Test - Thief Simulator 2 : So blöd, dass es schon wieder gut ist: Das Hype-Spiel jetzt auf PS5
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Es gibt Momente, in denen man als Spiele-Rezensent nur noch verwundert den Kopf schütteln möchte. Wie um alles in der Welt kann Thief Simulator 2 auf Steam eine „sehr positive“ Resonanz bei den Kundenrezensionen verdient haben? So positiv sogar, dass wir nun mit einer PS5-Umsetzung „beglückt“ werden. Steckt hinter dem Hype ein roher Diamant, oder geht es nur um gestohlene Zeit?
Die Antwort: Irgendwie beides. Thief Simulator 2 ist beileibe kein Meisterwerk und schon gar kein roher Diamant. Höchstens ein zweitklassiger Zirkonia, den euch ein zwielichtiger Typ auf dem Flohmarkt als großen Schatz anpreist. Der Typ schwätzt euch schwindelig und legt dabei ein Seemannsgarn auf den Tisch, welches euch so gut unterhält, dass ihr gar nicht dazu kommt, die Qualität der Ware zu prüfen. Der „Edelstein“ gehörte nämlich seiner in Äquatorialguinea verschollenen Stiefschwester, der durch den Fluch eines Voodoo-Priesters vierzehn Fußzehen wuchsen, von denen drei auf Kommando die französische Nationalhymne in mehrstimmiger Harmonie quietschen konnten.
Soll heißen: Thief Simulator 2 erzählt viel, bringt viele Gameplay-Elemente auf den Tisch und gaukelt Tiefe vor. Durchdacht oder glaubwürdig ist jedoch nichts davon. Wenn selbst die Story an einem so seidenen Faden hängt wie hier, steigt der Cringe-Faktor over 9000. Und doch: Wie bei einem Autounfall ist es schwer, nicht hinzuschauen.
Was nicht heißen soll, das Spiel wäre ungenießbar, völlig verbuggt oder in anderer Weise handwerklich stümperhaft. Der Spielablauf funktioniert. Er ist nur so hohl und unlogisch, dass man zwangsläufig mit den Augen rollt.
So blödsinnig, dass es schon wieder gut ist
Was macht man denn so als Dieb, der von einer Mafia-Bande beim Stehlen erwischt wurde, ihr Geld schuldet und in flagranti beinahe über den Haufen geschossen wurde? Untertauchen? Das Land verlassen? Eine neue Identität zulegen? Iwo! Man stiehlt weiter, ist doch klar! Nun zwar unter der Fuchtel eines angeblichen anonymen Wohltäters, der euch aus der Patsche helfen will und dafür durch die Gegend kommandiert, aber was soll‘s?
Der große Unbekannte leitet euch an und bringt euch dazu, in einer kleinen Dorfgemeinde in Häuser einzubrechen, alles mitzunehmen, was nicht niet- und nagelfest ist, den Plunder zu verkaufen und auf diese Weise Schulden abzutragen.
Stellt euch ein Mini-GTA in einem Dorf vor, mit wenig belebten Straßen und ruraler Idylle, bei dem ihr auf kleinster Fläche beinahe jedes Haus ausraubt, ohne dass sich irgendjemand darüber wundert. Erzählerisch eingerollt im Versuch, anhand von Radio-Kommentatoren möglichst sarkastisch rüberzukommen (eben so, wie man es aus GTA kennt), robbt die Handlung auf dem Zahnfleisch von einer Unglaubwürdigkeit zur nächsten und hofft, dass ihr das Ganze unter dem Stichwort Humor ablegt.
Gelacht haben wir, aber leider nicht immer mit dem Spiel. Dazu nimmt es sich selbst viel zu ernst. Oder doch nicht? Schwer einzuschätzen. Allein die süffisante Stimme eures anonymen Bosses, der euch alle naselang über eine private Nummer auf eurem Handy anruft, lässt vermuten, dass die Entwickler durchaus wissen, auf welch dünnem Eis sie sich bewegen. Auf der anderen Seite verstrickt euch das Spiel in so viele Unterbeschäftigungen, dass die lockere Stimmung schnell flöten geht. Denn ihr sollt ja nicht einfach kleine Hütten ausrauben, sondern bewohnte Häuser, und dafür braucht es minutiöse Planung.
Gut geplant, schnell ausgeführt
Im Bestfall soll niemand zuhause sein – also müsst ihr wissen, wann Bewohner ihr Domizil verlassen. Ihr wollt nicht von Nachbarn erwischt werden – also muss nicht nur das Timing beim Schleichen durch Vorgärten stimmen, sondern auch der Geräuschpegel. Ihr braucht Equipment zum Schlösserknacken, Drohnen zum Überwachen, Wanzen-Kameras zum Spionieren und mehr. Ein Level-System mit Erfahrungspunkten und allem Pipapo hindert euch daran, den ganzen Kram einfach zu kaufen und einzusetzen.
Klingt doch nach einem passablen Progressions-System, nicht? Isoliert als Videospiel betrachtet bestimmt. Aber die Tatsache, dass man den ganzen Schmus auf Knopfdruck bestellt, als ob es ein Amazon Prime für Langfinger gäbe, wirkt wieder so lächerlich und unvollständig, dass man erneut mit den Augen rollt. Was hier fehlt, ist die andere Hälfte des Spiels, nämlich die Organisation der Mittel. Thief Simulator 2 ist genauso wenig Simulator wie GTA5.
Muss ein Videospiel total realistisch sein? Nö. Aber es darf im Jahr 2024 gerne mehr Tiefe haben als ein Game-Boy-Spiel von 1989. Sämtliche Lösungsansätze haben einen Instant-Krümeltee-Geschmack: zu süß, um den Durst zu löschen, aber doch befriedigend. Bewohner eines Hauses beobachten? Ein Mausklick genügt. Schlösser knacken? Zwei Drehungen - fertig. Beute verkaufen? Drei Mausklicks am Computer oder einfach beim Pfandleiher abladen.
Noch schlimmer: wozu groß spionieren, wenn man viele Informationen über ein Haus auf einer virtuellen Internetseite schlicht kaufen kann? Wozu das eigene Auto an sicherer Stelle parken, wenn man manchmal gefahrlos mit großen Gemälden oder Vasen durch das Dorf laufen darf?
Das ganze Spiel ist einfach nur hohl und schnelllebig. Aber – und das ist das Schlimme an der Sache – auch so flink und reibungslos abgekaspert wie ein Spielhallen-Knaller aus den 90ern. Die schnelle Befriedigung eines Mini-Heists belohnt euch mit Dopamin, das ihr euch gar nicht verdient habt. Vielleicht ist die Steam-Bewertung ja deswegen so positiv.
KI? Welche KI? Ach, diese KI!
Drei Schwierigkeitsgrade sollen Frust und Herausforderung gegeneinander aufwiegen. Sie bestimmen, wie viele Erfahrungspunkte ihr abstaubt und wie gut NPCs auf eure Einbrüche reagieren. Die Balance lässt dabei Einiges zu wünschen übrig. Auf den unteren beiden Niveaus glaubt man durchzuspazieren, weil sich sowohl Zivilisten als auch Polizisten herrlich an der Nase herumführen lassen.
Trotzdem darf man nicht nachlässig sein. Einerseits könnt ihr auf Hausfassaden herumspazieren, ohne gesehen zu werden, andererseits genügt es, beim Schlossknacken zu lange zu brauchen, um Nachbarn auf den Plan zu bringen. Sie reagieren sofort, wenn sie offene Türen und eingeschlagene Fenster entdecken.
Trotzdem wirken zwei Minuten verstecken in einer Mülltonne wie ein Universalrezept gegen eine Fahndung. Es sei denn, ihr spielt auf dem höchsten Level, in dem Fall verwandeln sich eure Verfolger nämlich in virtuelle Bluthunde. Aber auch hier herrscht Ambivalenz, denn erst dadurch wird der Spielablauf richtig spannend. Wie soll man sowas bewerten?
Vielleicht als Sandbox-Erlebnis, nach dem Motto „Spaß macht, was ihr aus dem System rausholt“? Ehrliche Antwort: Ja, so und nicht anders. Thief Simulator 2 schwankt so sehr zwischen netten Ansätzen und lächerlicher Ausführung hin und her, dass jegliches Vergnügen höchst subjektiv bleibt. Und man kann tatsächlich viel Spaß dabei haben, so lange man nicht zum Lachen in den Keller geht. Zugleich darf man aber auch nicht zu viel erwarten.
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