Test - F1 2021 : Das erste Formel 1 von EA: was ist anders?
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Zum ersten Mal ertönt der berühmte Jingle von EA bei Spielstart. Sogar in einer ausführlichen Fassung: Bälle und andere Objekte, die etliche Sportarten repräsentieren, düsen an der Kamera vorbei, bevor das berühmte „It’s in the Game“ erschallt. Jetzt hat EA also so ziemlich jeden Sport, der Rang und Namen hat, im Portfolio. Fehlt wohl nur noch Curling. Unken darf derweil keiner. Entgegen der Befürchtungen einiger EA-Verächter, die erfolgreiche F1-Versoftung könne nach der Studio-Übernahme an Qualität verlieren, baut Codemasters das Spielerlebnis abermals aus. Aber wie viel Next-Gen steckt denn schon in F1 2021?
Es sind seltsame Zeiten, egal in welcher Hinsicht. Ob im Umgang mit Freunden und Verwandten, ob in der Versorgung mit Hardware wie Spielkonsolen und Grafikkarten oder im Profisport: Covid-19 hinterlässt überall Spuren. Wer hätte gedacht, dass die An- oder Abwesenheit von Publikum mal zur Gretchenfrage mutiert (no pun intended)?
Angesichts derart einschneidender Veränderungen wirkt es inkonsequent, dass Codemasters’ aktuelle Formel-1-Umsetzung all diese Dinge völlig ignoriert. Auf den virtuellen Rennstrecken trägt niemand eine Maske, sind die Ränge voll und die Umarmungen herzig. Ja, sogar in der nachgestellten 2020er-Sasion, die als Anlaufpunkt für den neuen Storymodus dient. Fanservice oder bewusste Scheuklappen? Das darf jeder so interpretieren, wie ihm beliebt. Aber ich komme nicht umhin, zumindest einen Aspekt dieser Gestaltungsentscheidung als verpasste Chance zu deklarieren, denn mit reduziertem Publikum wäre nicht nur die Authentizität gesteigert worden. Womöglich wären auch ein paar Ressourcen für die Grafik freigeworden. Konsoleros hätten sich über ein paar zusätzlich mobilisierte Pferdestärken sicherlich nicht beschwert.
Beinahe Next-Gen
Nicht, dass bisher Grund zur Klage bestünde. Dem derzeitigen Generationswechsel hätte es aber sicherlich ein glänzenderes Parkett für die königliche Rennklasse geboten. Ein wenig New-Gen-Qualität ist tatsächlich in der Grafik zu erkennen. Allerdings vornehmlich auf dem PC, weil hier das optionale Raytracing in Form von Reflexionen und Schatten zum Einsatz kommt. Nicht exzessiv, zumal die wenigsten Formel-1-Chassis auf Hochglanz poliert sind und ihre dünnen Formen selten unverzerrte Spiegelungen zulassen. Um genau zu sein, erkennt man die Authentizität der Raytracing-Reflexionen erst im Foto-Modus, während man die Wagen von allen Seiten betrachten darf.
Sämtliche Konsolen-Fassungen (also auch PS5 und Xbox Series) vertrauen dem optischen Eindruck nach derweil weiter auf Screen-Space-Spiegelungen und dynamische Cube-Maps. Trotz mehrmaliger Prüfungen an verschiedenen Strecken-Fixpunkten konnte ich keine peripheren verdeckten Umgebungsdetails im Lack erkennen. Sollte doch Raytracing auf den neuen Konsolen unterstützt werden, dann ist es nicht erkennbar.
Formel 1 2021 ist somit weit entfernt von einem „In-Your-Face-Showcase“ der neuen Konsolen, und selbst mit einer RTX-Grafikkarte muss man die Lupe auspacken, aber Fortschritte sind dennoch vorhanden. Sie summieren sich durch schönere Randdetails, etwa schärfere Gras- und Zauntexturen, bessere Modelle für menschliche Darsteller und feineren Nuancen im Schadensmodell, die sowohl optisch als auch im Fahrgefühl ein intensiveres Spielerlebnis versprechen.
Wer eine PS5 oder Xbox Series besitzt, erfreut sich derweil an sehr flinken Ladezeiten, einem optionalen 120-Hz-Modus bei 1440p und leicht reduzierten Schattenkaskaden, sowie spezifischen Features wie Quick-Resume. Oder im Falle der PS5 an feinfühligen Controller-Vibrationen und adaptiven Triggern, die ihren Widerstand situationsbedingt anpassen. Zwar nicht in so beeindruckender Weise wie bei einigen Motorrad-Spielen der letzten Monate, weil das Hauptaugenmerk hier auf der Bremse liegt, während das Gaspedal so gut wie keinen Widerstand zeigt, aber vergessen wurde das Feature keineswegs.
Besitzer eines Lenkrads kommen ebenfalls voll auf ihre Kosten. Ganz speziell Fanatec-Kunden auf dem PC und Sonys Konsole, denn die PS5 beweist hier, dass ihre Implementierung ohne Abstriche mit der PC-Fassung mithalten kann. Das Lenkrad-Display verwendet einen eigenen Zahlen-Font, wie seit einiger Zeit auf dem PC möglich, das Force-Feedback ist schnell und stark, und Club-Sport-Pedale der letzten beiden Generationen vibrieren abhängig vom Bodenbelag, sodass ihr Erschütterungen an euren Füßen wahrnehmt. Sehr geil! Ob die Xbox-Series-Konsolen das ebenfalls unterstützen, konnte ich mangels Testmuster nicht nachprüfen. Es ist aber unwahrscheinlich, da andere Rennspiele bisher noch immer den stark reduzierten Eingabesatz des Xbox-One-Controllers verwenden. Hoffentlich liefert Microsoft dafür endlich mal ein Firmware-Update, sonst zieht die PS5 beim Simulationsanspruch endgültig davon.
In Sachen Steuerung ist somit alles in Butter. Nicht aber bei der HDR-Kalibrierung, die erstmals in der Geschichte dieser Spielreihe völlig in die Hose geht. Auf der PS5 lässt der Kalibrierungsbildschirm keine Anpassung zu, weil beide Vergleichs-Farbflächen gleich hell bleiben, egal wie sehr man am Nits-Regler dreht. An unserem hochwertigen OLED-Test-Fernseher liegt es definitiv nicht.
Auf dem PC verhält sich die HDR-Aussteuerung dagegen genauso bockig wie letztes Jahr im Direct-X-12-Modus. Trotz HDR-fähigem 10-Bit-Monitor verweigert das Programm ein Umschalten auf den besseren Farbmodus. Angeboten wird im zugehörigen Menü, das HDR verspricht, nur scRGB, selbst wenn Windows bereits im HDR-Desktopmodus ist. Hat hier womöglich das alte, irreführende Vollbild-Fenster-Problem von DX-12 Schuld? Keine Ahnung. Einen Workaround gibt es dieses Jahr jedenfalls nicht mehr, da kein Direct-X-11-Modus anwählbar ist. Ärgerlich! Hoffentlich kommt da noch ein Fix.
Vollgas für alle
Jetzt, da wir das obligatorische Next-Gen-Thema vom Tisch haben, kommen wir endlich zu dem, was wirklich zählt: dem Inhalt. Beinahe selbstredend kommt F1 2021 mit fast allen Features daher, die letztes Jahr bereits an Bord waren. Das Wort „fast“ ist leider nötig, weil keine klassischen F1-Fahrzeuge aus früheren Epochen mehr dabei sind. Schade, aber verschmerzbar. Ansonsten gibt es das Übliche: Einzelrennen, Zeitfahren, einen Karrieremodus mit bis zu zehn Jahren Laufzeit samt Teammanagement und Fahrzeugentwicklung.
Ihr werdet nichts vermissen, egal ob Einstieg über die Formel 2, freies Training und Qualifikationen, sowie das weiterhin voll anpassbare Steuerungsschema samt Fahrhilfen. Wobei Codemasters noch immer die Bremshilfe standardmäßig aktiviert. Profis dürfen also nicht vergessen, sie bei Spielstart abzuschalten.
Es bleibt im Großen und Ganzen beim alten Spielablauf. Neu ist hier lediglich die erweiterte Automatisierung einiger Nebenbeschäftigungen. Wer lediglich auf den Strecken herumdüsen will, kann das tun, ohne sich um Upgrades und sonstiges Management zu kümmern. Das gilt auch für die Fahrzeugentwicklung.
Einer der wichtigsten Neuerungen im letzten Jahr war der Splitscreen-Modus für zwei Spieler, der auch dieses Mal wieder dabei ist und sogar sinnvoll erweitert wurde. Nun darf man nämlich neben der Einzelrennen auch eine komplette Saison im Couch-Koop (oder Couch-Face-Off) bestreiten. Das erfreut allein deswegen schon, weil man auf diese Weise einen kompletten Rennstall übernehmen kann, sofern man sich nicht entscheidet, als Konkurrenten an den Start zu gehen.
Noch mehr Drama!
Im Rampenlicht, weil deutlich größerem Kaliber, steht allerdings der neue Story-Modus namens Breaking Point. Er stellt eine großzügige Erweiterung der bisherigen Story-Ansätze dar. Statt kleinerer Streits und Sponsoren-Gespräche gibt es nun eine komplette Geschichte mit viel Drama. Dabei ersetzt man wahlweise eines der kleineren, beziehungsweise sekundären Teams (Alpha-Tauri, Aston Martin, Alpha Romeo, Haas oder Williams) durch ein fiktives Gespann, das sich im Laufe der Karriere gehörig auf den Zeiger geht. Es ist die alte Mär vom talentierten aufsteigenden Rookie, der sich mit einem überheblichen, ausgedienten Profi arrangieren muss. Die beiden knallen buchstäblich aneinander, was zu einer Menge teaminterner Streitigkeiten führt.
Dieser neue Handlungsstrang wird viel besser erzählt als die früheren F1-Storymodi. Bessere Sprecher, bessere Animation, schönere Darsteller-Modelle – da steckt eine Menge Arbeit drin, die sich ausgezahlt hat. Seltsam ist nur, dass sich der Spielablauf der Story nicht in den Zwischensequenzen widerspiegelt. Man fährt nämlich keine kompletten Rennen, sondern nur Teilabschnitte mit gewissen Herausforderungen, in denen ein Ereignis in komprimierter Form für Spannung sorgen soll. Videosequenzen geben das jeweilige Ereignis vor, auf das man dann reagieren muss. Etwa wenn Aiden Jackson (der Rookie) durch ein Rammmanöver im Rang fällt und dann vom Manager die Aufgabe erhält, mindestens vier Positionen vor Rennende gutzumachen.
An sich ein prima Spielmodus, aber er lässt sich zu leicht in die Extreme treiben. Es ist einerseits völlig unrealistisch, dass so ein Anfänger wie Jackson, der gerade aus der Formel 2 gekommen ist und in schlimmsten Fall in einer Haas-Seifenkiste herumgurkt, gleich in seinem zweiten Rennen als zweiter auf dem Treppchen landet – sogar auf dem mittleren der drei Schwierigkeitsgrade. Andererseits kommt das Ergebnis des Rennens nicht zur Geltung. Der Neuling wird trotz Podiumsplatz einfach von seinem Kollegen heruntergebuttert, obwohl er erheblich schlechter abgeliefert hat.
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Sollte Codemasters diese Art von Erzählstruktur in den kommenden Jahren weiterführen, dann wäre es besser, die Szenarien so anzulegen, dass man sie nicht gleich dominieren kann. Abseits davon macht es jedoch Spaß, der kleinen Seifenoper beizuwohnen. Ich könnte mir angesichts des Drucks der Fahrer und den (mitunter sprachlichen) Angewohnheiten der echten Formel-1-Piloten zwar ein derberes Szenario vorstellen, aber grundsätzlich geht diese Neuerung voll in Ordnung.
Ob sie ausschlaggebend für einen Kauf der 2021er Iteration ist, wenn ihr die 2020er- oder 2019er-Version besitzt, steht auf einem anderen Blatt und muss von jedem selbst eingeschätzt werden. Viele F1-Fans kaufen das Spiel, um die aktuelle Saison nachzuerleben, was der Storymodus nicht liefern kann. Nicht einmal der freie Karrieremodus vermag das, weil (noch) einige Strecken fehlen.
Nun, das lässt sich kaum Codemasters ankreiden. Covid-19 wirft den diesjährigen Rennplan komplett durcheinander. Selbst ein erfahrenes Team modelliert so eine Handvoll Rennstrecken nicht mal schnell an einem Wochenende. Die fehlenden Strecken sollen aber durch kostenlose Updates nachgereicht werden. Vorbildlich!
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