Test - Age of Empires 4 : Die Entscheidungsschlacht um ein ganzes Genre
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Es ist die Entscheidungsschlacht um ein ganzes Genre. Entwickler Relic steht vor der schier unlösbaren Aufgabe, einer der größten Strategiemarken aller Zeiten gerecht zu werden und zugleich das Echtzeit-Genre vor dem Aus zu bewahren. Der unerbittliche Traditionalismus von Age of Empires 4 steht dem jedoch letztendlich im Weg.
Nein, das geht so nicht. Sofort stach es ins geschulte Auge, dass die Pfeile, die die Bogenschützen von den Mauern schossen, doch viel zu riesig dimensioniert sind. Kleine Schützen mit übergroßen Waffen: Die Größenverhältnisse wollten nicht so richtig passen in der Beta von Age of Empires 4 – und schon waren sie wieder da: die Nörgler und Zweifler. Kann so ein Spiel mit solchen Schlampigkeiten so große Erwartungen erfüllen?
Gut, zu große Pfeile mögen nur ein unbedeutendes Malheur sein, doch jeder, allen voran die Entwickler, dürften wissen, dass hier nichts schiefgehen darf. Eine falsche Design-Entscheidung und eine ganze Marke, womöglich ein ganzes Genre, geht zu Grunde. Denn der Name Age of Empires steht wie kein zweiter für die Echtzeit-Strategie, eine vom Aussterben schwer bedrohte Spezies. Dass Microsoft sein altes PC-Relikt längst vergangener Tage überhaupt noch einmal ausgräbt, darf allein schon als Wunder gewertet werden.
Vier Jahre liegt die von Fans frenetisch gefeierte Ankündigung des vierten Teils schon zurück, noch viel, sehr viel länger der letzte richtige Ableger. Unter uns gesagt: Age of Empires 3 halte ich persönlich für ein grandioses Spiel, so richtig in ihre Herzen schließen wollten die Hardcore-Enthusiasten der Reihe das Amerika-Setting jedoch nicht. Teil Vier kehrt nun dahin zurück, wo alles anfing: ins Mittelalter.
Pure Nostalgie
Und damit ließe sich dieses Mammut-Spiel, das diesmal nicht die längst geschlossenen Ensemble-Studios, sondern die Company-of-Heroes-Spezialisten von Relic auf die Beine stemmten, auch schon umfassend zusammenfassen: Age 4 ist letztlich nichts anderes als pure Nostalgie. Oder wie es im Duden steht: eine „von unbestimmter Sehnsucht erfüllte Gestimmtheit, die sich in der Rückwendung zu einer vergangenen, in der Vorstellung verklärten Zeit äußert …“
Genau jene Sehnsucht nach der einst glorreichen Zeit der Echtzeit-Strategie will der wohl wichtigste Genrevertreter seit vielen Jahren erfüllen. Strenggenommen nahm sich das seit 2010 mit Starcraft 2 kaum mehr ein Titel erfolgreich zur Brust. Und selbst Blizzard musste einsehen, dass diese kaum noch zeitgemäße Art von Spiel, die zudem eigentlich nur auf einem PC und nicht der Konsole zu genießen ist, sich wirtschaftlich einfach nicht mehr lohnt.
Gleich vorweg: Age of Empires 4 wird trotz aller Hoffnungen wohl nichts daran ändern. Denn eben jene Nostalgie steht einer Echtzeit-Renaissance dann doch im Weg. Das neue AoE ist ein Strategie-Schwergewicht geworden, wie es altmodischer nicht sein könnte. Wer die Reihe, allen voran den heilig verehrten zweiten Teil, schon immer liebte, wird hier wohl ein paar Freudentränen nicht verdrücken können. Ob eine ganze neue Generation an Spielern hier aber hängen bleibt, darf bezweifelt werden. Zumal dieses Age nicht nur extrem oldschool ausfällt, sondern vor allem auch wahnsinnig fordert.
Die absurd riesigen Pfeile haben die Entwickler von Relic schon mal in den Griff bekommen. Was bleibt, ist die gewöhnungsbedürftige Optik. Zwei Jahre nach dem ersten Gameplay-Trailer, der für nicht wenige mit seinem bunten, comichaften Grafikstil für Verwunderung sorgte, ist Relic auf dem nicht unumstrittenen Kurs geblieben und setzt auf satte Farben und wenig Polygone. Womit wir beim vielleicht problematischsten Punkt von Age of Empires 4 wären.
Grafik ist nicht alles ...
… , aber bei so einem Schwergewicht von Spiel doch nicht unerheblich. Zumal wir von Age of Empires reden. Eine AAA-Marke, die stets auch mit technischen Meilensteinen bestach. Sei es der Erstling von 1997, der mit all seinem Gewusel und den damals revolutionären Animationen schon beeindruckte. Oder zuletzt Teil Drei vor 16 Jahren (ja, so lange ist das schon her), der die PCs bis an ihre Limits brachte und eine im Genre nie dagewesene Physik, speziell die Zerstörungseffekte, zelebrierte.
Teil Vier – und das muss man gemessen an diesen Grafikbomben so hart konstatieren – enttäuscht dagegen. Nicht, dass das Spiel hässlich oder der dezente Comicstil fehl am Platz wären. Im Gegenteil: Freundliche und lebendige Farben gehören zu Age of Empires einfach dazu. Trotz Mittelalter-Setting war die Reihe nie wirklich düster. Die Gestaltung der Völker, die Karten und gerade die Burgen und Festungen sind sogar richtig hübsch anzusehen.
Dennoch wirkt das neue Age wie ein Spiel von gestern. Was vor allem auf den zweiten Blick auffällt. Die Animationen? Merkwürdig hakelig. Die Detailarbeit? Wurde sichtbar vernachlässigt. Bogenschützen schießen etwa zwar Pfeile ab, greifen davor aber ins Leere, denn Köcher haben sie nicht bei sich. Und das Treiben der Dorfarbeiter zu beobachten, kann man sich auch sparen. Im Grunde laufen meine Malocher nur von A nach B, schmückende Details ihres Handwerks sind nicht zu sehen. Das machte schon Stronghold 2 vor 16 Jahren besser, wo man Schmied, Bäcker oder Jäger bei der Arbeit beobachten konnte.
Oder der eigene Vorgänger: Wo in Age of Empires 3 noch bei bei Beschuss spektakulär einzelne Flügel der gegnerischen Windmühlen in sich zusammenbrachen (ebenso die Segel der Schiffe), sind Gebäude, Mauern und Belagerungsmaschinen im neuen Age vom einen Moment auf den nächsten einfach zerstört. Alles andere als zeitgemäß. Kommt es dann noch zu Massenschlachten, entsteht häufig nur ein Chaos aus wild umherlaufenden Einheiten, die alle dieselben Animationen abspulen. Das ist nicht nur unübersichtlich und oft befremdlich (gerade auf Mauern und Türmen, die meine Streitkräfte nun erstmals erklimmen können, laufen sich die Soldaten gerne über den Haufen), sondern auch schlicht unbefriedigend.
Stürme ich mit meiner Kavallerie zum Beispiel in die Flanke der feindlichen Infanterie, wünsche ich mir natürlich, dass meine berittene Streitmacht die hilflosen Bogenschützen so richtig überrollt, sodass diese durch die Luft fliegen und man förmlich den Aufprall spüren kann. Ist nicht so, meine Reiter halten einfach prompt vor dem Gegner an und schlagen solange auf ihn ein, bis keiner mehr übrig ist.
Wer all seine Hoffnungen in Age 4 gesteckt hat, muss deshalb aber nicht aufgeben. Denn bei aller fehlenden Detailverliebtheit: erstens gilt das nicht für die Akustik, die fällt mit all ihrer Dynamik und den fantastischen Schlacht-Geräuschen und den kultigen, Age-typischen Ansagen der Einheiten mit all ihren unverständlichen Akzenten, bravourös aus. Und zweitens und noch viel wichtiger: Hinter der veralteten Optik steckt eine verdammt gute Spielmechanik.
Alles wie früher
Hier verneigt sich Relic geradezu vor dem Original, huldigt speziell Age of Empires 2 und wagt auf der anderen Seite nur wenig Experimente, wie das noch bei den Eigenmarken Company of Heroes und Dawn of War der Fall war. Und auch das nach der Beta bislang größte Fragezeichen – die Kampagne – ist nach einem ausführlichen Test beantwortet. Doch fangen wir ganz von vorne an: Age of Empires 4 beginnt noch, bevor es die Spieler in sein Hauptmenü entführt, mit einer fast schon absurd klassischen Tutorial-Mission. Ich lerne, wie man mit der Maus klickt, Einheiten anwählt und erste Häuser platziert. Dass man das 2021 noch erleben darf …
Bei all den komplexen Mechaniken und zahlreichen strategischen Manövern, die ich in diesem Spiel meistern muss, kommt mir diese kurze Einführung umso mehr obsolet vor. Denn nach diesem Startschuss verlangt mir Age 4 alles ab, was ich in 20 Jahren Echtzeit-Strategie gelernt habe. Neulinge, die wissen wollen, wie genau man denn nun in hohem Tempo eine florierende Wirtschaft hochzieht oder mit welchen Militäreinheiten in welcher Situation auf dem Schlachtfeld reagiert werden muss, den lässt Relic zum Glück aber nicht ganz im Stich.
Hinter dem Menüfeld „Kunst des Krieges“ verstecken sich eine Handvoll Kurzmissionen, die Einsteiger mit knackigen Herausforderungen auf die Probe stellen und zugleich eminent wichtige Handgriffe lehren. Wer zum Beispiel in nur fünf Minuten ins nächste Zeitalter aufsteigt, kriegt eine Goldmedaille.
Zeitalter und Epochen bilden schließlich auch im vierten Age einen elementaren Bestandteil der Spielmechanik. Habe ich genug Rohstoffe gesammelt, kann ich in die nächste Ära aufsteigen. Insgesamt gibt es davon vier: das dunkle, das feudale, das imperiale und das Ritter-Zeitalter. Jedes schaltet neue Gebäude, Technologien und Einheiten frei. Bei den Chinesen jedoch spiele ich keine Epochen, sondern Dynastien. Auch wenn diese frische Möglichkeiten bieten, ändert sich optisch an den bestehenden Gebäuden und Einheiten nichts. Wer wie in Anno ein völlig neues Stadtbild oder wie in Empire Earth ein ganz anderes Spielerlebnis erwartet, guckt ins Leere.
Dafür darf mit jedem Zeitalter ein neues Wahrzeichen errichtet werden, das aber wohlüberlegt aus zweien gewählt werden muss. Denn jedes gewährt ganz andere Boni. Will ich einfach um 20% schneller neue Einheiten rekrutieren? Oder möchte ich, dass meine Händler zukünftig neben Gold auch andere Ressourcen kurieren?
Gerade in der wichtigsten Age-Disziplin, den Skirmish-Partien (oder natürlich auch im Mehrspieler-Modus), bildet das schnellstmögliche Absolvieren der Etappen das Rezept zum Sieg. Nur wer schnell und effizient wirtschaftet, kann auch die nötige Streitmacht aufbauen. Oder eine unüberwindbare Basis errichten. Oder tödliche Belagerungsmaschinen erforschen. Mit welchen Methoden ich den Feind bezwinge, hängt vor allem von der Wahl der Fraktion ab, von denen es diesmal acht ins fertige Spiel geschafft haben. Vier von ihnen haben je eine eigene Kampagne spendiert bekommen.
Mit Karacho durch die Weltgeschichte
Um diese machte Relic bisher ein großes Geheimnis. Wie würden sich die Missionen spielen? Welche Geschichten bekommen wir erzählt? Welche historischen Figuren dürfen wir hautnah erleben? Und wie werden die Kampagnen inszeniert? Die Auswahl fällt schon mal beachtlich aus. Auch wenn nur Hälfte aller Fraktionen spielbar ist, nimmt jede der vier Kampagnen etwa 10 bis 15 Stunden in Anspruch und umspannt auch gerne mal mehrere Jahrhunderte. Zeitlich sind die meisten Missionen im späten Mittelalter angelehnt und umspannen Europa bis Fernost. Die Kolonialzeit aus Age 3 spielt also keine Rolle mehr.
Einsteiger oder wie in meinem Fall Rückkehrer nach einer langen RTS-Abstinenz sollten mit der ersten Kampagne der Normannen loslegen, spielbar sind nämlich alle von Beginn an. Bei den Normannen, beziehungsweise den Engländern, geht dafür alles erstmal sehr klassisch voran. Ich baue Holz, Stein und Gold ab und säe Getreidefelder im Umkreis einer Mühle, um Nahrung anzubauen. Fast schon wie in Anno. Idyllisch wie im Insel-Baukasten bleibt es aber nicht lange. Anders als bei Anno geht es beim Bauen zumal nie um schöne Siedlungen, denn die müssen einfach nur funktional sein.
In den Kampagnen habe ich oft auch keine Zeit zum Bauen, sondern muss beim Start der Engländer gleich mal ins Gefecht. Ich reiße mir mit dem normannischen Herzog Wilhelm, dem Eroberer, nach der gewonnen Schlacht von Hastings das englische Königreich unter den Nagel. Habe ich das nach der ersten aufregenden Feldschlacht geschafft, springt die nächste Mission aber schon ein paar Jahrzehnte weiter und lässt mich Wilhelms Erben spielen, der es mit machthungrigen Intriganten und Aufständigen zu tun bekommt. Im Laufe der Kampagne tauschen die Protagonisten häufiger die Krone aus, als es in Game of Thrones der Fall war, da verliert man schnell den Faden.
Dass Relic ein ganzes Jahrhundert Geschichte umspannen will, ist zwar ambitioniert, wirklich greifen kann ich die Konflikte so aber nie, geschweige denn irgendeine Beziehung zu den Figuren aufbauen. Kein Vergleich zu Warcraft 3, das mich den Aufstieg und Fall von König Arthas miterleben und mitleiden ließ. Age 4 will auf ähnlich großen Story-Pfaden wandeln, immerhin darf ich wie im Blizzard-Hit auch Helden mit besonderen Fähigkeiten spielen. Spannende Geschichten werden dabei aber nicht erzählt, auch weil es keinerlei Dialoge zwischen den Charakteren gibt, geschweige denn, dass man sie überhaupt mal näher kennenlernen darf.
Wikipedia zum Selberspielen
Dröge inszeniert sind die Kampagnen dennoch nicht. Ich finde die aufwendigen Realfilm-Sequenzen zwischen den Missionen sogar richtig cool. Nachwirkenden Kontext und Dramaturgie erzeugen sie zwar nicht, dafür machen sie jedoch jede Menge Spaß. Vor allem hat Relic damit eine Art spannenden Geschichtsunterricht und eine visuelle Enzyklopädie erschaffen. Kleinste Details wie das Handwerk von Kettenhemden oder der besondere Transport der mongolischen Pferde mögen zwar absolut irrelevant für das Spielerlebnis sein, sind aber vor allem einfach wahnsinnig interessant.
Zumal die Filmchen mit den authentischen Kostümen und realen Kulissen sehr viel her machen. Besonders cool: Das Team hat eine echte Burg in Frankreich besucht, die gerade komplett neu und ganz ohne moderne Hilfsmittel erbaut wird. Nur ein paar weniger Zeitlupen-Aufnahmen wären schön gewesen ...
Bei den Missionen selbst gibt es ohnehin wenig zu meckern, die fesseln nahezu durchgehend mit ihrer stetigen Abwechslung und einem beachtlichen Einfallsreichtum. Dabei wird gerade auf die Stärken der Fraktionen Bezug genommen. In der Franzosen-Kampagne, in der ich den Hundertjährigen Krieg nachspiele, bin ich fast durchgehend zur Defensive gezwungen und muss mich gegen englische Übermächte und ihre Belagerungen zur Wehr setzen. Bei den Mongolen herrscht dagegen stetige Offensive und darf mit keinem Geringeren als Dschingis Khan und seiner Kavallerie-Armee in den Eroberungsfeldzug ziehen.
Jede Epoche etwas Neues
Die Ziele, Startbedingungen und Herausforderungen unterscheiden sich dabei stark. Mal beginne ich gleich mit einer großen Streitmacht, mal muss ich von Null anfangen. In der Normannen-Kampagne fordert ganz besonders eine Mission, in der es die Festung meines Konkurrenten um die Krone zu stürmen gilt. Was nur sehr schwierig gerät, da der sich bereits mit Rebellen verbündet hat. Nehme ich aber erst einmal deren Lager an den Rändern der Karte auseinander, was komplett optional ist, fliehen die Aufmüpfigen nach und nach aus der Feste meines Feindes – und er steht prompt ziemlich nackt da.
Gleich zu Beginn der Mongolen-Kampagne habe ich dagegen nur eine einzige Armee und keinerlei Nachschub oder Verstärkung. Den Feind, der deutlich in der Überzahl ist, locke ich also mit meinen Reitern in einen Hinterhalt und falle ihm dann von hinten rein. Sehr befriedigend, aber auch sehr anspruchsvoll. Als Spieler muss ich zahlreiche Fronten und Einheiten im Auge behalten und zugleich meine Basis stärken und die Wirtschaft am Laufen halten. Und meine Fraktion kennen, die bei jeder dieser Aspekte andere Schwerpunkte legen.
Bei den eher konventionell angelegten Engländern fällt der Aufbaupart noch mal deutlich mehr ins Gewicht als bei den vergleichsweise exotischen Chinesen oder dem Volk der Rus. Ähnlich ist es auch bei den Franzosen und dem Heiligen Römischen Reich, die vor allem Wert auf starke Befestigungsanlagen, schlagkräftige Belagerungsgeräte wie Rammböcke und schwer gepanzerte Einheiten wie Ritter legen.
Wer lästige Rush-Angriffe gleich zu Beginn einer Runde vorbeugen will, kann unter anderem mit den Engländern direkt Holzpalisaden hochziehen und sich nach wenigen Minuten schon einigeln. Mit der Feudalzeit dürfen dann bereits Steinmauern gebaut werden, die dann auch mit Bogenschützen besetzt und Abwehrtürmen garniert werden können.
Jede Fraktion ist eine KIasse für sich
Ganz anders sieht es da schon bei den Mongolen aus, die haben zum Start kaum Verteidigungsmöglichkeiten oder besonders fortschrittliche Technologien und Waffen zur Verfügung und sieht dem Feind gerne mal hilflos ausgeliefert. Dafür können sie als einziges Volk ihre Basis komplett verlegen und sind damit stets mobil (Command and Conquer 4 lässt grüßen). Enorm nützlich, wenn vor Ort mal die Rohstoffe ausgehen, die zum Teil übrigens automatisch abgebaut werden.
Beim Angriff macht den Mongolen dann keiner etwas vor, unter der Flagge von Dschingis Khan bin ich am besten mit Einheiten zu Pferd beraten, passend zur mobilen Ausrichtung der Fraktion. In der Nähe eines Obus, einer Art Steinfabrik, darf ich zum Preis von einer Einheit sogar zwei rekrutieren. So lassen sich sehr schnell starke Armeen erarbeiten. Besonders tödlich: Kavallerie-Bogenschützen, die sogar während ihrer Bewegung noch Pfeile abfeuern.
Beim direkten Nachbarn, den Chinesen, werden vor allem Spielkinder und Freunde der Forschung bedient. Hier gibt es allerhand verrückte Technologien und Waffen zu bestaunen. Feinde können mit Raketensalven unter Druck gesetzt werden, Reiter tragen Feuerlanzen und mit Beamten versteuere ich meine eigenen Betriebe und sichere mir damit ein dauerhaftes Goldeinkommen. Im vierten Zeitalter, beziehungsweise der finalen Dynastie kommt dann sogar die berühmte Chinesische Mauer zum Einsatz als ultimative Defensiv-Maßnahme. Und schon ändert sich wieder meine Vorgehensweise. Von jetzt an rühre ich mehr Beton an statt anzugreifen.
Ein bisschen Anno-Feeling kommt dann doch bei den Abbasiden auf, wo sich alles um das Haus der Weisheit dreht. Ein zentrales Gebäude, das ich modular erweitern kann und alles in dessen Einflussbereich die Produktion massiv vorantreibt. Entsprechend völlig anders muss der Aufbau der Siedlung geplant werden.
Dieser stetige Wechsel an Strategien und Technologien und gerade die gewaltigen Unterschiede zwischen den Fraktionen, machen Age 4 zu einem intensiven Strategieerlebnis der Extraklasse. In der Spieltiefe brilliert das neue Age. Relic hat verstanden, was den Reiz der Reihe ausmacht und wie eine gute Balance funktioniert. Bei allen Differenzen der Völker gilt immerhin noch immer das klassische Schere-Stein-Papier-Prinzip. Für jede Einheit gibt es einen passenden Gegenpart, um zu kontern. Kavallerie lässt sich mit Speeren aufhalten, gepanzerte Schwertkämpfer mit Armbrustschützen. Diese wiederum sehen im Nahkampf alt aus. Und auf dicke Mauern reagiert man am besten aus großer Entfernung mit Trebuchets.
Was für alle aber gilt: Bei 200 Einwohnern ist die Bevölkerungsgrenze erreicht. Da je nach Fraktion gerne mal die Hälfte davon mit Dorfbewohnern gefüllt wird, fallen die militärischen Streitmächte stets überschaubar aus. Gewaltige Massenschlachten gibt es nie. Das kommt vor allen den Spielern zugute, die gerne kleine Nadelstiche setzen und direkt zu Beginn schnelle Angriffe fahren wollen, denn Armeen lassen sich so schnell aufbauen und auch nach einer misslungenen Attacke kann schnell eine Nachhut erstellt werden.
Ein Spiel nur für Enthusiasten?
Das strenge Limit der Einheiten, die sehr komplexe Mechanik und die verschiedenen Terrains der symmetrischen Karten verlangen dem Spieler aber auch alles ab. Besonders im Gefechts-Modus, also den Skirmish-Partien, wird Age 4 dann zur ultimativen Strategieprobe, die vor allem Einsteiger überfordern könnte. Und dabei soll das Spiel ja vor allem auch eine neue Generation von Spielern begeistern, um das RTS-Genre neu zu beleben.
Doch die Flut an Herausforderungen kann zuweilen abschreckend wirken, auch weil die KI lobenswert schlau agiert. Sie braucht zu Beginn zwar etwas, um in die Gänge zu kommen, Rush-Angriffe lohnen sich also, etwas später jedoch weiß sie selbst, mir mit bösen Attacken das Leben schwer zu machen und meine Schwachstellen zu erkennen. Und das auch auf den niedrigen Schwierigkeitsgraden. Schwer haben es aber Spieler, die lieber erstmal eine florierende Wirtschaft meistern und erst später einen Großangriff starten wollen.
Age 4 will gemeistert werden und verlangt, sich regelmäßig aus der Basis zu trauen, um die Map zu erkunden und den Feind an diversen Fronten zu schwächen. Nur wer dynamisch spielt und mehrere Aufgaben zugleich bewältigen kann, darf auf den Sieg hoffen. Und die in anderen Genrekollegen oft bewährte Methode, einfach nur alle Einheiten gleichzeitig auf den Feind zu hetzen, greift hier auch nicht. Jeder Kampftyp muss behutsam einzeln organisiert und auf der Karte platziert werden. Wer viel klickt oder sich mit Hotkeys behilft, manövriert sich somit selbst durch scheinbar hoffnungslose Situationen. Alles auf eine Karte zu setzen und die gesamte Armee auf einen Punkt zu schicken, geht dagegen nie gut aus.
Profis werden diesen hohen Anspruch lieben, Spieler wie ich, die Age schon länger nicht mehr angerührt haben oder mittlerweile eher bei Anno zuhause sind, kann das aber auch durchaus frustrieren. Zumal das Spiel es einem mit der nicht optimalen Steuerung nicht so leicht macht. Die Kamera lässt sich etwa nur per umständliche Alt+Maus-Kombination drehen, ändern lässt sich diese Einstellung nicht.
Viele Befehle sind in den Optionen zwar frei auf der Tastatur belegbar, andere wünschenswerte Funktionen haben dagegen gar keine Taste. Etwa alle Gebäude des gleichen Typus auszuwählen. Oder Einheiten anzuweisen, automatisch Gebäude zu reparieren, oder Soldaten auf Patrouille schicken zu können. Solche Handgriffe müssen leider manuell getätigt werden, in einem Spiel, bei dem jede Sekunde an zahlreichen Fronten etwas los ist, einfach nur nervig. Nicht zuletzt, weil die Schlachten ohnehin sehr unübersichtlich ausfallen. Und solange ich meinen Figuren nicht explizit befehle, an einem Punkt stehenzubleiben, rennen sie auch gerne mal einfach aus meiner sicheren Burg hinaus – direkt in die Arme des Feindes.
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Sicher kann Relic Komfortmängel wie diese bald beheben und das müssen sie auch. An zwei spielmechanischen Punkten wird sich allerdings wohl wenig ändern: Age of Empires 4 wird ein anspruchsvolles bis schweres Spiel bleiben, einfach deshalb, weil es schnell und kompliziert ist. Zugleich bleibt es ein in erster Linie altmodisches Spiel mit klassischen Echtzeit-Strategie-Tugenden, wie sich das für einen würdigen Age-Nachfolger gehört, der aber auch wenig Neues bietet und weniger mutige Ideen als erwartet. Relic verneigt sich noch vielmehr vor den Werken der Ensemble-Studios, als ich es im Vorfeld vermutet habe. Umso mehr geht Age-Fans dabei ein Herz auf. Umso ernüchternder werden die sein, die auf eine Neu-Interpretation des Genres gehofft haben. Die bleibt hier definitiv aus. Ist halt immer noch Age of Empires.
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