Test - Resident Evil - Netflix-Serie : So schlecht wie alle sagen?
Wenn Resident Evil als Videospiel-Serie eines bewiesen hat, dann dass das Thema Zombie-Horror endlos ausgeschöpft werden kann, sofern man es nur ein wenig variiert. Bemerkenswerte Charaktere, bedeutungsschwangere Umgebungen, grausame Schicksalsschläge – solche Dinge halten Capcoms Dauerbrenner am Laufen. Das müsste doch auch mit den Interpretationen anderer Medien funktionieren, oder nicht?
Netflix kämpft mit einer enttäuschenden Erfolgsrate, wenn es um Serien geht. Zumindest im Heimatland USA. Hier in Deutschland bekommen wir normalerweise wenig davon mit, weil aktiv gesiebt wird, um das Angebot so attraktiv wie möglich aussehen zu lassen. Zwar schaffen es auch stetig ein paar mäßig erfolgreiche Serien zu uns, aber die Namen der erfolgreichsten Formate überstrahlen das Mittelmaß.
Stranger Things, Ozark, Drive to Survive, Castlevania, Squid Game, Big Mouth, Das Damengambit und The Witcher sind zugkräftig genug für die inzwischen stattliche Monatsgebühr von 17,99 € des UHD-Abos, und so würden wir Europäer vermutlich nichts von den Shitstorms des US-Publikums mitbekommen, wenn sie auf Internet-Plattformen wie Reddit nicht regelmäßig breitgetreten werden würden. Beispielsweise wenn Serien trotz guter Resonanz beim Publikum ohne Abschluss abgesetzt werden (siehe The Dark Crystal: Age Of Resistance) oder wenn sehr gute Formate aufgrund falscher Nostalgie und politisch motivierter Kontroversen in die Mühlen aufeinanderprallender Fangruppen geraten (siehe Masters of the Universe: Revelation).
Aktuell ist der Shitstorm gegenüber der neuen Resident-Evil-Serie in aller Munde. 3,7 Sterne auf IMDB – das ist eine Ansage. Für uns Europäer umso mehr, denn normalerweise würde eine Serie mit derart schlechter Resonanz wohl nie den Sprung in unsere Empfehlungslisten schaffen. Wie es nun doch dazu kam, ist unklar. Sah die Netflix-interne Redaktion mehr in dem Format als das Publikum, oder verließ man sich einfach nur auf den großen Namen der Videospielserie und dachte „Augen zu und durch“? Ist die teils harsche (und in einigen Kommentaren auf Twitter und Co. womöglich rassistisch motivierte) Kritik überhaupt gerechtfertigt?
Nun, am Produktionswert gibt es ganz bestimmt nichts auszusetzen, denn technisches Know-how garantiert dem audiovisuellen Horror ordentlich Schlagkraft. In knackscharfem 4K samt Dolby-Vision-Kontrasten wirken die Hautfetzen der hirnlosen Zombies (hier Zeros genannt) nicht minder abstoßend wie jene besonders ekligen Soundeffekte, die in feinstem Dolby Atmos aus der Anlage schallen. Wackelige Kameras, gruselige POV-Shots und geschickt eingesetzte Spezialeffekte zeugen von handwerklichem Können. Klar, kleine Kritikpunkte gibt es immer: Szenen, die zu dunkel sind, als dass man die Handlungen der Darsteller erkennt, übertriebene akustische Glitschigkeit unspektakulärer Vorgänge wie etwa das Aufdecken einer Bisswunde … sowas eben.
Im Horrorgenre ist das gang und gäbe. Dunkle Szenen mit ungewissem Ablauf erhöhen die Spannung, während übertriebene Soundeffekte all das tragen müssen, was an Sinneseindrücken auf der Strecke bleibt. Eine blutige Zombie-Bisswunde muss vor suppendem Eiter stinken, auch ohne Geruchs-Fernseher. Gelingt das im Großen und Ganzen? Oh ja. Dass die insgesamt fünf Regisseure*innen, die das Konzept im Auftrag von Constantin Film zusammensetzen, hier und da über das Ziel hinausschießen, war angesichts der filmischen Vergangenheit der Marke Resident Evil zu erwarten.
Das Charakter-Dilemma
Ist das nicht schon die halbe Miete für einen actiongeladenen Horror-Stoff? Durchaus, aber ob das Glas halb voll oder halb leer ist, hängt vom Zuschauer ab. Er muss mitgerissen werden, damit die harte Action ihn emotional tangiert. Nur schafft es die neue Serie nicht, das geneigte Publikum abzuholen. Nicht einmal fünf Minuten lang.
Erstaunlich, angesichts des Handlungsrahmens. Bildsprache, Grundbeziehungen und Entwicklungsspielraum wirken auf den ersten Blick nicht schlechter als bei anderen Zombie-Formaten wie etwa The Walking Dead oder Black Summer. Im Gegenteil, Resident Evil lässt sogar gehörigen Platz für diverse Entwicklungs- und Eskalationsstufen, da die Handlung parallel in zwei Zeitlinien erzählt wird. Eine zeigt das Geschehen im Jahr 2022, drei Monate vor der T-Virus-Apokalypse, die andere beleuchtet das Geschehen 14 Jahre später, im Jahr 2036. Bedauerlich nur, dass keine der beiden Erzählstränge dicht genug gewoben ist, um die Führung zu übernehmen. Sie sollen sich ergänzen und nacheinander mithilfe diverser Enthüllungen schocken. Keine von beiden bekommt es auch nur ansatzweise auf die Kette.
In beiden Zeitlinien dreht sich alles um eine Frau namens Jade Wesker (Tamara Smart / Ella Balinska) und ihre Schwester Billie (Adeline Rudolph). Sie sind die Töchter von Albert Wesker – ein bekannter Name, der in diesem Reboot allerdings eine andere Position einnimmt als in den bisherigen Interpretationen. Er entwickelt für den Umbrella-Konzern eine Droge namens Joy, die vornehmlich (aber nicht ausschließlich) psychisch kranken Patienten Lebensfreude zurückbringen soll. Da sie allerdings auf dem T-Virus basiert, führt Überdosierung zu aggressiven Verhaltensmustern.
Kennern des Basismaterials ist völlig klar, welche Gefahr hinter der Droge steckt, zumal das Ausmaß des Unglücks durch ständige Schwenks ins Jahr 2036 immerfort vorweggenommen wird. Dort erforscht Jade Wesker das Verhalten der Zeros und gerät durch eine unglücklich verlaufende Verteidigung gegen eine Zombiehorde in die Einflussgebiete mehrere Fraktionen, die im Überlebenskampf unterschiedliche Philosophien verfolgen. Als einziger Aufhänger für den zentralen Handlungsstrang der ersten Zeitlinie dient also das Wo und Wie der Ereignisse, während der Zukunftsstrang eine dystopische Survival-Story inmitten der zerrütteten Verhältnisse mehrerer Gesellschaftsgruppen aufdröselt.
Der Startpunkt mag zwar in beiden Zeitlinien etwas dick aufgetragen rüberkommen, vermittelt aber genau dadurch einen vielversprechenden Handlungsbogen. Man erfährt, wie die Wesker-Familie, bestehend aus den beiden Schwestern und dem chronisch überarbeiteten Vater Albert, in eine Siedlung namens New Raccoon City zieht. Ein ganz und gar artifizielles Konstrukt aus blütenweißen Gebäuden und Saubermann-Charme, angereichert mit einer Weißbrotgesellschaft, wie sie nicht einmal eine hinterwäldlerische texanische Provinz hervorbringen könnte. Den Kontrast rückt die dunkle Hautfarbe der Hauptdarsteller allzu deutlich in den Vordergrund. Sie sind Störobjekte in einer sterilen Umgebung.
So plump dieses Stilmittel für den visuellen Erzählstrang auch sein mag, er rechtfertigt keineswegs rassistische Kommentare gegenüber der Besetzung und auch keine Wokeness-Vorwürfe angesichts der lesbischen Umbrella-Chefin. Denn Albert Wesker mag kein echter Antagonist sein, aber er trägt doch einen großen Teil der Schuld am aufkommenden Unglück, ebenso wie seine Vorgesetzte.
Natürlich nicht allein. Es ist die alte Mär von Habsucht und Kontrolle seitens des Megakonzerns Umbrella, die ziemlich plump gegen das Gewissen zweier Teenager ausgespielt wird - unnötigerweise im Rahmen endloser Belanglosigkeiten, die sinnlos übertrieben werden. Akzeptanzprobleme in der neuen Schule, falsche Anschuldigungen aufgrund früherer Ereignisse und weitere Teenie-Problemchen werden endlos ausgewalzt, bevor ein Biss durch einen infizierten Hund einen echten Bruch zwischen den Schwestern hervorruft. Seifenopern-Stoff, der einer echten Horror-Actionserie nicht würdig ist. Insofern ist sachliche Kritik am seichten Drehbuch durchaus berechtigt.
Zu wenig Biss
Das wäre alles nicht so schlimm, wenn die Serie nicht so aufgeblasen wäre. Viele der Beziehungs-verstrickungen, sei es in der Schule oder unter den beiden Geschwistern, hätten in der ersten Folge abgeschlossen und später mit entsprechenden Konsequenzen ausgeschmückt werden können. Aber sie nehmen im Laufe der Serie so viel Platz ein, dass man sich zuweilen fragt, wann es denn mal zur Sache geht. Zombies? Licker? Nervenzerfetzende Spannung im Überlebenskampf? Nicht einmal der Zukunfts-Handlungsstrang fährt viel davon auf.
Es wird zwar gelegentlich mit großem Getöse geballert, um die Ressourcenüberlegenheit und Regimegewalt des Umbrella-Konzerns zu demonstrieren, aber abseits einiger weniger (durchaus gut verwirklichter) Zombie-Passagen mit vielen Extra-Darstellern entsteht weder Spannung, noch findet eine Entwicklung statt.
Wo bleibt die Nähe? Die Aussicht des potenziellen Todes, die selbst den Zuschauern auf dem Sofa in den Nacken haucht? Wo ist die Erkenntnis aus allen Opfern?
Es dauert bis zur sechsten von acht Folgen, bis Jade tatsächlich eine Veränderung im Verhalten der Zombies entdeckt. In der Zwischenzeit rennt sie von einer Fraktion zur nächsten und stets ihrer Schwester davon, die als Gegenspielerin eine genauso kurze wie schwache Rolle einnimmt, dass man als Zuschauer keine Partei ergreift. Was geradezu grotesk ist, denn im Laufe der Serie versuchen die Drehbuchschreiber in beiden Zeitlinien immer und immer wieder dasselbe Gesinnungs-Dilemma zu erzeugen, als ob sie einem mit einem stumpfen Hammer gegen die Schädeldecke schlagen würden.
Die einzige Figur, die tatsächlich emotionale Regungen erzeugt, ist Albert Wesker. Was aber auch am Talent seines Darstellers Lance Reddick liegt. Im ganzen Ensemble wirkt er als einziger authentisch. Ganz im Gegenteil zu Evelyn Marcus, gespielt von Paola Núñez, die als Alberts Chef derart flach die herrschsüchtige Geldgräberin abgibt, dass man bei jedem ihrer Auftritte die Augen verdreht. Ja, das Drehbuch gibt nicht viel her, dennoch wäre mehr gegangen.
Man könnte nun argumentieren, dass Milla Yovovich genauso wenig in die Riege der besten Charakterdarsteller einging. Nur waren die Resident-Evil-Kinofilme aus einem anderen Holz geschnitzt. Sie waren Camp-Feste der hartnäckigen Art, die sich zwar nicht hundertprozentig an den Spiel-Vorlagen orientierten, aber deren Hang zum Hochstapeln und Überzeichnen übernahmen. Alice war die Ausgeburt einer Superheldin. Völlig overpowered, mit an den Haaren herbeigezogenen Charaktereigenschaften. Nichts für Feingeister, aber in gewisser Weise so mies, dass es wieder unterhaltsam war. Warum nicht? Im jüngsten Resident-Evil-Spiel nimmt man es mit einer Drei-Meter-Frau auf, die sich als blutsaugender Vampir entpuppt. Das ist auch nicht gerade Shakespeare.
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