Special - Soldaten über Call of Duty und Battlefield : Zwischen Gewissenkonflikten und Brüderlichkeit
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Vor einiger Zeit präsentierten wir euch einen Lehrerkommentar zu GTA V. Dieser viel diskutierte Beitrag brachte uns auf die Idee, eine Berufsgruppe in den Fokus zu rücken, über die in den Medien oftmals negativ berichtet wird: Soldaten. In den kommenden Wochen stehen zwei sehr große Ego-Shooter-Veröffentlichungen an, die beide mit dem Thema „Krieg“ zu tun haben. Wir sprachen mit Björn und Benjamin, die sowohl passionierte Spieler sind als auch über Jahre hinweg Dienst an der Waffe leisteten.
Gameswelt: Hallo, bitte stell dich kurz vor. Wer bist du und welche Militärerfahrung bringst du mit?
Björn: Mein Name ist Björn Klingauf, ich bin 32 Jahre alt und diene nun seit 2002 in der Bundeswehr in wechselnden Kampfverbänden. Ich habe zuletzt in einem Panzerbataillon gedient und dort die Grundausbildung von jungen Soldaten durchgeführt. 2011 war ich in Afghanistan im Einsatz.
Gameswelt: Seit wann spielst du Video- und Computerspiele? Spielst du generell alles oder begrenzt sich das auf bestimmte Genres?
Björn: Ich bin mit 5 Jahren das erste Mal mit Videospielen in Kontakt gekommen. Das war bei einem meiner Onkel mit einem Atari VCS und Pong. Danach folgten Ausflüge auf C64 und Amiga 500, bis ich mir mit 9 Jahren von meinem Kommunionsgeld ein Nintendo Entertainment System gekauft habe.
Zocken tue ich fast alles, von Rollenspielen eines Ni No Kuni bis zu Call of Duty oder Dirt. Das Einzige, was mich nicht interessiert, sind Sportspiele wie FIFA oder NHL.
Gameswelt: Glaubst du, dass du Call of Duty, Battlefield und Co. differenzierter wahrnimmst als der "normale Spieler" ohne Militärerfahrung?
Björn: Na ja, ich denke, ich achte auf Feinheiten, wie zum Beispiel welche Ausrüstung oder Fahrzeuge verwendet werden oder ob der taktische Ablauf immer Sinn macht. Aber das auch nur bei Spielen, die eher in die Richtung eines Battlefield gehen. Call of Duty ist für mich einfach ein Action-Feuerwerk, das ich nicht weiter hinterfrage. Es ist viel zu überzeichnet, um von mir ernst genommen zu werden.
Gameswelt: Wie nahe kommt ein Call of Duty oder ein Battlefield dem Soldatenalltag?
Björn: Dem eines normalen Soldaten? Gar nicht! Ich weiß nicht, wie der Alltag eines Elitesoldaten aussieht, aber die genannten Serien haben nichts mit dem normalen Alltag eines Soldaten zu tun. Erstens ist nicht jeder Soldat zum Kämpfen gedacht. Auf jeden Soldaten, der kämpft, kommt eine Vielzahl an Soldaten, die sich um Nachschub, Ausrüstung, Sanität und, und, und kümmern müssen. Und dann wäre da noch die Sache mit der Angst, die diese Spiele einfach nicht abbilden können. Bei einem echten Einsatz hat man Angst, im Notfall geht es ja um das eigene Leben.
Gameswelt: Glaubst du, dass Jugendliche durch Call of Duty und Battlefield eher Interesse an einer militärischen Laufbahn entwickeln oder dass sie solche Spiele abschrecken?
Björn: Diese Spiele sind ja nicht für Jugendliche gedacht, sondern für Erwachsene! Trotzdem denke ich, dass sie weder in die eine noch in die andere Richtung beeinflussen. Ich denke nicht, dass der normale Jugendliche durch Videospiele beeinflusst wird. Wenn es danach ginge, hätte ich Klempner werden müssen! Ich denke eher, dass Jugendliche, die sowieso schon in diese Richtung treiben, davon angesprochen werden könnten, aber da dann noch mehr durch Filme. Filme können immer noch Gefühle wecken, die ein Spiel nicht darstellen kann. Bestes Beispiel hierfür ist „Act of Valor“, der für mich beste Film über Soldaten. Er zeigt auf nicht so übertriebene Art und Weise wie etwa Call of Duty, worum es Soldaten geht.
Gameswelt: Gerade bei Call of Duty sterben Charaktere wie die Fliegen. Siehst du den Schrecken eines Krieges in diesen Spielen vernünftig abgebildet oder sind dir die Charaktere sowie deren Entwicklung egal? Im echten Leben verbringen Soldaten ja oft Jahre zusammen, werden zu Brüdern.
Björn: Kein Spiel kann mich so an einen Charakter binden, dass ich bestürzt bin über seinen Tod. Du sagst es ja selber, Soldaten werden durch die Jahre hinweg zu Kameraden und, ja, teilweise - in Deutschland durch das System eher selten - zu Brüdern. So was kann ein Spiel in nur 8 bis 20 Spielstunden nicht vermitteln. Wie auch? In einem echten Krieg kann man während eines Gefechts auch nicht innehalten und der Gefallenen gedenken, das geht erst später. Wie also in Spielen? Sollte man im Abspann der gefallenen digitalen Soldaten gedenken? Eher nicht. Auch da finde ich „Act of Valor“ beispielgebend. Dort wird im Abspann der gefallenen SEALs gedacht. Und den Schrecken eines Krieges kann kein Medium wirklich darstellen.
Gameswelt: Was sagst du zum Punkt vieler Kritiker, dass Jugendliche gerade durch Militär-Shooter das Schießen trainieren?
Björn: Diese Kritiker haben keine Ahnung! Das ist das Problem an Kritikern: Sie schreiben oder reden über etwas, von dem sie keine Ahnung haben. Wenn man Schießen durch Spielen an der Konsole oder PC lernen könnte, würde das Militär dies sofort einsetzen, um Geld zu sparen. Waffen sind nämlich teuer, Munition auch. Es gibt Simulatoren, die haben aber nichts mit normalen PCs zu tun, und auch diese ersetzen nicht den scharfen Schuss. Und hier spreche ich aus Erfahrung, ich habe fast sechs Jahre lang junge Rekruten ausgebildet. Diese Kritiker machen sich das zu einfach und wollen auch nur ihre Meinung abbilden.
Gameswelt: Call of Duty und Battlefield gehören zu den meistverkauften Spielen unserer Generation. Liegt das daran, dass es einfach nur gute Spiele sind, oder ist es doch vor allem die "Faszination Krieg", die solche Verkaufszahlen fördert.
Björn: Ich denke, das liegt eher an den guten Multiplayer-Modi. Wenn es an der Faszination Krieg liegen würde, hätte sich ja auch Medal of Honor gut verkaufen müssen. Und sind wir doch mal ehrlich, eine sechs bis sieben Stunden dauernde Singleplayer-Geschichte bindet Spieler wohl kaum an eine Serie über so viele Spiele hinweg. Ich habe alle CoD-, Battlefield- und Medal-of-Honor-Spiele dieser Generation gespielt, aber die Story könnte ich nicht wiedergeben.
Gameswelt: Welche Aspekte des Soldatenlebens würdest du gerne eher in den Videospielvordergrund rücken? Den Zwiespalt zwischen Familienleben und Beruf? Den inneren Konflikt von Fragen wie "Ist es richtig, für mein Land zu töten?" oder "Setze ich für mein Land und/oder mir fremde Menschen mein Leben aufs Spiel?".
Björn: Das ist schwer zu beantworten. Medal of Honor hat mit seinem letzten Teil versucht aufzuzeigen, was Soldaten opfern müssen. Gerade die Familie eines Soldaten muss viel mitmachen. Die Zwischensequenzen und eigentlich viel vom Spiel waren an den Film „Act of Valor“ angelegt - leider eher schlecht als recht. Bis auf eine, dazu aber später mehr. Und von Nongames halte ich überhaupt nichts. Ich spiele, um Spaß zu haben, nicht um den normalen Alltag nachzuerleben. Der normale Alltag eines Soldaten ist auch zu langweilig: geprägt von Sport, Training und warten. Nicht jeder Tag ist ein Gefecht. Die meisten Gamer würden wohl kein Spiel kaufen, in dem der normale Alltag abgebildet wird.
Gameswelt: Welche Spielsequenzen aus Militär-Shootern blieben dir extrem im Gedächtnis und weshalb? Bei Medal of Honor gab es ja beispielsweise eine sehr ergreifende Beerdigungssequenz.
Björn: Ja, gerade die Beerdigungssequenz hat mich tief berührt. Als ich das Spiel gespielt habe, waren die Eindrücke des Auslandseinsatzes noch sehr frisch. Aber auch diese Sequenz ist aus „Act of Valor“ übernommen, und zwar eins zu eins. Wenn man im echten Leben mit dem Tod konfrontiert wurde, bewegt einen so etwas schon sehr. Die Szenen in Call of Duty sind mir zu überzeichnet, um sie wirklich ernst zu nehmen. Und wie schon gesagt, die Storys sind zu belanglos. Auch Spec Ops: The Line war für mich hier keine Ausnahme. Die Story war ganz okay, mehr aber nicht.
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