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Test - Enshrouded : Ein genialer Zeitvernichter ungeahnten Ausmaßes

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„Ist das nicht einfach Valheim, nur ein wenig schicker?“, fragte mich neulich Kollege Matthias. Eine Verwandtschaft zum genannten Wikinger-Survival-Klassiker abzustreiten wäre schwierig, aber in Enshrouded vom deutschen Entwickler Keen Games steckt viel mehr als nur ein Valheim-Klon mit schönerer Grafik. Dieser Early-Access-Titel ist zugänglicher, hat eine Prise Rollenspiel-Flair und erinnert in mehr als einer Hinsicht an die jüngsten Zelda-Abenteuer. Einmal angefangen, gehen unbemerkt Stunden ins Land.

Wow, sieht das gut aus! Das soll ein Early-Access-Indie-Titel sein? Verdammt, die Entwickler aus Frankfurt am Main legen die grafische Messlatte für zukünftige Indies aber ganz schön hoch. Saftige Wiesen, dichte Wälder, schöne Beleuchtung, die lediglich bei Sonnenuntergang ein wenig zu sehr in hartes Rot abdriftet. Kann sich wahrlich sehen lassen und hat mit all seinen topografischen Extremen einen unbestreitbaren Zelda-Touch.

Kaum zu glauben, dass man aufgrund der unterliegenden Voxel-Struktur nach Belieben herumgraben und manuelles Terraforming betreiben kann. Kurzum: Das ist ein schöner Spielplatz, den uns Keen Games da beschert. Der sieht zwar bei jedem neuen Anlauf gleich aus, hat also kein Zufallselement, aber das ist ja erst einmal nebensächlich.

Geteiltes Leid ist halbes Leid. In Enshrouded vielleicht sogar nur ein Viertel davon. Halb nackt in der Wildnis landen, um von Null anzufangen, macht so nicht nur weitaus mehr Spaß, es ist auch sicherer. Solltet ihr das Nordland-Abenteuer Valheim kennen, wisst ihr sofort, was gemeint ist. Für alle anderen sei hier lediglich die kurze Anmerkung hinterlassen, dass Robinson Crusoe deutlich besser auf seiner einsamen Insel klargekommen wäre, wenn er schon bei seiner Ankunft einen Freitag gehabt hätte.

Nun gut, die Welt von Enshrouded ist mitnichten eine Insel, sondern eher ein kleiner Kontinent in etwa der halben Größe der Zelda: Breath of the Wild-Landkarte, und einen Online-Mitspieler zum minderbemittelten Freitag abzuwerten, könnte ganz schön Knatsch verursachen. Nehmt das also nicht wörtlich. Ihr wisst sicher, was gemeint ist: Zusammen fällt der Kampf ums Überleben leichter. Sogar bis zu 16 Überlebenskünstler dürfen es auf einem Server sein.

Gemeinsam verfolgt ihr das Ziel, der Wildnis zu trotzen. Iiiich habe Feeuueer gemaaaaacht! Äh … ‘tschuldigung, wir haben Feuer gemacht. Das lodernde Rot eures Flammen-Altars dient als Lager-Zentrale, als Rücksetzpunkt und als eine Art heilige Kraft, die es zu stärken gilt, während ihr nach den letzten Überlebenden dieses Landstrichs sucht.

Wie bei Ikea: Some Assembley Required

Ausgesetzt mitten im Nirgendwo beginnt der Spaß beinahe genauso wie bei Valheim: Schaffe, schaffe, Häusle baue, Butterbrot statt Schnitzel kaue. Mit dem gewaltigen Unterschied, dass ihr kein Architekten-Studium braucht, um beim Erschaffen eines Hauses den Regeln der Statik zu huldigen. Physik ist hier höchstens eine Randnotiz.

Sofern ihr Holz und Steine abgebaut und zu Rohmaterial verwandelt habt, baut ihr euer Lager aus einfachen vorgefertigten Teilen. Wände mit oder ohne Fenster, Böden, Dachschrägen und weitere Elemente reiht ihr schlicht aneinander, wie es euch passt. Das Endergebnis mag nicht so elegant aussehen wie beim oben genannten Wikinger-Abenteuer, aber es ist zweckdienlich und vor allem unkompliziert in der Handhabung, sodass ihr euch sogleich wichtigeren Aufgaben widmen könnt. Ach ja: einfach zu erweitern ist euer Haus obendrein.

Macht euch trotzdem nichts vor. Lagererrichtung ist ein Zeitvernichter par excellence, wenn ihr euren kreativen Gelüsten keinen Grenzen auferlegt. Oder eurem inneren Monk, den bei jeder Lücke Phantomschmerzen heimsuchen. Die Minecraft’sche Eleganz der Primitivität überwältigt euch geradezu, wenn ihr einmal damit angefangen habt. Spätestens, wenn eure Online-Kumpanen Däumchen drehend danebenstehen und euch mit entnervt kränklicher Stimme darauf hinweisen, dass es wahrlich nicht nötig ist, jede einzelne Wand zu einer Hommage an Meinhard von Gerkan zu machen, zucken die ersten Schuldgefühle durchs Gebein.

Werdet ihr von irgendwelchen gegnerischen Stämmen überrannt? Nö. Steht euch sofort Getier ins Haus? Auch nicht. Jedenfalls keines, dass euch gefährlich werden könnte, solange ihr eure erste Axt bereithaltet, mit der ihr auch Bäume fällt.

Zeitvernichtung Deluxe

Das Leben in Enshrouded wäre nach der Errichtung eines Lagers allzu gemütlich. Aber auch langweilig. Also auf ins Unbekannte. In eine gefährliche Welt, voller Wölfe, die bei Nacht aggressiver angreifen als tagsüber, dunkler Ritter, bei denen man sich einbildet, sie sowas wie „Du kannst nicht vorbei“ schreien zu hören, und nicht zuletzt eine Welt, angereichert mit einer bläulichen, nebelhaften Substanz, die Miasma genannt wird. Sie verteilt sich meist in Tälern und Gruben – und am liebsten dort, wo ihr die wertvollsten Schätze findet. In diesem Miasma dürft ihr euch nur wenige Minuten am Stück aufhalten, bevor ihr den Löffel abgebt.

Durch die blaue Suppe müsst ihr wohl oder übel trotzdem durch. Sei es, um Ressourcen zu finden, oder schlicht um dem ersten primären Ziel zu folgen, nämlich der Rettung Überlebender Crafting-Meister, die in den tiefsten Stockwerken finsterer Kerker und in den Spitzen gewaltiger Türme auf euch warten. Eingesperrt in Kapseln hoffen sie auf eure rettende Hand.

Und genau hier beginnt eine krasse Gameplay-Verästelung, die das Aufleveln eures Charakters, das Crafting von Gegenständen wie etwa Kleidung, und die Steigerung eurer Kampfkraft maßgeblich beeinflusst. Denn jeder gerettete Überlebende bringt ein neues Talent mit, das euch auf Dauer weiterhilft. Einmal in eurem Lager platziert, schneidern sie euch bessere Rüstungen, werten euer Lager auf und liefern einen Rattenschwanz an neuen Optionen, die euch immer tiefer in eine Welt ziehen, aus der ihr erst erwacht, wenn ihr nachts um halb drei zwischen dem Trocknen von Wolfsfellen, dem Fällen von Bäumen, dem Auslegen von Teppichen zum Verschönern eures Hauses, dem Brutzeln von stärkenden Mahlzeiten und dem Reparieren eurer Waffen zufällig mal auf die Uhr schaut. Ach du Sch… ich muss doch morgen arbeiten!

Durch das Miasma

Die Kette der Ereignisse scheint endlos, und sie bringt euch von Pontius zu Pilatus. Hurra, ich kann nun Gegenstand X herstellen. Mist, dafür brauchte ich aber Ressource Y. Die gibt es an Ort Z. Na wie praktisch, dass der Questmarker mich sowieso dorthin leiten will, um den nächsten Crafting-Spezi zu befreien.

Dumm nur, dass wieder so viel Miasma zwischen euch und eurem Ziel liegt. Manchmal lässt es sich umgehen. Etwa durch den Einsatz eures Gleitanzugs, mit dem ihr nach dem Sprung von einer Klippe so lang durch die Lüfte segelt, wie es euer Ausdauerbalken zulässt. In der Regel müsst ihr euch allerdings einen Plan für die Durchquerung des blauen Dunsts zurechtlegen. Und je mehr Mitspieler euch begleiten, desto besser. Denn im Miasma lauern nicht nur gefährliche Gegner. Es wird auch schnell so unübersichtlich im Nebel, dass es schwer werden kann, innerhalb des auferlegten Zeitlimits aus dem Nebel herauszufinden.

Euer Zelda-typischer Enterhaken, den ihr schon recht früh im Abenteuer craftet (sofern ihr den Quests folgt) kann euch nicht immer die Haut retten, weil er sich nur an vorbestimmten Ösen festkrallt. Die hängen selten in der Wildnis, weil sie euch eher durch Dungeons helfen. Und so werdet ihr garantiert mehr als einmal im Miasma sterben, frohen Mutes ins Miasma zurückkehren, um euren beim Ableben (teilweise) liegengelassenen Inventarbeutel zu holen, nur um dann wieder abzukratzen, weil ihr mit halbiertem Inventar noch schlechter zurechtkommt. Ein Teufelskreis, den ihr am ehesten durchbrecht, wenn ihr gemeinsam mit Freunden aufbrecht, die euch vor Ort wiederbeleben oder womöglich einen besseren Orientierungssinn haben.

Wo noch nachgebessert werden darf

Enshrouded verschluckt euch mit Haut und Haaren. Aber man merkt an einigen Stellen deutlich, dass noch am Spielkonzept gefeilt wird. Gelinde gesagt, sind die wenigen (sichtbar von Zelda inspirierten) Puzzles noch immer sehr einseitig, wenn nicht sogar eintönig, und den Strukturen der Dungeons fehlt noch ein wenig der rechte Spielfluss. Man hat manchmal das Gefühl, man würde zum um die Ecke Denken aufgefordert, dabei wurden Klettermöglichkeiten, Schalter und Ösen für den Enterhaken lediglich ungeschickt platziert.

Wenn Gegner dann auch noch mit aller Wucht zuschlagen, ja euch sogar in einer unüberwindbaren Überzahl heimsuchen, sobald sie euch nur aus dem Augenwinkel erspäht haben, kann gelegentlich etwas Frust aufkommen. Ein wenig mehr Flow-Garantie anstelle von erzwungenem Schwierigkeitsgrad wäre durchaus willkommen, schließlich geht schon genug Zeit beim reinen Erkunden und beim Verrichten der alltäglichen Lagertätigkeiten drauf.

Und beim Sortieren sämtlicher Gegenstände. Oh mein Gott, es gibt so viel Krimskrams zu sortieren. Alle Nase lang findet man einen schöneren Bogen, für den man stärkere Pfeile herstellen möchte, einen neuen Zauberstab, der mal genial stark ist, dafür aber Mana wie Sau frisst und mal die Feuerkraft eines Streichholzes hat, dafür aber länger durchhält. Bessere Schwerter, Äxte und wer weiß noch alles in Ausführungen von simpel bis legendär stapeln sich buchstäblich.

An sich eine prima Sache, aber wegen des begrenzten Inventars, das man nur durch das Anfertigen von Rucksack-Erweiterungen vergrößern darf, grübelt man oft sehr lang, was man nun behält und was nicht. Und als ob das nicht schon anstrengend genug wäre, braucht es für das Crafting gleich drei zerklüftete Menüs. Da sind die Spezialgegenstände noch gar nicht mit eingerechnet, die euch Überlebende nur dann anfertigen, wenn ihr sie persönlich ansprecht. An der Menüstruktur darf also gerne noch gearbeitet werden. Vor allem, wenn man zugunsten eines intuitiver geführten Kampfes per Controller auf Maus und Tastatur verzichtet, klickt man sich in dem Menüs mitunter einen Wolf.

Strickt euch ein Abenteuer

Solche Dinge, wie auch einige Bugs, vernichten jeden Zweifel an der Early-Access-Natur dieses Spiels. Enshrouded ist weit davon entfernt, seinen finalen Schliff zu erhalten, aber das, was besteht, ist schon jetzt ohne Ende fesselnd. Welterkundung und das Wechselspiel zwischen Risiko und Belohnung für kühne Aktionen tragen maßgeblich dazu bei. Denn je weiter ihr in euren Quests voranschreitet, desto öfter könnt ihr euren Flammenaltar stärken. Dieser gibt euch wiederum mehr Ausdauer für das Überleben im Miasma, was euch dazu verleitet trotz steigender Gefahr auch in tiefere Miasmaschluchten vorzudringen.

Enshrouded - Release Date Announcement Trailer

Das Koop-Survival-Action-RPG Enshrouded startet im Januar 2024 in den Early Access.

Ihr schaukelt euch buchstäblich hoch, sucht dabei nach mehr Material für stärkere Rüstungen, die ihr in besseren Crafting-Vorrichtungen herstellen lasst. Ein Bedürfnis nährt das nächste. Irre, wie man sich von der selbst gesetzten Karotte vor den eigenen Wagen spannen lässt.

Das Platzieren neuer Flammen-Altare ist dabei essenziell für die Verkürzung von Laufwegen. Dementsprechend haltet ihr immer wieder inne, um neue Lager für Rücksetz- und Schnellreise-Gelegenheiten zu errichten, den ganzen Ressourcen-Kreislauf erneut durchzunudeln, um wieder um halb drei Uhr nachts aufzuschrecken, weil jemand an der Uhr gedreht zu haben scheint.

>> Riesige Spielwelten: Top 10: Open-World-Games 2023 <<

Der Open-World-Aspekt ist dabei federführend. Vorgesteckte Quests bringen euch zwar gerade in den ersten Stunden zu den wichtigsten Stationen, doch spätestens, wenn der Erkundungsteil ausufert, weil ihr aus den sicheren grünen Wäldern ausbrecht, um in anderen Umgebungstypen wie etwa einer Wüste nach übergroßen Bossen zu suchen, strickt ihr euch euer eigenes Abenteuer, legt eigene Ziele fest, folgt einem eigenen Kompass. Wer unbedingt einen roten Faden benötigt, könnte hier womöglich auf Granit beißen, zumal die Story abseits vieler Notizen mit losen Tagebucheinträgen wenig greifbare Substanz offeriert. Das ist keine Kritik, lediglich eine Feststellung.

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