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Special - Ein Plädoyer für kürzere Spiele : Bitte wieder Klasse statt Masse!

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    Open-World-Wahn, Endlos-DLCs, Kaugummi-Storys und Collectible-Wühlkisten. Videospiele mutieren seit Jahren zu kaum mehr zu bewältigenden Umfangsmonstern. Matze hat genug vom Größenwahn der Spielebranche und wünscht sich endlich wieder kürzere Spiele!

    Kennt ihr das? Ihr beginnt ein neues Spiel, auf das ihr monatelang hingefiebert habt. Nach einigen Stunden ist die Luft raus, der Reiz des Neuen verflogen und ihr schielt mit einem Auge schon auf das nächste Spiel. Der oft zitierte Pile of Shame wird höher und höher. Zumindest mir geht es in den letzten Jahren immer häufiger so, dass mir der Größenwahn der Videospielbranche über den Kopf wächst. Früher gab es kaum ein Spiel, dessen Abspann ich nicht gesehen habe, bei dem ich nicht alles daran setzte, überschaubare, aber signifikante Extras freizuschalten.

    Heute ist das anders. Während vor Jahren auch mal nach zehn Stunden durchgängig guter Unterhaltung Schluss sein durfte, ohne dass hitzige Diskussionen über das Preis/Leistungs-Verhältnis eines Spiels entbrannten, hat sich mit mit der Machbarkeit offener Welten ein Temperament manifestiert, das jedem Titel seine Daseinsberechtigung abspricht, dessen Abspann vor dem Erreichen von 60 Stunden Spielzeit über den Bildschirm läuft. Die Branche hat reagiert, indem sie ihre Produkte immer weiter aufblähte.

    Ob mit oder ohne Open World, gesammelt werden muss viel, egal, ob es die Investition der Zeit wert ist oder nicht. Belanglose Missionen streng nach Schablone reihen sich in Dutzenden aneinander und sollen die Spielzeit künstlich strecken. Schnell wird der erste von vier Story-DLCs hinterhergeschoben, noch ehe der zweite Monat seit Release verstrichen ist. Und ich stehe da, bin mittendrin und frage mich, wie, wann und vor allem warum ich das alles überhaupt spielen soll?

    Nur allzu oft habe ich in den letzten Jahren eine zeitliche Schallmauer festgestellt, nach denen meine Motivation weiterzuspielen rapide in den Keller rasselt. Nach etwa 30 Stunden muss ich mich bei den meisten Spielen zwingen, am Ball zu bleiben. Andernfalls verschwindet der Titel für sehr lange Zeit in der Versenkung. Das veränderte Mediennutzungsverhalten hat sicher dazu beigetragen. Second-Screen-Gewohnheiten malträtieren die Aufmerksamkeitsspanne. Manche mögen dieser Argumentation auch vorwerfen, aus der Perspektive eines in gewisser Weise verwöhnten Videospielredakteurs zu sprechen, der sich um Nachschub keine Gedanken zu machen braucht und vermutlich weit mehr Zeit vor der Konsole verbringt als der durchschnittliche Gamer. Da sind Ermüdungserscheinungen doch vorprogrammiert!

    Und natürlich ist es für viele eine ganz simple Kosten-Nutzen-Rechnung. Videospiele sind ein teures Luxusgut. Wer würde nicht das meiste aus seinem hart erarbeitetem Geld herausholen wollen? Erst jüngst verkündeten die Entwickler von Dying Light 2 stolz wie Marktschreier, dass es in ihrem Spiel genug für 500 Stunden zu tun gebe. Dabei frage ich mich ernsthaft, ob es Spieler gibt, die sich bei diesem fragwürdigen Versprechen die Lippen lecken. Mutet die prahlerische Aussage viel mehr wie ein satirischer - pardon - Schwanzvergleich an, der die Messlatte nur der Möglichkeit wegen höher zu legen versucht. Ganz kleinlaut wird ergänzt, dass die eigentliche Handlung nur für 20 Stunden beschäftigt. Wie substantiell die übrigen 480 Stunden sein können, darf jeder für sich mutmaßen.

    Quantität ist eben nicht dasselbe wie Qualität. Nun könnte ich von den guten alten Zeiten erzählen, als man sich wochenlang mit nur einem Spiel beschäftigte. Sicher, auch damals gab es reichlich Schrott, der nicht einmal seinen Budget-Preis auf dem Dauersitzplatz der Spiele-Pyramide wert war. Aber motivierten kurze und knackige Spiele von damals nicht bis zum Schluss? Fand man nicht auch ohne Achievements und in die Hunderte gehenden Sammelobjekte immer wieder neue Möglichkeiten, einen Titel zu genießen?

    Die Branche im Wandel

    Sicher, früher gab es kein Überangebot wie heute. Trotzdem faszinieren mich die frühen Tomb-Raider- oder Oddworld-Teile noch immer, nur um zwei Beispiele zu nennen. Nostalgie mag dabei eine Rolle spielen, doch in meinen Augen bieten sie auch im Jahr 2022 die optimale Länge, die einen Spannungsbogen ohne Durchhänger erst ermöglicht - und dazu eine angenehme Menge eingestreuter Geheimnisse. Technische Limitierungen machten aus der Not nicht bloß eine Tugend, sondern regelrecht eine Kunst, eine Geschichte nicht länger als erforderlich zu erzählen, eine Idee nicht totzureiten. Linearität, wie sie damals meist die Regel war, erzeugt heute oft Animositäten, ist richtig angewandt aber sehr förderlich. “Open World” und “Sandbox” sind mittlerweile die Schlagworte, die viele Käufer locken.

    Das angesprochene Überangebot bringt mich ans andere Ende des Produkts Videospiel. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Videospielbranche in den letzten Jahren vom Hobby für eine relative kleine Bevölkerungsgruppe hin zu einer gewaltigen Industrie entwickelt hat. Selbstverständlich wurden Videospiele auch vor 20 bis 25 Jahren nicht aus gutem Menschenwillen heraus entwickelt, doch die Etablierung in der breiten Gesellschaft hat zu einer Überkommerzialisierung geführt, ja, die Branche in eine Industrie verwandelt, in der nicht länger das fertige Produkt, sondern glückliche Investoren die erste Geige spielen. Zumindest in weiten Teilen.

    Inzwischen krankt die Branche an denselben Leiden wie Hollywood. Immer größer, immer spektakulärer. Hauptsache viel Effekthascherei, aber wenig Substanz. Und am besten ein Produkt basierend auf einer etablierten Marke. Und so wurden auch wir Gamer umerzogen. Nicht wenige denken, nur ein riesiges (böse Zungen würden “aufgeblähtes” sagen) Spiel sei ein Gutes.

    Metroid Dread - Sounds of the Dread Trailer

    Hier könnt ihr einen von zwei neuen Trailer aus der Direct-Konferenz zu Metroid Dread sehen.

    Kind aus dieser Erziehung ist eine Diskussionskultur, in der hochwertigen, aber im Kern kurzen Spielen mit hohem Wiederspielwert die Berechtigung entzogen wird, ein Vollpreistitel zu sein. Eines der jüngeren Opfer dieser verqueren Denkweise ist Metroid Dread. Weil es ein 2D-Spiel ist, weil es günstigere Indie-Metroidvanias gibt, weil es je nach Fähigkeiten in unter zehn Stunden durchgespielt werden kann. Ja, einfach weil es nicht dem als Standard verkauften Größenwahn entspricht. Das Problem ist nicht, dass Metroid Dread zu teuer ist. Das Problem ist, dass Großproduktionen noch immer zum beinahe selben Preis verkauft werden wie Spiele von vor rund zehn Jahren. Der preisliche Vorstoß in Sphären von rund 70 Euro mit der Current-Gen stieß bereits vielen sauer auf. Und so bleibt es bei Mikrotransaktionen und DLCs im Überfluss, um die Produktionskosten zu decken.

    Ironischerweise sind es dieselben Stimmen, die sich über unfertige, verbuggte Releases echauffieren, die die Entwickler einfach nicht mehr fristgerecht in hinreichender Qualität stemmen können. Immer größere, komplexere Spiele verschlingen Millionen, lassen nicht selten fast ein halbes Jahrzehnt auf sich warten, sofern sie nicht das Schicksal der Entwicklungshölle ereilt, und scheitern nicht selten am eigenen Anspruch. Das kann auch aus Sicht eines Studios nicht befriedigend sein.

    Mut zur Kürze

    Und so ist die gesamte Branche nach und nach dem Größenwahn verfallen. Die ganze Branche? Nein! Die von unbeugsamen Entwicklern mit Herzblut entwickelten modernen Gegenentwürfe hören nicht auf, Widerstand zu leisten. Sie sind selten, aber es gibt sie noch: Spiele, die ihre Kernidee zu Ende führen, bevor sie verschleißt. Gris und DARQ beschäftigen kaum länger als sechs Stunden, hinterlassen aber mit prägnanten Mechaniken und einfühlsamen Erlebnisbildern einen bleibenden Eindruck, regen vielleicht sogar zum Nachdenken an. Auch das ein wenig längere Kreativitätsfeuerwerk It Takes Two darf sich erhobenen Hauptes in diese Aufzählung einreihen.

    Wenn es nach mir ginge, dürfte diese Art von Spiel die Regel statt der Ausnahme sein. Titel, die mangels schierer Masse nicht in Arbeit ausarten, sondern kurze, prägnante Abenteuer bieten, die in Erinnerung bleiben und zu Ende sind, wenn es am schönsten ist.

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