Test - Octopath Traveler : Retro-Magie oder billige Zaubertricks?
- NSw
Der Name Square Enix wird im Rollenspielsektor in erster Linie mit Final Fantasy in Verbindung gebracht. Abseits davon sind es vor allem die kleinen Titel wie Bravely Default, die voller Magie stecken. Aber ist das auch bei Octopath Traveler der Fall? Oder täuscht das JRPG mit seinem einzigartigen Grafikstil über doppelte Böden und versteckte Spiegel hinweg? Wir haben uns lange mit dem Spiel beschäftigt und ebenso lange gebraucht, um ihm in die Karten sehen zu können.
Es gibt Rollenspiele, die holen einen von Anfang an wie ein Senkrechtstarter ab. Octopath Traveler gehört ganz klar nicht dazu. Das charmante Retro-Rollenspiel von Square Enix lässt sich eher mit einem alten Doppeldecker vergleichen. Gemächlicher Start, turbolenter Steigflug und die Hoffnung, dass die alte Klapperkiste noch zu den Kunststückchen der erhofften Flugshow fähig ist.
Wie unschwer herauszulesen ist, hat uns Octopath Traveler nicht von Anfang an überzeugt. Dabei fing alles so gut an: Wir können mit einem von acht Charakteren unser Abenteuer beginnen und entscheiden uns für den Apotheker Alfyn. Das kleine JRPG schafft es schnell, mit seinem ausgefallenen Stilmix aus Pixelgrafik und 3-D-Elementen, “HD-2D”, so die griffige Wortschöpfung, grandioser englischer Vertonung und einem der besten Soundtracks, die wir in den letzten Jahren hören durften, ein regelrecht magisches Gefühl herzustellen, als würde man wieder als Kind mit dem SNES-Pad viel zu nah vor dem Fernseher sitzen, während es in der Wohnung nach der Leibspeise, gekocht von Muttern, duftet.
Die Reflexionen und Wassereffekte sind in diesem außergewöhnlichen Stilmischmasch besonders hervorzuheben, weil sie in dem Kästchenhaufen gekonnt moderne Akzente setzen. Die Welt von Octopath Traveler wirkt unaufdringlich melancholisch, geht gelegentlich aber zu spendabel mit Unschärfeeffekten um, die den charmanten Gesamteindruck wortwörtlich trüben. Doch nach den ersten Stunden fragen wir uns, ob diese Magie lediglich durch billige Zaubertricks erkauft sind, um uns von dem ganz und gar nicht zauberhaften Gerüst hinter der Illusion abzulenken.
Murmeltiertag mal acht
Alfyn, unser Startcharakter war als Kind schwer krank, wurde jedoch von einem umherwandernden Mann geheilt, ohne dass dieser eine Entlohnung dafür erwartete. Das inspirierte den Jungen dazu, es ihm gleichzutun, Apotheker zu werden und ebenfalls Menschen zu helfen, auch wenn sie es sich nicht leisten können. Das ist der Startschuss für eines von acht Abenteuern, von denen Octopath Traveler seinen Namen erhält. Zugegeben hat Square Enix hier nicht unbedingt den Innovationszauberstab geschwungen, doch die Geschichte hat Charme und fängt gemächlich an. Einige lange Dialoge, ein erstes Wandern über die Map mit Zufallskämpfen und schließlich ein Bosskampf.
So läuft das erste Kapitel von Alfyn ganz ohne Details zur Handlung ab. Ein Blick auf die Karte verrät, dass Kapitel 2 am anderen Ende der Map liegt und der empfohlene Level über 20 liegt. Also machen wir uns auf den Weg dorthin, praktisch, dass der nächste Charakter, Primrose, gleich auf dem Weg dorthin liegt. Vom Flussland geht es in die Wüste, die Temperaturen steigen, die Zufallskampfrate bleibt auf einem erträglichen Niveau. Der Weg zur nächsten Stadt ist ziemlich geradlinig, nur hin und wieder führt eine Abzweigung zu einer Truhe mit einem Heilgegenstand.
In Primroses Zwangsheimat angekommen finden wir die junge Tänzerin auf der Straße. Eine grüne Sprechblase signalisiert, dass hier die Geschichte fortgesetzt wird. Wollen wir ihren Handlungsstrang beginnen, sind wir gezwungen, eine Weile im Ort zu bleiben. Schnell wird klar: Die Handlungsstränge einiger Charaktere sind interessanter geschrieben als andere. Schwupp, auf einmal spielt Alfyn keine Rolle mehr. Fast das komplette Kapitel wird so gespielt, als hätten wir Octopath Traveler mit Primrose gestartet. Erst ab einem bestimmten Zeitpunkt fällt ein Satz wie “Oh, du willst mir helfen? Danke!” Das war’s.
Fortan kämpfen Alfyn und Primrose zusammen, doch abgesehen von dieser beiläufigen Bemerkung und den Kämpfen findet nicht die geringste Interaktion zwischen den Figuren statt. Das fühlt sich merkwürdig und unnatürlich an. Die Handlung des neuen Charakters lässt sich wieder nur sehr weit entfernt und mit einem deutlich höheren Level fortsetzen. Also weiter zur nächsten Stadt.
Spätestens nach der Reise zum vierten Reisenden erhärtet sich der Eindruck, dass die Abschnitte zwischen den Städten zwar optisch schön anzusehen sind, doch im Grunde immer aus unbelebten Labyrinthen mit zwei bis vier sehr kurzen Abzweigungen zu einer Schatztruhe bestehen. Lediglich das Thema ändert sich von Mal zu Mal. Die Städte sind sehr viel abwechslungsreicher, oft pompös, doch auch sie wirken trotz NPCs recht leblos, nahezu kulissenhaft. Nur wenig regt sich. Und es bleibt dabei: Neue Stadt, neuer Charakter, wir fangen wieder bei null an, niemand im Team nimmt bis auf einen Satz Notiz von den anderen.
Allmählich wissen wir schon gar nicht mehr, was die Beweggründe der einzelnen Persönlichkeiten eigentlich sind, auf ein Ziel auf der Map zuzusteuern, da wir uns wie in einer Zeitschleife fühlen, in der einige Parameter ausgetauscht werden. Das Gerüst bleibt: Dialoge, Laufabschnitt mit Zufallskämpfen, Boss. Zum Glück gibt es ein detailliertes Journal, in dem sich die Eckpunkte der Story noch einmal in Erinnerung rufen lassen.
Acht Individuen
Natürlich sind die Städte, in die uns die Reise immer wieder führt, nicht vollkommen ausgestorben. Zwar lässt sich mit den meisten NPCs überhaupt nicht interagieren, da sie nur wie Pappaufsteller herumstehen. Mit anderen wiederum könnt ihr nicht nur sprechen, sondern auch interagieren.
Alfyn kann sich etwa nach dem Weg erkundigen, um verborgene Objekte in der Nähe zu finden oder Preisnachlässe zu erhalten. Primrose verführt NPCs, die sich ihr im Kampf anschließen. Ex-Ritter Olberic dagegen kann sich duellieren, um ein paar extra EP einzuheimsen. Der Dieb Therion bestiehlt seine Opfer, Händlerin Tressa startet Feilschgeschäfte. Viele dieser Wegeaktionen können auch scheitern, was nach einigen Fehlschlägen euren Ruf in der Stadt verschlechtert. Die Folge: Wegeaktionen mit Bewohnern sind blockiert, bis ihr eure Reputation im Gasthaus gegen ein höheres Entgelt wiederherstellt.
Orange Sprechblasen markieren eine Nebenquest. Diese sind zum Glück eher rar gesät, da wir den roten Faden sonst wahrscheinlich vollkommen verlieren würden. Denn Nebenquests binden euch eure Ziele nicht auf die Nase. Oft trifft man die zugehörige Person nur zufällig, während man in ganz anderer Sache unterwegs ist.
Anstrengender Start, aber dann...
So monoton das Prozedere mit jedem neuen Charakter ist, spätestens ab Kapitel 2 wissen wir die Freiheit zu schätzen, zu jedem beliebigen Zeitpunkt ein neues Team-Mitglied aufzunehmen. Nur so schafft es Octopath Traveler, die Formel der Story-Kapitel aufzulockern. Durch die spärliche Interaktion untereinander fühlt sich dieser Aufnahmeritus trotzdem zu jedem Zeitpunkt recht losgelöst und undynamisch an.
Nach den ersten zwei Kapiteln stellen sich dann auch endlich, man hätte es kaum mehr für möglich gehalten, Gespräche zwischen den Hauptfiguren ein. Es dauerte immerhin “nur” ein paar Stunden, bis sie mal den Mund aufbekommen. Genannt wird das “Reisegeplänkel”, mehr sind die optional durchlesbaren Unterhaltungen häufig auch nicht. In den durch ihre Optionalität abgekapselten Unterhaltungen diskutieren zwei Figuren einen Gegenstand oder die Herangehensweise einer Aufgabe im aktuellen Kapitel. Was anfangs sehr selten passiert, häuft sich mit fortschreitender Story und allmählich kommt so etwas wie eine Teamdynamik auf.
Bravely lässt grüßen
Bis es soweit ist, müssen wir durch Kämpfe dafür sorgen, dass die acht Protagonisten überhaupt etwas miteinander anstellen. Die Auseinandersetzungen mit Gegnern kommen im Gegensatz zur Handlung sehr viel schneller in Fahrt und haben sich an den richtigen Stellen vom System aus Bravely Default inspirieren lassen. Kein Wunder, ein Teil des Entwicklerteams war an beiden Bravely-Spielen beteiligt.
Octopath Traveler verwendet ein rundenbasiertes Kampfsystem, das im positiven Sinne kaum altmodischer ausfallen könnte. Pro Runde, in der eine Aktion ohne Boost ausgeführt wird, lassen sich bis zu fünf Boost-Punkte ansparen. Sie lassen sich in beliebiger Zahl bis drei einlösen und haben es in sich. Physische Angriffe werden stärker und entsprechend der Zahl eingelöster Punkte mehrfach hintereinander ausgeführt. Elementare Angriffe dagegen werden dadurch lediglich stärker, was auch nur einen einfachen Abzug vom Schwächeschild des Gegners zur Folge hat. Nennenswerten Schaden teilen wir nämlich nur aus, wenn wir die Schwächen des Feindes herausgefunden haben.
Angriffe mit bestimmten Waffen oder Elementen senken den Wert des gegnerischen Schilds. Ist diese Zahl niedergerungen, bricht der Schild. Das ist der ideale Zeitpunkt, um die stärksten Angriffe auf maximaler Boost-Stufe zu entfesseln. In Bravely Default musstet ihr euch noch entscheiden, ob ihr Punkte ansparen oder sofort angreifen wollt. Insofern ist das aktuelle System angenehm gestrafft.
Wir haben jedoch lange gebraucht, um zu bemerken, dass der einzige Hinweis auf den Gesundheitszustand des Gegners die Schriftfarbe seines Namens ist, der noch dazu nur beim Angriff zu sehen ist. Bis dahin tappten wir im Dunkeln, wie effektiv unsere Attacken überhaupt sind. Später erlaubt eine spezielle Zusatzklasse, durch ihre Analysefähigkeit einen kurzen Blick auf die Lebenspunkte des Ziels zu werfen.
Neue Fähigkeiten lernen eure Charaktere nicht wie üblich an Zauberläden oder durch Levelaufstieg. Neben Gold und Erfahrung sammelt ihr am Ende einer Auseinandersetzung auch sogenannte Laufbahnpunkte, die in beliebiger Reihenfolge in einen Pool aus Skills investiert werden können. Damit bleibt es allein uns überlassen, ob wir unserer Klerikern lieber erst mehr Heil- oder Angriffszauber beibringen.
Wie schlägt sich die PC-Version?
Für mich war Octopath Traveler vor einem Jahr auf der Switch ein zweischneidiges Schwert. Während es optisch und akustisch ein Charmebolzen von einem Spiel ist, ist es nach wie vor über die (vielen) ersten Stunden hinweg erschreckend redundant und undynamisch. Das ändert der PC-Port selbstverständlich nicht. Auf dem heimischen Rechner läuft Octopatch Traveler erwartungsgemäß mangels Hardware-Hunger butterweich und hat nichts von seiner Magie eingebüßt. Wer das JRPG nun nachholt, dem kann ich nur dazu raten, die Zähne zusammenzubeißen und sich durchzubeißen. Es wird definitiv besser!
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