Test - Gears 5 : Einzelspieler-Test: Bombastisch, anders, gut
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Willkommen im Land Testosteronia, in dem selbst Frauen dazu neigen, sich der plumpen, groben Gesprächskultur klotziger Machos hinzugeben. Große Knarren, große Rüstungen, große Schw…ärme tougher Problemlöser. Man(n) braucht sie eben, denn die Locust sind zurück, und sie sind drauf und dran, die wenigen Bastionen geordneter Zivilisation, die sich in den Jahren nach dem Krieg gegen die Locust etabliert haben, in Schutt und Asche zu legen.
Gears 5 setzt somit genau dort an, wo der Vorgänger endete. Aber der neueste Ableger der Deckungs-Shooter-Serie überrascht mit einigen Verfeinerungen. Bitte beachtet, dass wir vorerst nur die Kampagne bewerten. Wir liefern den Text zum Multiplayer-Teil nach, sobald wir ihn unter realistischen Bedingungen einschätzen können.
Es mag eine altmodische Darstellung typischer Männlichkeitsprahlerei sein, aber in Zeiten von „Me too“ und anderen durchaus notwendigen weiblich gestalteten Gesellschaftseinflüssen ist sie angenehm direkt und unverblümt. Der Start der Kampagne von Gears 5 zelebriert geradezu das Gehabe muskelbepackter Machos, die furchtlos und brutal „das Richtige“ tun und dabei doch auf die Schnauze fallen, weil das Richtige manchmal zu einseitig ist. Dass sie sich dann vor weiblichen Führungspersonen verantworten müssen, entspricht dem Zeitgeist und entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Doch Gears 5 vollzieht schon kurz nach dem einleitenden Kapitel eine erzählerische Wendung. Verflochtene Verhältnisse unter den Darstellern, schockierende Flashbacks und ein Umschwung des Fokus von der Fenix-Familie auf die einzige weibliche Ballerheldin Kate fühlen sich ungewohnt, aber willkommen an. Gears mit einer komplexen Handlung? Nah, das wäre eine Übertreibung. Aber man merkt, dass The Coalition die Kritik am Vorgänger ernst genommen hat. Es gibt mehr Tiefgang, mehr Vielfalt, und sogar einen Hauch mehr Lore.
Irgendwie anders
Eine Überraschung, die nicht bei der Handlung Halt macht. Alles an Gears 5 ist irgendwie anders, auch wenn es sich im Kern noch immer wie der gute alte Deckungs-Schlauchlevel-Shooter anfühlt, der einst auf der Xbox 360 Furore machte. Das altbekannte Arsenal ist schließlich genauso mit von der Partie wie das berühmte Deckungssystem. Über weite Strecken hinweg bekommen Gears-Fans genau das, was sie erwarten, nämlich knallharte Baller-Action in Third-Person-Perspektive.
Und doch wird man nach kurzer Spielzeit das Gefühl nicht los, dass die Entwickler von The Coalition unbedingt einen Hauch Uncharted und einen Schuss The Last of Us in das sonst leicht einseitige Geballer einflechten wollten. Katastrophen und unglückliche Ereignisse verändern in wohldosierten Schüben sowohl die Umgebung als auch die Zusammensetzung der Heldenriege. Es bleibt keine Zeit, sich an einen emotionalen oder physischen Zustand zu gewöhnen.
Nicht, dass Gears of War zuvor unspektakulär gewesen wäre. Genau wegen des Spektakels, wegen des grafischen Bombasts, war es zuvor oft nötig, das Spielfeld in offensichtliche Schlauchlevel mit gescripteten Events zu quetschen. Diese Schlauchlevel und Scriptevents gibt es noch immer in Gears 5, aber sie sind etwas freizügiger und sie bieten mehr Material. Es lohnt sich endlich, die optisch ansehnliche Umgebung genauer unter die Lupe zu nehmen.
Früher suchte man höchstens nach ein paar Collectibles wie etwa Cog-Tags. In Gears 5 hat man dagegen öfter die freie Wahl, mit welchem Arsenal man den Locust den Hintern aufreißen möchte – Waffendepots sei Dank. Gears 5 fühlt sich dadurch ein wenig taktischer an als zuvor. Noch dazu lässt sich der schwebende Begleitroboter Jack nun mithilfe herumliegender Komponenten verbessern, sodass er nicht mehr nur passive Hilfe leistet oder als verlängerter Arm bei der Munitionssuche dient.
Jack mutiert beinahe zu einem vollwertigen Mitglied der Kampftruppe, kann Gegner auf Kommando blenden, Sprengkörper legen und Apparaturen aktivieren, die Gegnern Schaden zufügen. Allerdings nicht von Anfang an. Erst durch das Sammeln und Installieren herumliegender Technik-Komponenten, die mal besser und mal schlechter versteckt wurden, wächst Jack zu einem unverzichtbaren Sidekick heran, der im Online-Koop-Gameplay (für insgesamt drei Teilnehmer Cross-Plattform) sogar von einem menschlichen Spieler gesteuert werden kann.
Schon diese kleinen, aber feinen Änderungen am Spielsystem bereichern Gears 5 durch mehr Abwechslung. Vorbei die Zeit, in der man von einem Grafikschlauch zum nächsten hetzte und nichts weiter tat, als eine Horde Locust nach der anderen über den Haufen zu ballern oder sie per Kettensägenbajonett in zwei mundgerechte blutige Häppchen zu sägen. Nun wird geforscht, hier eine Apparatur bedient, da ein Upgrade eingesammelt, woanders der Weg freigeräumt, der Handlung gefolgt und Nebenmissionen erledigt.
Oder – und das ist unbestritten die größte Neuerung – man erforscht offene Gebiete mit Kompass, frei zuteilbaren Wegpunkten und allem Pipapo. Nein, es sind keine ausladend großen Areale, wie man sie in Open-World-Szenarien findet, aber wenn man etwa in der Mitte des Spiels mithilfe eines Segelschlittens eine schneebedeckte Bergkuppe oder eine ausgetrocknete Wüste auskundschaftet, hat man wirklich das Gefühl, keinen typischen Gears-of-War-Einheitsbrei abzunudeln. Zum ersten Mal in der Geschichte der Serie ist ein stiller Moment wie dieser nicht als rein stilistische Ruhe vor dem Sturm zu verstehen. Das ist eine echte Entwicklung. Und das Herumdüsen mit dem Schlitten macht auch noch richtig Spaß!
Ein grafischer Überflieger
Hoch anzurechnen sei The Coalition, dass der grafische Genuss dabei nicht zu kurz kommt. Die Welt von Gears 5 sieht schöner aus als je zuvor. Farbkräftiger mit satten HDR-Kontrasten, architektonisch deutlich organischer, belebter und glaubwürdiger. Dass die Xbox One X diese Pracht in 4K bei 60 FPS darstellen kann, grenzt an ein Wunder – wobei wir durchaus kleinere Slowdowns beobachten konnten, wenn auch nicht oft. Wie flüssig und butterweich das alles im Vergleich zu den Vorgängern rüberkommt, merkt man stets, wenn von den cineastischen Zwischensequenzen, die in 30 FPS laufen, zu interaktiven Abschnitten umgeblendet wird.
Nun, wo gehobelt wird, fallen Spähne, und so entdecken Sachkundige neben ein paar eher schwachen Arealen (siehe der Wüstenabschnitt) auch ein paar Kompromisse, die den grafischen Fortschritt überhaupt erst ermöglichen. Die Kaskaden der Schatten wurden im Vergleich zum Vorgänger ein wenig vorgezogen, ebenso wie die Detaillevel-Grenze und die Texturauflösung für nebensächliche Objekte. Die Shader für Hochglanz-Oberflächen arbeiten einen Hauch grober als zuvor, und die Blätter von Pflanzen müssen nun komplett auf Glanz durch Echtzeit-Lichteinfall verzichten. Bei manchen Blättern ist der Glanz vorab auf die Textur gezeichnet, bei anderen ist die Oberfläche matt, was leider nicht besonders schön aussieht, aber im Rahmen der restlichen Grafikpracht kaum ins Gewicht fällt.
Ein Teil des grafischen Fortschritts geht womöglich mit der Abkehr von der Games-For-Windows-Basis einher. Dies ermöglichte den Grafikern, die unterschiedlichen Versionen von Gears 5 unabhängig voneinander zu optimieren. Noch dazu war dadurch die Kompilierung einer rein auf DX11 basierenden Version möglich, die auf Steam erhältlich ist. Wer auf DX12 verzichten kann und dem ungeliebten Windows Store aus dem Weg gehen möchte, hat nun also eine Alternative. Wer auf die Play-Anywhere-Funktion zurückgreifen möchte, kommt aber um den Handelsplatz von Microsoft nicht herum.
Leider hat aber auch die PC-Version ein paar Macken. Neben den üblichen Wehwehchen wie etwa ständigen Unterbrechungen der Sound-Übertragung bei Verwendung des Joypads als Sound-Interface gibt es auch Verbindungsprobleme beim Sprach-Chat zwischen Konsole und PC. Das ist nichts Neues, weil die Xbox-Anbindung auf Seiten von Windows 10 seit jeher spinnt. Vermeidbar wären allerdings unerklärliche Memory-Overflow-Anfälle, in denen das Bild für wenige Millisekunden einfriert, was immer dann passiert, wenn der Grafikspeicher aus allen Nähten platzt. Bei der von uns verwendeten Grafikkarte waren 8 GB Video-RAM quasi ständig bis zum Anschlag belegt, was wahrscheinlich dem optionalen Hi-Res-Texturpaket zuzuschreiben ist. In allen anderen Belangen gibt sich Gears 5 hingegen auch mit relativ schwacher Hardware zufrieden.
Update: Im Folgenden wie versprochen der Test zum Gears 5 Multiplayer-Part
Die Mehrspieler-Modi
Bei allem Lob für die Kampagne ist es bedauerlich, dass die Mehrspielervarianten derzeit noch unter einigen Bugs leiden, die den Spielfluss mal mehr und mal weniger behindern. Am vergangenen Wochenende gab es etliche Verbindungsprobleme mit halbleeren Lobbys und Abbrüchen mitten im Match. Das hat sich inzwischen gelegt. Andere Macken nicht. Darunter etwa ein Bug, der das Haupt-Hud verschwinden lässt. Ohne Fadenkreuz, Munitionsanzeige und Quick-Reload-Balken zu spielen, ist mehr als mühselig.
Hoffentlich bekommt The Coalition das bald in den Griff, denn das verdirbt die Stimmung in den ansonsten gut ausgearbeiteten und unterhaltsam differenzierten Spielmodi, derer es drei gibt. Nun, genaugenommen sogar vier, wenn man die Koop-Kampagne für drei Spieler mitzählt, die wir schon im ersten Teil dieses Tests dargelegt haben.
Die drei reinen Multiplayer-Kategorien laufen unter den Namen Versus, Escape und Horde, wobei nur Versus dem Titel entsprechend Schießereien gegeneinander zulässt. In Escape und Horde tritt man im Team gegen die KI an. Und selbst diese Aussage stimmt nicht hundertprozentig, denn auch im Versus-Modus mit all seinen Sub-Varianten gibt es einen Sub-Modus, in dem man zusammen gegen die Künstliche Intelligenz kämpft.
Mehr von allem
Grundsätzlich bleibt es beim altbekannten, aber weiterhin gut balancierten Gunplay mit vielen Deckungsmöglichkeiten in auffällig rechtwinklig angelegten Arenen und diversen Waffen, deren Attribute den taktischen Schlachtverlauf bestimmen. Starke Wummen bringen immer einen Nachteil mit, sind also entweder langsam beim Nachladen beziehungsweise in der Feuerrate oder haben eine schlecht einschätzbare ballistische Flugbahn.
Schwächere Waffen feuern dagegen schnell und sind in der Regel präziser. Außerdem bringt die Auswahl der Wumme taktische Vorteile bei Nah-und Fernkampf. Siehe beispielsweise der berühmte Gnasher. Dieses Schrotgewehr streut gut und hat eine mordsmäßige Durchschlagskraft, ist aber nur auf geschätzte fünf Meter wirklich effektiv. So weit, so bekannt. Gears 5 bedient sich allerdings weiterer Stilmittel, die für mehr Varianz und Abwechslung sorgen. Darunter eine ganze Latte Spielmodi mit Modifikationen, die mal geringfügig ausfallen und mal das komplette Regelwerk auf den Kopf stellen.
Arcade ist die typische Team-Deathmatch-Variante, wie man sie aus vielen anderen Spielen kennt. Alternative Spielmodi wie etwa Warzone, Dodgeball, Guardian oder Execution verlangen die komplette Eliminierung der Gegnertruppe innerhalb eines Zeitlimits oder im Rahmen modifizierter Respawn-Regeln. Guardian bestimmt beispielsweise einen Gruppenführer. Beseitigt man ihn, können seine Teammitglieder nach einem Ableben nicht mehr aufs Spielfeld zurückkehren.
King of the Hill, Domination und dessen Extrem-Variante Escalation verlagern das Spielziel vom reinen Abmurksen der Gegner auf das Halten von Territorien. Arms Race verlangt hingegen die Verwendung aller 13 verfügbaren Waffen in einem Best-of-Three-Turnus. Das ist eine Menge Holz, wobei die einfach Arcade-Deathmatch-Variante bislang die beliebteste ist.
Wer gezielt nach anderen Spielmodi sucht, muss entweder auf gut Glück bei der Abstimmung nach einem Match hoffen oder in ein eigens erstelltes Match einsteigen. Solche Custom-Matches lassen sich über viele Optionen nach eigenem Gutdünken abwandeln. Man kann Bots einflechten, die Auswahl der Waffen einschränken, Friendly Fire aktivieren und vieles mehr, inklusive dem Anlegen eigener Arenen-Hindernisse. Und das erfreulicherweise nicht nur für Online-Begegnungen, sondern auch für lokale Schlachten im heimischen Netzwerk.
An Spieloptionen fehlt es somit wahrlich nicht, wenn man sich gegenseitig ein Loch in den Wanst schießen möchte. Wer lieber der KI eins auf die Mütze geben will, versucht sich in den Modi Hive oder Horde. Letzterer dürfte den meisten schon aus den Vorgängern bekannt sein. Man besetzt eine Basis, die in regelmäßigen Abständen von KI-gesteuerten Locust heimgesucht wird. Ist eine Welle überstanden, besteht die Option, die Basis durch Verteidigungsanlagen aufzurüsten, was empfehlenswert ist, weil die Angriffskraft mit jeder weiteren Welle zunimmt.
Hive stellt hingegen ein kleines abgeschlossenes Szenario dar und kommt allen entgegen, die nur mal schnell eine halbe Stunde Gears fetzen wollen. Man startet inmitten eines Schwarmnests, platziert einen Sprengsatz und versucht, so schnell wie möglich zu entkommen. Erschwert wird das Unterfangen durch verwinkelte Räumlichkeiten, in denen man sich nicht auskennt, und wechselnde Maps, die von The Coalition in gewissen Abständen ausgetauscht werden. So bleibt dieser Modus immer frisch und fühlt sich unverbraucht an.
Helden-Potpourri
So unterschiedlich die Spielerlebnisse in den Multiplayer-Varianten sind, teilen sie doch ein paar Gemeinsamkeiten. Während der Einzelspielermodus von Gears 5 die Geschichte von Kate Diaz und ihr Verhältnis zum Swarm beleuchtet, bleiben die Mehrspieler-Modi abseits der Koop-Kampagne völlig kontextfrei. Um genau zu sein entsteht durch die Teilnahme einiger Darsteller ein etwas seltsamer, wenn auch keineswegs langweiliger Franchise-Mix.
Bevor man ein Match startet, darf man nämlich einen Avatar mit speziellen Eigenschaften wählen. Nimmt man den DLC dazu, sind es elf auf der Heldenseite der COG und acht aufseiten des Schwarms, was sich in zukünftigen Updates und Add-ons womöglich noch ändert, da noch Platz im Auswahlfeld bleibt. Zumal nicht jeder Spielmodus den Zugriff auf das komplette Raster an Helden und Schurken genehmigt.
Neben den Helden, die man aus der Kampagne kennt, zieren etwa Emilie aus Halo Reach oder Sarah Connor aus den Terminator-Filmen das Auswahl-Raster. Vorbesteller dürfen sogar das T-800-Endoskelett in die Schlacht führen. Jeder dieser Avatare kann als Klasse angesehen werden und verfügt somit über ein eigenes Startarsenal und taktische Finessen, was bereits im zentralen „Arcade“-Modus voll zur Geltung kommt. Diese Attribute sind aber nicht in Stein gemeißelt, denn in einigen Modi ist es möglich, nach einem Ableben Waffen nachzurüsten, beziehungsweise gegen eine Alternativwaffe auszutauschen.
Obwohl sich der Kern des Gunplay durch die Auswahl eines Charakters kaum ändert, kann eine dauerhafte Präferenz durchaus den Spaß an den Multiplayer-Modi erhöhen, insbesondere bei der Hatz nach den Nebenaufgaben, die Achievements und Statusbelohnungen freischalten. Die Mühe seitens The Coalition, so viele kleine Dauermotivations-Faktoren wie möglich einzuflechten, ist schwer zu übersehen. Gears 5 ist prädestiniert dazu, ein Dauerbrenner zu werden. Zumindest wenn die lästigen Bugs mal alle beseitigt wurden.
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