Special - Trouble im Spielparadies : Zornige Fanboys und hysterische Konsolenmuttis
Es ist tief in der Natur von uns Menschen verankert, dass wir unseren Nachwuchs vor allen Widrigkeiten des Lebens beschützen und ihn bis aufs Blut gegen Angriffe von außen verteidigen. Das ist gut und wichtig, denn die wehrlosen kleinen Geschöpfe brauchen unseren Schutz und unsere ständige Aufmerksamkeit. Auch im Bereich der Konsumgüter lässt sich dieses Verhalten mit einer Mischung aus Amüsement und Beschämen immer wieder beobachten. Ob nun die Konsole, das Smartphone oder der Lieblingspulli: Wir neigen dazu, die lieb gewonnenen Dinge des Alltags gegen Angriffe von „Andersgläubigen“ zu verteidigen. Der eine mehr, der andere weniger.
Wenn wir eine Geburt erleben, dann sind wir vollgepumpt mit einem irren Hormon-Cocktail und emotional völlig überladen. Der Neuankömmling wird beschnuppert, gestreichelt und von morgens bis abends geknuddelt. Wie durch Zauberhand verblasst die natürliche Schönheit aller anderen Babys und der eigene Nachwuchs überstrahlt alles. Für einige Zeitgenossen mag der Tag, an dem das neue Konsolensystem das Licht der Welt erblickt hat, ähnlich verrückte Gefühle hervorbringen. Zumindest lässt das befremdliche Verhalten mancher Fanboys darauf schließen.
Willkommen in der Krabbelgruppe
Als aufmerksamer Beobachter kann man dieses Verhalten auch bei einer Krabbelgruppe für echte kleine Menschen wahrnehmen. So manch eine Mutti scheint sich dort gezwungen zu fühlen, ihr süßes kleines Babylein peinlichst genau mit der Konkurrenz zu vergleichen. Wenn die latente Unruhe aber irgendwann in Hysterie ausartet, dann wird es unnötig anstrengend und es entsteht eine unangenehme Atmosphäre.
Ein vermeintliches Ass haben derart verunsicherte Eltern aber noch im Ärmel: Wenn sie bemerken, dass das Kind des Sitznachbarn etwas mehr Rechen-Power hat als das eigene, dann könnte man diesem doch wenigstens charakterliche Schwächen unterstellen. Sollte der Widersacher sein gemeines Gesicht aber partout nicht zeigen, so lässt sich bestimmt ein motorischer oder sprachlicher Mangel aufdecken. Irgendwas wird man schon finden!
Bis zu einem gewissen Grad ist dieser Mangel an Objektivität normal und auch charmant. Wäre dem nicht so, würden wohl einige Eltern schon bei ersten kleinen Problemchen mit ihrem Spross hadern und ihn noch während des Launch-Fensters gegen ein Konkurrenzmodell eintauschen. Sobald aber ein gesundes Maß der Unsachlichkeit überschritten wird, drohen Hektik und heftige Auseinandersetzungen.
Konsolenliebe
Auch im Kosmos der Videospiele tummeln sich verunsicherte und zankwütige Pseudo-Eltern und verteidigen das System ihrer Wahl, als ginge es um den Fortbestand der Menschheit. Sollte es jemand wagen, ihr Baby zu kritisieren, dann gipfelt die Verliebtheit in die Konsole oder den Hersteller oft in blindem „Trolltum“ und einer Hexenjagd auf alles Andersartige.
Dabei vergisst so mancher Wüterich, dass Kritik einen wertvollen Nutzen hat – sofern sie respektvoll vermittelt wird. Wir können Sony bewusst machen, dass wir nicht nur Indietitel und PS3-Remastereds spielen möchten. Ein Nintendo-Fan sollte äußern dürfen, dass wiederholt gebrochene Versprechen und ständige Verschiebungen heftig am Vertrauen der Kundschaft nagen.
Microsoft musste und sollte erfahren, dass Kinect, Always-on-Zwang, TV und Sport nicht ganz oben auch dem Wunschzettel der potenziellen Käufer standen. Ähnlich ist es auch bei der Erziehung meines Kindes. Hin und wieder muss ich eingreifen, wenn mein Sohnemann mal wieder eine vermeintlich schlaue Idee in die gefährliche Tat umsetzen will. Wenn wir etwas kritisieren, dann können wir damit Fehlentwicklungen entgegenwirken.
Konsolenkrieg
In unserer modernen Zeit der komfortablen Kommunikation über das Internet ist es aber leider üblich, dass Stimmungen jeglicher Art ungefiltert und ungebremst aufeinanderprallen. Trifft dann die akut gestresste PlayStation-Mami auf einen notorisch nörgelnden Xbox-Papi, dann ist im Forum die Hölle los. Die Einzigartigkeit und der individuelle Charme eines jeden Jünglings spielen längst keine Rolle mehr. In der virtuellen Krabbelgruppe fliegen in hohem Bogen die Schnuller durch die Gegend, während sich die völlig enthemmten Muttis die Wickeltaschen um die Ohren kloppen.
Ganz neu ist dieses Verhalten natürlich nicht. Wir sind emotionale Wesen und lassen uns immer wieder zu Taten verleiten, die unlogisch sind oder absurd erscheinen. Bezogen auf unsere Heimkonsole sollten wir uns öfter bewusst machen, dass das geliebte Kind eigentlich nur der Sohn eines Fließbands ist – und nicht unser eigener Nachwuchs. Dann würden wir – bei aller Begeisterung für die Zockerei – auch bemerken, dass massive Auseinandersetzungen wegen einer bestimmten Marke weit weniger wichtig sind als der respektvolle Umgang mit unserem Gegenüber. Denn trotz coolen Nicknames und großer Klappe steckt hinter jedem vermeintlichen Troll immer noch ein echter Mensch.
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