Special - Hört auf, Spiele so früh anzukündigen! : Keine Macht dem Hype!
Spieleankündigungen ein halbes Jahrzehnt im Voraus? Schluss damit! Vom von langer Hand aufgebauten Hype-Train voller falscher Versprechungen und überzogener Erwartungshaltung, die letzten Endes nicht erfüllt wird, hat niemand etwas. Unser Redakteur Matze wünscht sich, dass Spiele endlich erst wieder angekündigt werden, wenn sie so gut wie fertig sind.
Was haben Spiele wie Final Fantasy VII Remake, Cyberpunk 2077, Bayonetta 3 und The Outlast Trials gemein? Sie alle wurden viele, viele Jahre angekündigt, bevor sie überhaupt erschienen sind. Manche von ihnen warten sogar noch heute darauf, gezockt zu werden. Seit Jahren lässt sich dieser fragwürdige Trend in der Branche beobachten, der vor allem Triple-A-Produktionen der Big-Player befallen hat.
Voreilige Ankündigungen dienen keinem anderen Zweck, als erfolgshungrige Shareholder bei Laune zu halten und werden manchmal sogar als Ablenkungsmanöver eingesetzt. Und wenn es die Spieler auch noch freut, nimmt man diesen nur schwer messbaren Nebeneffekt natürlich gerne mit. Das Problem ist: Solche Zu-früh-Kommer schaden sich selbst mehr als sie nutzen.
OMG, ein Logo!!
Mit Pauken und Trompeten wird nach einem kommerziell erfolgreichen Vorgänger ein Logo mit der fortlaufend nächsten Ziffer über die offiziellen Accounts der sozialen Medien in die Öffentlichkeit gespien. Ja, wir gucken euch an, The Elder Scrolls 6, Metroid Prime 4 und Dragon Quest XII! Besonders eifrige Marketing-Abteilungen dürfen sogar kurze Teaser-Trailer zusammenschnipseln, die meist nichts sind als animiertes Schauwerk rund um einen neuen Schriftzug. Das erfahrene Auge ahnt jedoch sofort, dass sie nichts mit dem finalen Spiel zu tun haben werden. Man denke nur daran, wie sehr sich das Remake zu Final Fantasy VII zwischen seiner Ankündigung 2015 und der Veröffentlichung 2020 verändert hat.
Obsidian Entertainment hat den Trend selbstreflektiert erkannt und mit seiner letztjährigen Ankündigung von The Outer Worlds 2 auf die Schippe genommen. Darin lässt eine tiefe Erzählerstimme die charmante Wahrheit sprechen: Der Hauptcharakter? Noch nicht entworfen! Die gezeigte Landschaft? Stammt gar nicht aus dem Spiel! Worum es gehen wird? Keine Ahnung! Aber The Outer Worlds 2 kommt! Gut zu wissen.
Einen Extremfall bildet das grandios gescheiterte Anthem. Hierfür wurden aufwändige Trailer produziert, noch bevor das eigentliche Spiel entstand. Wie nach dem katastrophalen Release 2019 ans Licht kam, war den Entwicklern während der Ankündigung zwei Jahre zuvor noch gar nicht klar, welche Art von Spiel Anthem eigentlich werden sollte. Das Team musste sich erst überlegen, wie es etwas erschaffen kann, das annähernd die Versprechungen des Ankündigungstrailers erfüllt. Hauptsache, die Spieler suhlten sich schon einmal im Hype der unbegrenzten Erkundungsfreiheit, die mit genialem Loot belohnt werden sollte, und platzierten idealerweise hoffnungsvoll ihre Vorbestellungen. Der Rest ist Geschichte. Und sie ist noch lange nicht zu Ende.
Stolz wie die Erbauer der Titanic kündigte das von The Witcher 3 erfolgsverwöhnte CD Projekt RED Cyberpunk 2077 acht (!) Jahre vor seiner Veröffentlichung an. Selbst dieser vermeintlich unsinkbare Luxusliner sollte, Überraschung, mit Volldampf gegen den Eisberg des Publikums krachen. Durch das Fernglas war die Katastrophe anhand einer besorgniserregend hohen Zahl an Last-Minute-Verschiebungen lange im Voraus zu erkennen. Cyberpunk 2077 wurde enthüllt, als es nicht mehr war als ein paar Konzeptzeichnungen. In welch unzulänglichem Zustand der Titel abgeliefert wurde, steht außer Frage. Vielleicht aber hätte das Team die Erwartungshaltung der Fans auf einem realistischen Niveau halten können, hätte man ihr weniger Zeit gegeben, sich überproportional aufzublähen?
Lose-Lose-Situationen
Von Vornherein zum Scheitern verurteilt sind aber auch Spiele, die angekündigt werden, um einem aktuellen mittelfristigen Trend nachzulaufen. Zombies? Kennt ihr noch? Vor einigen Jahren waren sie für die Spielebranche das, was Comic-Verfilmungen derzeit in der Kinolandschaft sind. Sie nerven, aber die Masse wirft ihnen das Geld entgegen. Dead Island 2 und State of Decay 3 bekamen hübsche CG-Trailer, die mit dem Spiel kaum etwas zu tun haben werden, und verschwanden anschließend in der Versenkung. Lediglich Dying Light 2 kehrte irgendwann zu den Lebenden zurück, war dem Zustand nach aber auch nicht mehr als eine wandelnde Leiche (hier geht's zum Test!). Inzwischen locken Untote kaum noch jemand hinter dem Sofa hervor. Positive Erfolgsaussichten für die verfrühten Spätzünder? Fraglich.
Die Entwickler tragen in der Regel ja nicht einmal Schuld. Es sind die Publisher, die um jeden Preis auf eine Bekanntgabe pochen und sich bei immer umfangreicheren Spielen, in deren Entstehungsprozess so viel mehr schiefgehen kann als früher, selbst unnötig unter Druck setzen. Ungeduldige Investoren und Spieler lassen keine endlosen Verschiebungen zu und so kommt es, wie es inzwischen leider viel zu oft kommt: Spiele werden vor ihrer vollen Reife “gepflückt”. Dass es dadurch zu unsäglichen Crunch-Zeiten mit all ihren negativen Effekten auf die Psyche der Schaffenden und natürlich auch das Produkt kommt, wollen wir an dieser Stelle nur anreißen.
Ein solches Verhalten führt in letzter Instanz immer öfter dazu, dass Spiele zu früh und damit unfertig veröffentlicht werden, einfach weil die Katze bereits aus dem Sack ist. Die Communitys greifen nach jedem Strohhalm, während Aktionäre mit Blick auf den Kurs unruhig werden. So entstehen Spiele wie das eingangs erwähnte Cyberpunk 2077, die schließlich auch noch am Ruf eines Studios kratzen oder ihn gar ruinieren. Verspieltes Vertrauen, das sich nur schwerlich wiederherstellen lässt.
PR-Finten
Manche Publisher gehen sogar so weit, die Hype-Sucht ihrer Fans auszunutzen, um aktuelle Unternehmensmissstände aus dem Rampenlicht zu schubsen. Meine Damen und Herren, wir präsentieren die PR-Finte: Heute wissen wir, dass Beyond Good & Evil 2 kaum fertiger ist als 2017 während der Neuankündigung. Seine Wirkung verfehlte der spektakuläre Trailer dennoch nicht. Wer hat im Angesicht des funkelnden Comebacks der totgeglaubten Marke nach all den Jahren noch über die drohende Übernahme Ubisofts durch Vivendi gesprochen? Und dass Overwatch 2 inmitten betrieblicher Skandale bei Activision Blizzard enthüllt wurde, obwohl es nichts, aber auch rein gar nichts zu zeigen gab, war sicher kein Zufall. Ablenkungsmanöver par excellence.
Wir sind zu sehr geneigt, uns von der nächsten glänzenden Neuheit blenden zu lassen. Da stellt sich die Frage, ob es uns überhaupt noch um Spiele geht. Wollen wir eigentlich nur noch in die nächste Phase der endlosen Vorfreude eintreten? Bekanntlich ist sie die schönste Freude, wenn auch eine realitätsfremde.
Der Fallout-4-Effekt
Glücklicherweise gibt es sie noch, die Gegenbeispiele. Erinnern wir uns an Fallout 4. Fans waren aus dem Häuschen, als Bethesda die Fortsetzung ankündigte. Und sogar noch besser, es sollte nur wenige Monate später in den Laufwerken rotieren. Auch so kann man Hype generieren, ganz ohne überteuerte Dauerwerbekampagnen, die sich gezwungen sehen, immer wieder denselben 30-Sekünder zu verwursten.
Nintendo ist in der Branche beinahe schon so etwas wie ein Einhorn. Big-N ist bekannt dafür, am laufenden Band merkwürdige Entscheidungen zu treffen. Was man den Japanern zugute halten muss, ist, dass sie im Großen und Ganzen ihrer Devise treu bleiben, nichts anzukündigen, was deutlich weiter als ein halbes Jahr in der Zukunft liegt. Im Frühjahr werden die Spiele bis Sommer angekündigt, Ende Sommer die Titel bis zum Weihnachtsgeschäft. Vielleicht noch ein vorweggegriffener Leckerbissen als Ausblick auf das Folgejahr. Und oft brütet Nintendo sogar jahrelang auf fertiggestellten, nicht bekannt gemachten Spielen, um sie zum richtigen Zeitpunkt der Öffentlichkeit zu präsentieren. Natürlich gibt es Ausnahmen. Gerade The Legend of Zelda hat inzwischen eine Historie, früh angekündigt, verschoben und schließlich zum Cross-Gen-Titel zu werden.
Viele denken bei diesem Thema mit Bezug auf Nintendo an Bayonetta 3 und Metroid Prime 4. Beide Spiele warf das Unternehmen im Launch-Jahr der Switch mit reinen Name-Dropping-Teasern in den Raum. Für Nintendo war das aber eine Ausnahmesituation. Das Unternehmen stand nach den vergraulten Core-Gamern der langjährigen Casual-Ära und der gefloppten Wii U am Scheideweg. Entweder man klotzt mit großen Namen und erzeugt Begeisterung für die neue Hardware oder man schwankt weitere Jahre auf dem Drahtseil.
Wenige Ausnahmen rechtfertigen ein solches Vorgehen aus unternehmerischer Sicht. Uns, den Spielern, nützt es überhaupt nichts, Jahre im Voraus auf den Hype-Train aufzuspringen und in den meisten Fällen an übersteigerten Erwartungen zu entgleisen. Entwickler auf der anderen Seite setzen sich unnötig unter Druck. Niemand gewinnt. Deswegen, liebe Publisher, liebe Gamer: Gebt dieser Art von fehlgeleitetem Hype keine Chance mehr.
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