstatten mit virtuellen Goodies ist ein Grund, im Item-Shop sogenannte Pit-Coins auszugeben. Wer nicht genug hat, kauft sie für Euro ein. Da man jedoch nichts Essenzielles für den Erfolg auf der Rennstrecke erwerben muss, entsteht kein Schaden am Spielvergnügen.
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