Test - Sniper Elite 4 : Geduld ist eine Tugend
- PS4
Scharfschütze ist mit Sicherheit kein Traumberuf. Tagelang warten, dabei immer aufmerksam sein und dann nach einem (hoffentlich) gut platzierten Schuss wieder abdampfen. Nicht nur ein langweiliger Job im Namen der Skrupellosigkeit, sondern auch ein ganz schön feiger, selbst wenn die Softwareschmiede Rebellion ihn in Sniper Elite 4 ganz anders darstellt. Hier mutiert das Superauge gar zur Ein-Mann-Armee im Zweiten Weltkrieg. Eine spannende und ziemlich schwierige Angelegenheit.
(PS4-Pro-Screenshot aus unserer Testversion)
Wertvolle Geschichtslektionen sollte niemand von Rebellion erwarten. Die inzwischen vierte Mär rund um den Supersoldaten Karl Fairburne interpretiert die Geschehnisse des Jahres 1943 frei und ungeniert, zeichnet klare Feindbilder ohne Schnörkel und spinnt im Detail ein Seemannsgarn, bei dem sogar Käpt'n Blaubär rot werden würde. Karl stürmt nämlich ganz alleine Brennpunkte Italiens, wo sich Horden von Nazis und italienischen Faschisten breitgemacht haben. Ganze acht Szenarien stehen auf dem Plan, die allesamt so ausladend groß ausfallen, dass ihr mehrere Stunden zu knabbern habt.
Der Alltag eines Scharfschützen wird dabei in allen Facetten glorifiziert. Karl versteckt sich in Büschen, schleicht umher, markiert per Feldstecher Feinde und ballert sie dann wie Hühner von der Stange. Zumindest solange er nicht entdeckt wird, denn die hier vorgestellten Supernazis haben ein derart ausgefeiltes Gehör, dass sie bereits nach drei Schüssen exakt triangulieren und die Position des Schützen auf den Meter genau bestimmen. Klappt sogar, wenn unser amerikanischer Held einen Lastwagen in 40 Meter Entfernung mit einem Schuss auf den Benzintank in die Luft jagt.
(PS4-Pro-Screenshots aus unserer Testversion)
Regeln lernen, Regeln anwenden
Ihr merkt es womöglich längst am Tonfall dieses Reviews: Sniper Elite 4 kann man nicht ernst nehmen. Die Szenarien mögen spannend gestaltet, grafisch oft beeindruckend und spielerisch deutlich abwechslungsreicher sein als im Vorgänger, aber manchmal schüttelt man vor lauter Ungläubigkeit nur noch den Kopf - sei es wegen der überspitzten Szenarien oder wegen solcher Kleinigkeiten wie der lachhaften Synchronisation gegnerischer Soldaten, die unabhängig von euren Spracheinstellungen stets Deutsch oder Italienisch sprechen, aber den Tonfall einer He-Man-Hörspielkassette aus den 80ern an den Tag legen. Manchmal sogar mit künstlich keuchender Stimme: „Halheht dhie Khöpfhe unthen“. Au weia!
Zum Glück hat die angekratzte Glaubwürdigkeit des Spiels nichts mehr mit der früher oft verlachten künstlichen Intelligenz der gegnerischen Soldaten zu tun. Ganz und gar nicht, denn egal ob deutsche oder italienische Faschisten, in Sniper Elite 4 sind sie allesamt sehr wachsam, verstecken sich sofort, wenn einer ihrer Kameraden über den Jordan geht, und verfügen obendrein über ausgesprochen sensible Lausch- und Sichtorgane. Selbst in den unteren Schwierigkeitsgraden kommt ihr schnell in die Bredouille, wenn ihr euch in der offen angelegten Landschaft allzu frei bewegt.
Allerdings gehört Übertreibung leider des Öfteren zum Stil des Spiels. Einerseits legt Karl im Alleingang bei Tageslicht ganze Heerscharen einer besetzen Insel um, andererseits erkennt ein gegnerischer Scharfschütze den Helden aus 200 Meter Entfernung in der Dämmerung, obwohl er sich auf einer höher gelegenen Plattform flach auf den Bauch legt. Die Turbinen von vorbeifliegenden Flugzeugen sind laut genug, um einen Schuss zu übertönen, ebenso wie die Klänge der Unwucht eines Otto-Motors. Aber wenn ein Treibstofflager mit ohrenbetäubendem Getöse in die Luft fliegt, kennt jeder Nazi im Umkreis von drei Kilometern sofort die exakte Position des Schützen – quasi als ob er leuchtende Kleidung trüge.
Nun denn – es geht nur um ein Spiel und nicht um beißende Realität. Alle Verhaltensregeln sind erlernbar, und wenn man mal weiß, wie alle Soldaten ticken, dann macht die Anwendung diverser Kniffe ungemein viel Spaß. Karl darf nämlich nicht nur mit diversen Scharfschützengewehren hantieren, sondern auch mit vielen Fallen und Werkzeugen. Durchsucht ihr sämtliche Lager, Zelte und umgenieteten Gegner, so findet ihr garantiert nützliche Helferlein wie Teller- und Stolperminen, Handgranaten, Maschinenpistolen, Revolver und mehr.
Da jede Spielstufe mehrere Haupt-und Nebenziele bietet und zugleich eine Unzahl an Sammelgegenständen offeriert, gibt es keinen eindeutigen oder unfehlbaren Lösungsweg. Viele Wege führen nach Rom. Hier wartet kein Schlauchlevel, keine unausweichliche Passage und kein unüberwindbares Hindernis auf euch. Allerdings ist der Schwierigkeitsgrad stellenweise nicht von schlechten Eltern und die Aufteilung der Spielstufen leider nicht immer geglückt.
Das erste Level knackt ihr selbst als Anfänger in rund zwei Stunden, ohne auf eine übermäßig schwere Szene zu treffen, aber schon das Dorf in Level zwei ist derart dicht von Soldaten bevölkert und in seiner Architektur derart eng, dass der Frustpegel schnell in die Höhe steigt. Dagegen wirken Spielstufe drei und vier (von insgesamt acht) wie Urlaub. Die Behauptung, dass Blutdruck und Herzfrequenz beim Spieler ebenso schnell steigen wie beim virtuellen Hauptdarsteller, ist in gewissen Szenen keine Floskel.
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