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Special - Vorbestellungen: Fluch oder Segen? : Re: Aw: Vorbestellungen

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Vorbestellungen gehören mittlerweile fest zum Videospielkosmos. Keine Neuankündigung eines Spiels taucht ohne eine direkte Aufforderung zur Vorbestellung im Internet auf. Mittlerweile geht der Trend so weit, dass Spiele speziell für den Vorbestellermarkt zugeschnitten werden. Es wird Zeit, den Trend zu hinterfragen und ein Gespräch mit mir selbst zu führen.

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Hi, Ilyass. Ich bin die dubiose Stimme in deinem Kopf. Mir fällt auf, dass du dich in letzter Zeit sehr intensiv mit dem Thema „Vorbestellungen“ beschäftigst. Ich weiß nicht, was du hast. Vorbestellungen sind super! Ich bekomme kostenlose Inhalte und das Spiel gleich zur Veröffentlichung.

Ich bin mir da nicht so sicher, dubiose Stimme in meinem Kopf. Das Konzept hinter Vorbestellungen ist vermutlich nicht ganz so cool, wie du vielleicht denkst. Wenn wir mal ehrlich sind, fördern Publisher und Einzelhändler dieses Konzept nur, um mehr Geld zu verdienen. Sie verkaufen dir zwar die Idee der Kundennähe, letzten Endes profitieren jedoch nur Publisher und Einzelhändler, nicht der Kunde – und das ist falsch.

Ruhig, Brauner. Ich finde es toll, dass Spiele direkt zu mir nach Hause geliefert werden. Dadurch bekomme ich meine favorisierten Titel, ohne Angst haben zu müssen, dass sie zum Start eventuell ausverkauft sein könnten.

Das ist ein komisches Argument. Wir leben im Jahr 2015, das Zeitalter der „Blockbuster“ ist vorbei – und das meine ich wörtlich. Sehen wir uns mal die Wortherkunft an. Zwar ist der genaue Ursprung unbekannt, dennoch ist man sich weitgehend einig, dass man Filme als „Blockbuster“ bezeichnete, die lange Schlangen vor den Kinokassen verursachten. Und zwar so lange Schlangen, dass sie um den gesamten Block reichten.

Hör mit dem Klugscheißen auf und komm zum Punkt.

Was ich dir damit sagen will: Heutzutage stehen wir nicht mehr unendlich lange für ein neues Assassin's Creed oder Grand Theft Auto an. Publisher und Einzelhändler wissen ganz genau, wie viele Exemplare eines Spiels sie zur Verfügung stellen müssen, um alle Kunden zu versorgen. Du wirst demnach in 99 Prozent der Fälle dein gewünschtes Spiel noch am Release-Tag kaufen können - ganz ohne Andrang und relativ entspannt. Deine Vorbestellung hat also in der Hinsicht keinen größeren Nutzen für dich. Anders als bei den Publishern.

Was für einen Nutzen soll denn meine Vorbestellung für die Publisher haben? Wenn mir ein Spiel gefällt, werde ich es auf jeden Fall kaufen. Egal ob via Vorbestellung oder nach der Veröffentlichung. Mein Geld bekommen die großen Firmen doch trotzdem.

Die Auswirkung deiner Vorbestellung solltest du aus wirtschaftlicher Sicht nicht unterschätzen. Zunächst einmal hilfst du Spiel X mit deinem Vorabkauf, in die oberen Plätze der Charts zu klettern. Das ist gerade in der ersten Verkaufswoche ein enorm wichtiger Punkt. Darüber hinaus bestellt man Spiele in der Regel weit vor den ersten Tests und Rezensionen vor. Damit weißt du im Grunde nicht, ob Spiel X deinen Erwartungen gerecht wird, ob es technisch unsauber ist oder es andere gravierende Makel hat. Du kaufst damit die Katze im Sack.

Dann bestelle ich Spiele eben dann vor, wenn die ersten Tests eingetroffen sind. Wenn mir die Eindrücke gefallen, habe ich nichts zu befürchten. Wo ist das Problem?

Embargos. Die sind mein Problem.

Embargos? Nie gehört.

Embargos sind bestimmte Vereinbarungen, die wir mit Publishern eingehen, um über ihr Spiel zu berichten. Das hat für uns den Vorteil, dass wir Titel meist vor der Veröffentlichung ausgiebig und in Ruhe testen können. Um das allerdings zu dürfen, müssen wir diese Abmachungen auch einhalten – dazu gehört das Datum der Berichterstattung. Der Publisher legt im Vorfeld für alle Publikationen, die ein Testmuster erhalten, einen Tag fest, an dem Redaktionen Tests veröffentlichen dürfen.

Das ist eigentlich toll. Damit wird sichergestellt, dass keine Redaktion durch ein Spiel hastet, nur um als Erster einen Artikel online zu stellen. Jeder kann sich bis zum vereinbarten Datum Zeit nehmen, um genügend Eindrücke zu sammeln und diese anschließend per Text oder Video an die Endkonsumenten weiter kommunizieren. Dadurch bekommen die Spiele-Fans bestenfalls qualitativ hochwertige Artikel und Videos und keinen lieblosen Blödsinn.

Okay. Embargos sind eigentlich cool. Aber?

Embargos sind cool – wenn Publisher sie nicht instrumentalisieren. Bei einigen Spielen fällt das Embargo kurz vor dem Release, manchmal sogar am selben Tag. Dadurch haben Konsumenten keine Chance, sich vorab über die Qualität des Spiels zu informieren. Einzige Indikatoren wären dann nur noch Previews, die auf unfertigen Versionen basieren, oder offizielles Material, das gerne geschönt wird.

Ein sehr gutes Beispiel ist das im vergangenen Jahr erschienene Assassin's Creed: Unity. Als Tester durfte ich mir den Titel einige Zeit vor der Veröffentlichung in Ruhe ansehen. Meinen Test durfte ich jedoch erst am 11. November 2014 um 18 Uhr veröffentlichen. An diesem Tag war Assassin's Creed: Unity in Amerika bereits erhältlich.

In Europa ist der Titel zwei Tage später erschienen. Damit Vorbesteller ihre Spiele rechtzeitig erhalten, verschicken Einzelhändler die Pakete einige Tage vor der Veröffentlichung. Im Falle von Assassin's Creed: Unity konnte ich Vorbesteller beispielsweise nicht vor der unsauberen Technik warnen, weil ihr Spiel schon längst unterwegs war. Mit solchen Praktiken versucht man schlicht und ergreifend die Presse auszuhebeln.

Presse aushebeln.“ Das hört sich für mich so an, als ob du Angst um deinen Job hast. Du willst doch nur nicht, dass dein Beruf wegrationalisiert wird! Lügenpresse!

Humbug. Mich nerven solche Praktiken, weil sie die gesamte Videospielwelt in ein schlechtes Licht rücken. Ich möchte meine Leser nicht erst informieren können, wenn es zu spät ist. Ich möchte auch keine Vorbesteller-DLCs ...

Moment. Jetzt beschwerst du dich, weil du dir im Vorfeld kostenlose Inhalte sichern kannst, die dein Spiel erweitern? Entspann dich mal.

Wenn der DLC und das Hauptspiel am selben Tag erscheinen, liegt die Vermutung nahe, dass der Zusatzinhalt nicht kostenlos ist, sondern vorher aus dem Hauptspiel entfernt wurde. Damit soll der Kunde zum Vorbestellen motiviert werden. Man zerstückelt Spiele, damit man die entfernten Inhalte als Vorbestellerbonus oder zusätzlichen DLC anbieten kann.

Vermutungen und Behauptungen kann ich auch aufstellen. Ich möchte Beispiele sehen.

Bekommst du: Mass Effect 3 hat seinen Protheaner-DLC schon am Tag der Veröffentlichung angeboten. Eine Story-Mission, die sich nahtlos in das Spiel integriert. Hier wird sehr schnell klar, dass die Mission vorher herausgeschnitten wurde, um sie als Download anzubieten. Zufälligerweise stand der Protheaner-DLC auch als Vorbestellerbonus zur Verfügung. Weitere Beispiele findest du mit Alien: Isolation, Evolve, Watch_Dogs, Grand Theft Auto und so weiter. Hier wurden Inhalte herausgeschnitten, um sie zum Start gesondert anzubieten.

Das ist doch alles Schnee von gestern. Hast du nichts Aktuelles?

Oh, das habe ich. Hast du auch so großen Bock auf Batman: Arkham Knight?

Klar! Hast du nicht die aktuellen Trailer gesehen? Sieht sehr geil aus und auch die Integration des Batmobils haben sie richtig gut hinbekommen. Kann es kaum erwarten.

Na, dann viel Glück, das Spiel zum Release mit all seinen zusätzlichen Inhalten zu bekommen. 

...

...

Holy. Shit.

Jep.

Das sind sieben bis acht verschiedene Pakete mit jeweils unterschiedlichen Inhalten!

Das ist das Ergebnis von Vorbestellungen. Das Geschäft ist mittlerweile so lukrativ, dass sich Publisher erlauben können, diverse Pakete mit jeweils verschiedenen Inhalten vom ersten Tag an anzubieten. Ob das Spiel damit zerstückelt wird und die Spieler gegebenenfalls doppelt zur Kasse gebeten werden, interessiert niemanden. Damit werden verdammt gute Spiele wie Batman, Evolve, GTA oder auch ein The Witcher III wegen wirtschaftlichen Eigensinns zu schlechteren Spielen gemacht.

Wait, what?! Hast du gerade The Witcher III runtergemacht? Jetzt bist du zu weit gegangen. CD Projekt RED ist ein toller und supersympathischer Entwickler. Dem Rollenspiel hat Gameswelt sogar die Höchstwertung gegeben!  Was stimmt mit dir nicht?

Easy, ich habe weder mit The Witcher III noch mit Entwickler CD Projekt RED ein Problem. Tatsächlich durfte ich das Rollenspiel ein wenig anspielen und finde, dass es fantastisch aussieht. Darüber hinaus war ich bereits beim polnischen Entwickler zu Gast und weiß ganz genau, was für coole Frauen und Männer da arbeiten. So toll das alles aber auch ist, man darf nicht die ersten Trailer vergessen, die man zum Spiel gesehen hat. Die sahen nämlich noch mal eine ganze Ecke besser aus als das fertige Spiel. Und das ist Fakt. 

Das ist Erbsenzählerei. Du hast selbst gesagt, dass das Spiel fantastisch aussieht. Warum musst du ein „Problem“ ansprechen, das für dich gar keins ist?

Für mich ist es in der Tat kein Problem. Grafik ist für mich nicht der wichtigste Faktor bei einem Spiel. Ich lege nicht einmal großen Wert auf eine adäquate Spiellänge, andere hingegen schon – und das ist der Punkt. Viele Spieler da draußen bezahlen Unsummen für neue Grafikkarten und Spiele-PCs. Diese Klientel will ein richtig, richtig schönes Spiel erleben. The Witcher III sieht, wie schon gesagt, fantastisch aus, aber nicht so gut wie in den ersten Trailern. Diese sahen wiederum nur so gut aus, um einen Hype zu generieren. Ihr sollt das Spiel im Video sehen und es bestenfalls sofort spielen wollen. Das Ergebnis: Vorbestellungen.

Na toll... Jetzt darf man sich nicht einmal auf ein Spiel freuen, ohne gleich ein schlechtes Gewissen zu haben.

Um Gottes Willen, nein. Man darf und soll sich bitte nach wie vor auf neue Spiele freuen. Mir machen die E3- und Gamescom-Wochen unheimlich viel Spaß – gerade wegen der Ankündigungen und des daraus entstehenden Hypes. Was ich damit sagen will: Man sollte sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen und ruhig etwas kritischer sein. Warte ab und bilde dir anhand von Tests und handfesten Informationen eine eigene Meinung, bevor du Spiel XY kaufst. Das heißt nicht, dass du dich nicht auf die Spiele freuen darfst.

Ich verstehe das alles ja und würde den Rat auch gerne befolgen. Kritischer sein bedeutet aber auch mehr bezahlen. Wenn ich auf Vorbestellungen verzichte, entgehen mir diverse Rabatte - und das Geld ist schließlich knapp.

Na ja, als Vorbesteller bekommst du meist einen Rabatt von lediglich zehn Prozent. Das sind bei einem 60-Euro-Spiel gerade einmal 6 Euro. Viele Spiele bekommst du ohnehin nach einigen Wochen oder Monaten deutlich günstiger. Und du kannst dir sicher sein, dass zu Batman: Arkham Knight eine GOTY-Deluxe-Special-Ultra-Edition erscheint, die über alle zusätzlichen Inhalte verfügt. Für 60 Euro. Bis dahin kannst du dir ja ein paar Spiele aus deiner Steam-Bibliothek ansehen.

Erinnere mich nicht an meine Steam-Bibliothek ...

Eben. Darin befinden sich wahrscheinlich immer noch eine Menge sehr gute ungespielte Titel, die du dir im letzten Sale gekauft hast.

Es ist nicht notwendig, jedes Spiel direkt zum Start zu besitzen. Lasst euch Zeit und spielt die fantastischen Titel, die ihr ohnehin schon besitzt. Spiel X können wir uns auch dann kaufen, wenn es bereits seit einigen Tagen oder Wochen erhältlich ist. Die Kollegen von Kotaku haben in einem sehr interessanten Artikel, der sich zum Teil ebenfalls mit Vorbestellungen beschäftigt, ein kluges Statement abgegeben, das ein tolles Schlusswort ist und ich gerne weitergeben möchte: „Hört auf Geld für Versprechungen zu bezahlen und fangt an Videospiele zu kaufen.“

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