Test - Astro Bot : Test: Ein Geniestreich, der Super Mario Konkurrenz macht
- PS5
Die neueste Kreation des Sony-eigenen Studios Asobi ist ein Antidepressivum in Software-Form. Wer hier keine gute Laune bekommt, geht zum Lachen in den Keller, denn ihr 3D-Hüpfspiel kombiniert eine Extraportion Kreativität mit erstaunlicher Physik, knallbunter Grafik sowie einem Ohrwurm-Soundtrack. Astro Bot katapultiert sich somit nicht nur in die Riege der heißesten Anwärter auf das Spiel des Jahres. Dieser Geniestreich sichert sich obendrein den Titel des besten Super-Mario-Konkurrenten seit Jahrzehnten!
Diese Aussage mag für manche einem Sakrileg gleichkommen. Doch ob ihr es wahrhaben wollt oder nicht: Super Mario hat endlich einen Konkurrenten, der ihm das Wasser reichen kann. Und das sogar in 3D, also in genau jener Spielumgebung, in der alle Konkurrenten, die zuvor am Thron des Schnauzbarts sägten, den Kürzeren zogen.
Quirlig, schnell und fröhlich
Wie haben die Entwickler diese Meisterleistung zustande gebracht? Zuallererst, indem sie ihre eigene Kreation nicht besonders ernst nahmen. Einerseits ist die Handlung so wunderbar blödsinnig, dass man gar anders kann, als mit vollem Vergnügen zu grinsen. Andererseits vermengt sie eine riesige Portion Playstation-Kult, die mit jeder voranschreitenden Spielminute das Ausmaß einer Selbstbeweihräucherung derart schamlos überschreitet, dass das Endergebnis epische Proportionen hervorbringt.
Angeberei in einem Videospiel? Oder eher eine überzuckerte Hommage? Wie man es auch bezeichnet, falsch angegangen kann das schnell in die Hose gehen. Zum Glück zwinkert euch Astro Bot dermaßen schelmisch zu, dass ihr mit Freude auch den größten Blödsinn akzeptiert. Blödsinn, der euch eimerweise ins Gehirn geschaufelt wird, wie schon das Intro verrät.
Held Astro und seine 300 (fast schon debil) fröhlichen Roboter-Freunde sind nämlich in einem PS5-Raumschiff unterwegs, als plötzlich der fiese Weltraumschurke Nebulax auftaucht. Um an die CPU des Sternengefährts heranzukommen, zerlegt das grüne Ufo-Monster es in seine Einzelteile, wodurch die kleinen Roboter auf einem verlassenen Wüstenplaneten abstürzen.
Der Aufprall ist so hart, dass alle 300 Bots auf über 50 Planeten und Asteroiden geschleudert werden, die sich auf sechs wundersame Galaxien verteilen. Euer Held fliegt nun mit einem Dual-Sense-Gleiter sämtliche Himmelskörper an, um abstrakte Hüpfspiel-Hindernisse zu meistern, Gegner mit Fäusten und einem Jetpack zu überlisten und unterwegs seine Freunde zu retten, damit sie gemeinsam das PS5-Mutterschiff reparieren können.
Ehrenrunde für 30 Jahre Playstation
Wie schon angedeutet stellt die Rettungsaktion mehr dar als nur einen simplen roten Faden für ein beliebiges Hüpfspiel. Es geht um die ultimative Hommage an die Marke Playstation und ein augenzwinkerndes Dankeschön an alle, die diesen Erfolg ermöglichten. Von den bis zu sieben verschollenen Bot-Freunden je Level besteht nämlich eine gewisse Anzahl aus Nachahmungen berühmter Playstation-Helden.
Darunter sind nicht nur Sonys hauseigene Charaktere wie etwa Kratos aus God of War oder Aloy aus der Horizon-Serie, die sogar eigene Themen-Planeten spendiert bekamen, auf denen man ihre Abenteuer in niedlicher Form neu erlebt. Auch etliche Hauptfiguren aus Third-Party-Spielen, die das Playstation-Erlebnis in den letzten 30 Jahren definierten, wurden mit einer Ehrung bedacht. Dazu gehören beispielsweise Solid Snake, Parappa the Rapper oder auch Kazuya Mishima.
Ebenfalls dabei sind längst vergessene Maskottchen vom Schlag eines Polygon-Man, Hüpfspiel-Pioniere wie der Robo-Hase aus Jumping Flash und liebgewonnene Marken, die inzwischen zu Microsoft gehören, etwa Spyro und Crash Bandicoot. Selbst FIFA alias EA Sports FC hat ein kleines Bot-Maskottchen. Besser kann Sony den 30. Geburtstag der Playstation gar nicht feiern, der am 3. Dezember dieses Jahres ansteht.
Angesichts 300 verschollener Bots können allerdings nur wenige Berühmtheiten sein. Das Gros besteht aus gesichtslosen Figuren, die ihr beim Durchstöbern der Planeten relativ einfach findet. Einmal entdeckt, genügt ein beherzter Tritt in den Hintern, um sie zurück zum Mutterschiff zu schicken.
Nein, das ist keine zotige Übertreibung. Die kleinen Bots bieten sogar ihren Hintern für einen saftigen Tritt an. Das ist zum Totlachen und keinesfalls ein Ausrutscher. Generell wurden sämtliche Bots mit so viel Schalk und Humor animiert, dass man ihnen einfach nur beim Fröhlichsein zuschauen möchte. Diese bedingungslos gute Laune erweist sich als höchst ansteckend.
Verrückte Level mit zeitlosem Design
Playstation-Prominenz wurde aufgrund des hohen Suchanreizes in den abstrakten Hüpfspiel-Welten versteckt. Ein wenig um die Ecke denken oder genauer hinschauen ist unerlässlich, wenn Ketten gesprengt, Umwege gefunden oder besonders widerspenstige Gegner besiegt werden müssen. Zumal man sich von den mannigfaltigen Themen der Planeten leicht ablenken lässt – und somit schlicht an ihrem Versteck vorbeiläuft.
Thematisch wird fast alles abgedeckt, was einem in den Sinn kommen könnte. Wälder-, Wüsten- und Wasserlevel? Na klar, die gibt es, und sie sehen aufgrund ihres erstaunlich geradlinigen, ja fast schon klassisch simplen Designs auf den ersten Blick gar nicht mal so spektakulär aus. Aber weit gefehlt, denn selbst die simpelsten Planetenoberflächen mutieren zu aufregenden Spielplätzen, sobald ihr eines von vielen levelspezifischen Hilfsmitteln ausprobieren dürft. Sie lassen euch höher springen, besser klettern oder verleihen euch ausfahrbare Fäuste. Und das ist gerade mal der Anfang.
Richtig verrückt wird es beispielsweise, wenn ihr den kleinen Astro von einem gigantischen Baum einsaugen lasst, der schmissige Texte auf groovige Disco-Musik singt, während ihr das innere seines Stamms erkundet. Und zwar indem ihr flüssige Pflanzen-Masse per Elefanten-Rucksack in schwebende Gebüsch-Plattformen verwandelt. Der kleine Roboter mutiert sogar zu einem Schwamm, der in japanischen Badehäusern Wasser aufsaugt, dadurch zu einem Riesen heranwächst und letztendlich Lavabecken und Feuergegner durch Auswringen löscht. Was für ein geiler Shit!
Eine der abgefahrensten und zugleich anspruchsvollsten Spielmechaniken liefert eine magische Uhr, welche die Zeit für einige Sekunden verlangsamt. Nur so kommt ihr durch ein Casino-Level oder einen gruseligen Geister-Friedhof, auf dem Gegner Messer in Lichtgeschwindigkeit werfen. Doch in gefühlter Zeitlupe werden aus gefährlichen Waffen nützliche Plattformen.
Wir könnten stundenlang solche Gimmicks aufzählen. Eine Pyramide voller stacheliger Böden und erdrückender Steine? Kein Problem, wenn eine Stahlrüstung euch erlaubt, den Helden zu einem rollenden Teekessel zusammenzufalten. Dagegen wirken die tierischen Helfer anderer Gebiete beinahe konservativ. Da wäre etwa eine Roboter-Maus, die euch schrumpfen lässt, ein Hund mit Düsen-Antrieb zum Überwinden großer Lücken oder ein Huhn, dessen Raketen-Hintern einen Senkrechtschub ermöglicht.
Klingt simpel? Ja, manche der Gimmicks gehören fast schon zum Einmaleins der Jump-and-Run-Spiele. Spaß bereiten sie dennoch. Nicht zuletzt, weil Physik über das ganze Spiel hinweg eine große Rolle einnimmt – sowohl im Verhalten von Freund und Feind als auch bei der Levelgestaltung.
Beinahe permanent versetzen euch Partikel mit komplexen Physikberechnungen ins Staunen. Dazu gehören Wasserstrahlen, herabfallende Baumblätter, hunderte Äpfel, die über einen Boden rollen, eine Plattform voller Süßigkeiten oder gigantische Haufen von Getränkedosen, die per Magnet aufgelesen und gegen einen Kran geschleudert werden müssen. Die schiere Anzahl an Objekten verdreht euch schon die Sinne.
Jedes dieser Elemente ist sehenswert, egal ob es dem Gameplay dient oder nur als schmückendes Beiwerk herumliegt. Sie lassen euch garantiert nicht kalt, denn Asobis krasse Technik-Show stemmt neben hervorragenden HDR-Kontrasten den Großteil der grafischen Faszination. Dass das Spiel derweil trotz (beinahe) 4K-Auflösung mit butterweichen 60 Bildern pro Sekunde läuft, grenzt an ein Wunder.
Fast so gut wie Mario – aber nur fast
Bei aller Begeisterung für so viel Kreativität fallen einige wenige Kritikpunkte aber umso stärker auf, vor allem in der Abteilung Ton. Am oft „ohrwurmigen“ und exzellent vertonten Soundtrack haben wir nichts auszusetzen. Aber es ist ungemein nervig, dass mehr als Dreiviertel der Soundeffekte über den Lautsprecher des Playstation-Controllers abgespielt werden.
Der Zweck der Übung ist offensichtlich: Das Tapsen der Füße, blubbernde Luftblasen und viele weitere akustische Signale sollen das feinfühlige haptische Feedback am Controller durch perfekte akustische Synchronität untermalen. Nur nervt der dünne, basslose Klang des Dual-Sense-Lautsprechers nach einiger Zeit gewaltig, zumal er die Ausgabe von 3D-Sound verhindert. Bedauerlich, dass niemand an eine Option für eine harmonische Gesamtausgabe gedacht hat.
Auch beim hochgelobten Spielablauf finden sich kleine Macken, die nicht zu sehr auf die Goldwaage gelegt werden sollten, aber doch hervorstechen. Astros Grundsteuerung ist quirlig, sorgt aber sehr präzise für Spielspaß, weil seine Standardbewegungen in jeder Situation eine exzellente Verteidigung darstellen. Allerdings kann nicht jede der spezifischen Spielmechaniken vollends überzeugen. Es handelt sich zwar grundsätzlich um grandiose Ideen, die den Nintendo-Kreativitätsschüben nahe kommen, aber nur wenige werden konsequent ausgereizt. Selbst jene, die zwei- oder dreimal als Wiederholungstäter zum Einsatz kommen, wecken gelegentlich Begehrlichkeiten.
Zudem standen Familienfreundlichkeit und Frustrationsminderung beim Entwurf des Spiels offenbar so weit oben auf der Agenda, dass einen keines der Standard-Level vor große Probleme stellt. Das wäre angesichts unbegrenzter Leben und großzügig verteilter Rücksetzpunkte sowieso schon ein hartes Unterfangen, aber das Potenzial für ein paar Schweißausbrüche bleibt aufgrund eines allzu konservativen Zielgruppen-Caterings ungenutzt.
Selbst die kreativ gestalteten Bosse schaltet man in der Regel beim ersten Versuch aus, wenn man ihre Bewegungsmuster analysiert. Schade, denn gerade die tierischen Helfer mit ihrem Raketenschub bieten so viele physikbasierte Bewegungsschemen, dass man daraus knackige Herausforderungen hätte stricken können.
Just einen Tick zu leicht ...
Der allgemeine Schwierigkeitsgrad zieht in den letzten beiden Galaxien spürbar an, und doch erreicht er nie ein Niveau, das Aufsehen erregt. Das gilt leider auch für die Verstecke der Bots und die kleinen Puzzles, die manchmal mit ihrer Rettung einhergehen. Man muss sich schon verdammt ungeschickt anstellen, um auf einem Planeten mehr als zwei oder drei Bots beim ersten Anlauf zu übersehen.
Die Restlichen, wie auch die drei verborgenen Sammelobjekte (Puzzleteile), sowie die seltenen Eingänge zu den Geheimlevels der verlorenen Galaxie findet man spätestens bei einem zweiten oder dritten Durchgang. Sollten blutige Anfänger dennoch Schwierigkeiten bekommen, dürfen sie ab dem zweiten Durchgang einen Radar-Vogel freischalten, der im Tausch für läppische 200 Münzen die Position sämtlicher Verstecke per Richtungsanzeige verrät.
... und trotzdem bleibt der Spielspaß unberührt
Das alles klingt vielleicht nach ernstzunehmender Kritik, wird aber keineswegs so heiß gegessen wie gekocht. Gerade weil das Frustpotenzial niedrig bleibt, bietet Astro Bot einen herrlich durchgängigen Flow, bei dem man alle Spitzfindigkeiten der Level am Stück auskostet. Es geht stets voran. Keine hakeligen Stellen, keine Kaugummi-Passagen mit langatmigen Unterbrechungen, kein nerviges Story-Gedöns.
Selbst wer mal nicht Planeten abklappern will, findet genug Gelegenheit, seine Zeit angenehm zu verplempern. Beispielsweise beim Freischalten geheimer Planeten auf der Galaxie-Karte, beim Umkleiden des Helden, beim Einfärben seines Controller-Flugzeugs, beim Bewundern der Playstation-Cameos und beim Einbau neuer Hardware-Teile in das Mutterschiff – das geht oft mithilfe der Bewegungssteuerung per Gyro-Sensor vonstatten. Bereits die Teamarbeit der bis zu 300 Bots beim Erforschen der Absturzstelle garantiert ein entspanntes Vergnügen für Zwischendurch.
Während des Genusses sämtlicher Facetten ist es überhaupt nicht möglich, sich an irgendeinem Element sattzusehen, egal ob spielerischer oder optischer Natur. Optimismus und Freude färben das Erlebnis in Regenbogenfarben, selbst wenn man sich auf der Reise ein wenig unterfordert fühlt.
Für Hüpfspiel-Profis gibt es zumindest ein kleines Trostpflaster: Wer sich unbedingt über die eigene Tollpatschigkeit ärgern will, findet in mehr als 16 Sonderlevels Gelegenheit dazu. Auf einigen versteckten Planetoiden warten Spezial-Herausforderungen ohne Rücksetzpunkte, die nur am Stück gemeistert werden können. Bei den schwierigsten Aufgaben braucht ihr gut und gerne 50 Anläufe und seid durchaus gewillt, den Controller in die Ecke zu feuern. Solche Ausbrüche wären gar nicht nötig, wenn die allgemeine Lernkurve in der zweiten Hälfte des Spiels nur etwas steiler wäre.
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