Special - Final Fantasy VII : Rückblick: Wie aus einem Nischentitel ein zeitloses Meisterwerk wurde
- PS4
Nach jahrelangem Flehen der Fans und einer schier endlosen Entwicklungszeit ist der langersehnte Augenblick endlich zum Greifen nah: Das Remake von Final Fantasy VII steht kurz vor der Veröffentlichung. Die jüngst im Playstation Store herausgegebene Demo bringt die Spannung auf den Siedepunkt, denn das Remake sieht verdammt gut aus, wirkt zeitgemäß und verspricht, alle hochgesteckten Erwartungen zu erfüllen - Erwartungen auf der Grundlage eines Klassikers aus dem Jahre 1997, an dem der Zahn der Zeit nicht spurlos vorbeiging. Und schon damals hatte Squares RPG mit einigen Macken zu kämpfen. Ein Rückblick.
Dass die Fans seit Ewigkeiten nach einem Final Fantasy VII Remake verlangen, kommt nicht von ungefähr. Wohlwollend mögen die Erinnerungen an Cloud, Tifa, Barret und den Rest der Heldenriege sein, an ergreifende Handlungspassagen, fesselnde Kampfrunden und pompöse Zauber. Nur deckt sich das nicht mehr mit der Spielerfahrung, wenn man den alten Schinken nach all den Jahren mal wieder im Original einlegt. Er wirkt träge, langatmig und ausufernd. Selbst die PC-Version, deren Ladezeiten im Vergleich zur Playstation-Urfassung minimal ausfallen, zurrt wegen ihrer Zufallskämpfe und ewig dauernden Aufrufzauber am Geduldsfaden. Von der klobigen Grafik und den starren Hintergründen ganz zu schweigen.
Nostalgie und priorisierte Details füllen oft die weißen Flecken auf der Erinnerungslandkarte, und so verwundert es nicht, dass Legenden Fakten verdrängen. Wusstet ihr zum Beispiel, dass Final Fantasy VII viele Fans der Saga nicht von Anfang an begeistern konnte? Dass es in den Augen einiger Rollenspiel-Kenner rückschrittlich wirkte? Zumindest bis zu einem bestimmten Punkt im Laufe des Spielgeschehens war das so. Interessanterweise waren es vor allem RPG-Neulinge, die Squares Rollenspiel-Epos augenblicklich ins Herz schlossen – ganz besonders die europäischen Genre-Einsteiger.
Nerd-RPG
Um das rückblickend zu verstehen, muss man sich die Spielelandschaft Mitte der 90er Jahre vor Augen halten. 1994 war Nintendo noch der unangefochtene Marktführer auf dem Spielesektor. Square hatte einen ordentlichen Beitrag dazu geleistet. Die Final-Fantasy-Serie gehörte seit den Tagen des 8-Bit-NES zu den Megasellern auf amerikanischem und japanischem Territorium. Nur Europäer und Australier schauten lange Zeit in die Röhre. Für durchschnittliche Englischkenntnisse war zu anspruchsvoll, für eine Übersetzung in alle europäischen Sprachen zu aufwändig und speichergewaltig – so urteilte seinerzeit Nintendos europäische Zweigstelle.
Nur ein einziges Final-Fantasy-Spiel schaffte es offiziell in unsere Gefilde, und das war nicht mal ein echtes. Final Fantasy Mystic Quest, hierzulande bekannt als Mystic Quest Legend für das Super Nintendo, verdarb Interessierten den Einstieg durch einen arg vereinfachten, völlig unterfordernden Spielablauf. Der beigelegte Spieleberater – eine voll bebilderte Hochglanz-Komplettlösung – war gar nicht nötig, um das Spiel innerhalb weniger Stunden zu knacken. Überdies schreckte die kindische Übersetzung ab. In der deutschen Fassung bekämpfte man Gegner mit albernen Namen wie „Terrorwindel“, deren furchterregende Angriffsmethoden mitunter aus Volksmusik bestanden.
Nur Enthusiasten, die von Tests damaliger Spielemagazine motiviert wurden, importierten sich für exorbitante D-Mark-Summen Superhits wie Final Fantasy 6 (in den USA als Teil 3 betitelt) oder Chrono Trigger, ernteten dafür allerdings viel Spott von ihren Freuden, die nicht verstanden, wie anspruchsvoll und ergreifend der Stoff war. Viele sahen nur winzige Kopffüßler-Charaktere und strategisches Menügeschubse ohne die Actionkomponente eines Zelda oder Secret of Mana.
Dabei bildeten Final Fantasy 5, Teil 6 und Chrono Trigger in vielerlei Hinsicht den vorläufigen Höhepunkt in der Entwicklung des J-RPG-Genres. Insbesondere wenn es um das Charaktermanagement und die Geschichte ging. Waffen mit geheimen Funktionen, verfluchte Schilde, die man mit viel Mühe zu Super-Items umfunktionierte, Rüstungsteile, die in Kombination mit gewissen anderen Komponenten sagenumwobene Kräfte freigaben … einfach nur irre! Oder wie wäre es mit Berufszweigen samt eigenem Talentbaum, Tag-Team-Angriffsmethoden, übertragbaren Talenten oder ausufernden Aufrufzaubern? Gab es alles schon gegen Ende der 16-Bit-Ära.
Jahre bevor europäische Durchschnittspieler Aeriths Tod betrauerten, rührten Ereignisse wie Celes Cheres misslungener Selbstmordversuch, Chronos Hinscheiden oder die Heldenhaftigkeit eines Froschkriegers RPG-Freunde zu Tränen. Es ging immer um ein hochtrabendes Epos mit komplexer Handlung und geradezu überwältigendem Soundtrack. Und doch befand man sich als Genießer solcher Spiele in der Freak-Zone. Selbst in den USA wurden Rollenspiele dieses Kalibers ausschließlich hartgesottenen Nerds zugeschrieben.
Japanophil
Das ist wenig wunderlich, da der blumige und gerne mal überaffektierte japanische Anime-Erzählstil zu dieser Zeit auf wenig Verständnis in der europäischen Kultur traf. In der Zeit vor der ersten Pokémon-Welle stellte noch Sailor Moon das bekannteste japanische Format dar, abgesehen von den speziell auf den westlichen Markt zugeschnittenen Anime-Versionen von Heidi oder Sindbad, die bereits in den 80ern im ZDF liefen. Filme und Film-Serien wie Akira, Ghost in the Shell oder 3 x 3 Eyes, fand man nur bei exotischen Importhändlern und in Videotheken.
Die Berührungsängste mit Anime-typischem Stoff wären mit hoher Wahrscheinlichkeit geblieben, wenn Sonys Verkaufsstrategie genauso konservativ gewesen wäre wie die auf Seiten Nintendos. Während Big N sich erst kurz vor der Jahrtausendwende traute, ein erwachseneres Publikum anzusprechen und weniger Stoff inhaltlich vorzukauen, feuerte Sony von Anfang an aus allen Rohren, wenn es um kulturelle Diversität ging. Und zwar weltweit und in allen denkbaren Facetten. Der Erfolg auf Seiten der Dritthersteller gab ihnen Recht.
Spiele wie Resident Evil, WipEout und Command & Conquer ebneten den Weg zu größerer Akzeptanz, stellten aber keinesfalls die Spitze des Eisbergs dar. Freaksoftware wie Densha de Go inklusive Eisenbahn-Cockpit-Controller? Nicht einmal Sega hätte so etwas Hochspezialisiertes an der internen Qualitätssicherung durchgewunken. Sony aber verlieh Publishern von Anfang an eine Unbedenklichkeitsbescheinigung: Haut raus, was ihr wollt!
Was das alles mit Final Fantasy 7 zu tun hat? Eine ganze Menge, denn Sonys siebter Streich war keineswegs als Selbstläufer prädestiniert. Die Entwicklung des Spiels begann zwar als 2D-RPG auf dem Super Nintendo (mitsamt einer Umstiegs-Option auf Big Ns Next-Gen-Konsole), doch mit dem jüngsten Durchbruch der 3D-Grafik wuchsen die Begehrlichkeiten der Produzenten schnell an.
Nachdem Nintendo zunächst sowohl CDs als Datenträger verschmähte, als auch drohte, Ultra-64-Lizenznehmern rückschrittliche Knebelverträge wie zu NES-Zeiten aufzubürden, suchte Square nach einer alternativen Vertriebsplattform. Selbst die Aussicht auf Nintendos 64-Bit-Diskettenlaufwerk bewertete man als unzureichend, weil die schwachen Kompressionsmethoden der Mittneunziger das Abenteuer arg kurz gestaltet hätten. Daher landete Square alsbald bei der brandneuen PlayStation.
Das nächste Mystic Quest Legend?
32-Bit-Technik und die Speichermassen der CD erfüllten alle Anforderungen, und doch spielte Square mit dem Feuer. 3-D-Grafik und vorgerenderte Intros waren der neueste Schrei, aber ein 70-Stunden-Rollenspiel daraus stricken? Mit so vielen Schauplätzen, dass es auf 3 CDs verteilt werden musste? Mit Ladezeiten, die den sowieso schon zeitfressenden Zufallskämpfen einen weiteren Geduldsfaktor aufbanden? Und dazu noch mit einer Handlung, die durch die Anime-typische Überaffektion Gefahr lief, westliche Durchschnittsspieler zu verschrecken? Ein unerhörtes und nicht zuletzt teures Wagnis auf der Konsole eines Branchen-Neulings, der es gerade erst mit den zwei großen Streithähnen des Markts aufgenommen hatte.
Square blieb gar keine andere Wahl, als nach Europa zu expandieren, selbst wenn die Sieben hinter dem Titel Verwirrung stiftete. Zur Minimierung des Risikos und zwecks Anpassung an die neue Technik sah sich Square gezwungen, die Final-Fantasy-Formel auf der niedrigsten denkbaren Ebene überschaubarer gestalten – um nicht zu sagen mainstreamtauglicher.
Heißt im Klartext: das einst gefeierte Party-Management wurde auf das Nötigste reduziert. Helme, Schilde und das zweite Accessoire flogen aus dem Raster, was die über Jahre hinweg etablierten Rüstungsoptionen der Serie halbierte, während die steuerbare Party auf drei Mitglieder zusammenschrumpfte.
Als Final-Fantasy-Veteranen davon Wind bekamen, wuchsen erstmals Zweifel. Würde Teil 7 zugunsten der West-Anbiederung zu einem zweiten Mystic Quest Legends verkommen? Hatte sich Square in seinem Präsentationswahnsinn verheddert und opferte dafür die Spieltiefe? Style over substance?
Die Genialität der Substanzen
Vielleicht ein bisschen, aber nicht halb so gravierend wie zunächst befürchtet, denn Final Fantasy 7 sollte viel von der verlorenen Komplexität durch ein interessantes, von Einsteigern erlernbares, modulares Talentsystem ausgleichen. Farbige Kugeln, genannt Materia (in der hiesigen Version hießen sie „Substanzen“), ließen sich mit der Ausrüstung koppeln, aber auch untereinander kombinieren, wodurch Helden einerseits simple Zaubersprüche lernten, bei geschicktem Einsatz aber auch gewitzte Spezialtalente anwenden konnten.
Während der Einstieg in das Materia-System noch etwas behäbig vonstattenging, damit blutige Anfänger damit zurechtkommen, genoss man im Endgame beinahe Narrenfreiheit. Mit den richtigen Kombinationen kopierte man endlos die Aktionen von Party-Mitgliedern, ohne Magiepunkte zu verschleudern, ließ gefallene Kameraden nicht nur wiederauferstehen, sondern sich im gleichen Atemzug auch noch mit einer Aufrufzauber-Parade rächen und vieles mehr.
Selbst die gefürchteten, WEAPON genannten Superbosse, die stärker waren als der Endboss Sephiroth, verloren dank ausgefuchster Strategien ihren Schrecken. Genaugenommen brauchte man bei korrekter Anwendung nicht einen einzigen Knopf auf dem Controller zu drücken, um einen Koloss wie Ruby WEAPON oder Emerald WEAPON in die Knie zu zwingen, sofern man das System verstand.
Schon seltsam, dass Final Fantasy 7 rückblickend genau das Gegenteil von dem vermittelt, was die eingefleischten Fans einst befürchteten. Niemand würde das Spiel heute noch als grafisch herausragend oder gar zeitlos bezeichnen. Am Materia-System mäkelt dagegen niemand herum. Und ganz ehrlich: richtig rund wirkte die Grafik schon damals nicht. So beeindruckend die vorgerenderten Hintergründe gewesen sein mögen, die klobigen, nicht texturierten Spielfiguren stachen schon damals heraus und erinnerten mit ihren groben Gestiken noch immer stark an die 16-Bit-Ära. Abseits einiger Videosequenzen hatten sie nicht einmal richtige Hände, sondern grobe Stümpfe am Ende des Arms. Aber vielleicht war es je genau dieser Kontrast zwischen der pompös aufgetischten Welt und den polygonarmen Spielfiguren, der Square weiterhin dazu brachte, sich beim erzählerischen Anteil auf spannende Wendungen und originelle Seitenstränge zu konzentrieren.
Der Sprung vom Steampunk-Intro zur überwältigenden Fantasy-Welt kam häppchenweise, sodass man sich nie vom Äußeren erschlagen fühlte. Im Gegenteil, je weiter man kam, desto öfter lockerten spaßige Nebenbeschäftigungen und humorvolle Einwürfe das Geschehen auf. Siehe Clouds Travestie-Episode, das kleine Theaterspiel oder Minispiele wie das Chocobo-Rennen. Die Spieldesigner bewiesen hier eine Menge Feingefühl.
Ein Remake mit Restrisiko
Wer weiß, wie viele Europäer damals Final Fantasy 7 bis zum Ende durchspielten. Fakt ist jedenfalls, dass sowohl das Substanzen-System als auch die ausufernde, aber verdaulich aufbereitete Handlung den Durchbruch in unseren Breitengraden garantierten. Final Fantasy mutierte wenige Wochen nach seiner Veröffentlichung vom Nerd-Game zum Mainstream-Phänomen, das selbst Gelegenheitsspieler kannten und liebten, obwohl man für einige Dinge einen reißfesten Geduldsfaden mitbringen musste.
Beispiele gefällig? Der mächtigste aller Aufrufzauber – Ritter der Tafelrunde – degradierte den Spieler über eine Minute lang zum Zuschauer. Unzählbare Grind-Schlachten waren vonnöten, um zumindest das allernötigste Set an Substanzen auf das Meisterlevel zu heben. Chocobos mussten herangezüchtet und trainiert werden, damit sie Wettrennen gewinnen und die Heldentruppe auf entlegene Inseln bringen … Solche ausufernden Aufgaben könnte Square heute niemandem mehr aufbürden, ohne endlose Shitstorms zu provozieren.
Genau dort liegen die Gefahren des Remakes. Es ist völlig klar, dass Final Fantasy 7 in seiner alten Form keine Chance hat, den Mainstream ein zweites Mal zu erreichen. Eine zu umfangreiche Anpassung könnte jedoch den Zauber des Originals verfälschen, wenn nicht sogar ihn unkenntlich machen. Dass allein die erste Episode des Remakes in Midgar spielt und den Umfang eines vollen RPGs haben soll, dürfte nicht jedem Fan von damals schmecken, schließlich ging es erst beim Verlassen der steampunkigen Stadt in allen Belangen richtig los. Es wird ein weiteres Mal darauf ankommen, dass Square die Geschichte ansprechend vermittelt und sie mithilfe kleiner Ablenkungs-Happen spannend hält.
Dabei ergeben sich aber auch neue Chancen. Werden wir diesmal mehr über Aerith erfahren, bevor sie stirbt? Erleben wir neue Facetten in der Freundschaft zwischen Tifa und Cloud? Erleben wir Clouds Werdegang zum Helden diesmal intensiver? Seinen Rollentausch, seine Zweifel, sein Dasein als isolierter Klon? Schon bald werden wir wissen, ob der Umbau geglückt ist.
Kommentarezum Artikel