Test - Detroit: Become Human : Ein Meisterwerk
- PS4
Was ist Leben? Entsteht es einzig und allein in der Natur, wenn Pflanzen wachsen oder Tiere beziehungsweise Menschen sich fortpflanzen? Wäre ein künstliches Leben mit einem eigenen Bewusstsein und Gefühlen wie Angst, Liebe oder Wut überhaupt möglich? Alles Fragen, mit der sich bereits unzählige Science-Fiction-Geschichten befassten - und Detroit: Become Human verlangt von euch die Antwort.
Die Zukunft
Wir schreiben das Jahr 2038. Die Welt hat nichts aus der Vergangenheit gelernt. Es droht ein großer Konflikt zwischen Russland und den USA, die Ökokrise hat den Punkt der Unumkehrbarkeit erreicht und die Weltbevölkerung liegt bei 10 Milliarden.
Scheren tut sich jedoch so gut wie niemand um diese Probleme – weil es Androiden gibt. Sie sehen aus wie Menschen, sie bewegen sich wie Menschen und sie reden wie Menschen. Androiden verrichten alle möglichen Dienstleistungen, von der Empfangsdame, über Bauarbeiten bis zur Prostitution. Doch im Kern der Maschinen stecken Algorithmen, die jegliche Entscheidungsfreiheiten verhindern.
Das möchte man jedenfalls meinen, nur mehren sich plötzlich die Vorfälle der sogenannten Abweichler: Androiden, die aus der Befehlskette ausbrechen, ein eigenes Bewusstsein erlangen und nicht einmal auf Deaktivierungskommandos reagieren.
Drei Geschichten ...
Connor ist ein Android. Er wurde im Jahre 2038 von Cyberlife gebaut, dem weltweit führenden Unternehmen künstlicher Roboter. Er ist darauf spezialisiert, polizeiliche Ermittlungen durchzuführen, und soll das Phänomen hinter den Abweichlern ergründen. Frei nach dem Motto: Schlage die Maschinen mit ihren eigenen Waffen!
Markus ist ein Android. Er dient seinem Besitzer Carl Manfred, einem alten, schwer kranken Künstler. Markus hat Glück, denn Carl meint es gut mit ihm und behandelt ihn wie seinen eigenen Sohn. Die meisten Menschen sehen Androiden als Werk- oder gar Spielzeug, um ihre Wut auszulassen. Oder sie demonstrieren auf den Straßen, weil sie aufgrund der modernen Technik ihren Arbeitsplatz verloren haben.
Kara ist ein Android. Sie ist die Hausfrau des versoffenen Todd und gleichzeitig Kindermädchen seiner kleinen Tochter Alice. Als er das Mädchen erneut wegen Nichtigkeiten verprügeln will, entwickelt Kara einen Beschützerinstinkt. Sie schafft es, sich gegen den Befehl ihres Besitzers zu widersetzen und weicht fortan nicht mehr von ihrem Vorhaben ab, Alice zu helfen.
Ihr übernehmt abwechselnd die Rolle von Connor, Markus und Kara. Die drei verfolgen zunächst ihre eigenen Ziele, die sich über kurz oder lang kreuzen. Irgendwann werden sie alle mit der gleichen Frage konfrontiert: Wo hört eine Maschine auf und wo fängt das Leben an?
Quantic Dream vermitteln euch mit ihrem neuesten Spiel ein ganz besonderes Gefühl: dass ihr Androiden und keine Menschen steuert. Ihr verinnerlicht schnell die Gedankengänge der Maschinen und lernt Stück für Stück deren potenziellen Freiheiten kennen
Hunderte Entscheidungen ...
Detroit: Become Human strotzt nur so vor verschiedenen Wegen, die ihr einschlagen könnt. Jedes der 30 Kapitel (beziehungsweise 31, wenn ihr den nicht spielbaren Vorspann mit einrechnet) ist mit einem Flussdiagramm ausgestattet, das euch auf einen Blick all eure gewählten Entscheidungen zeigt. Gleichzeitig deuten die vielen leeren Felder und Verbindungen darauf hin, dass es noch viele andere Möglichkeiten geben muss.
Zu Beginn des Spieles ist das System noch überschaubar und beschränkt sich größtenteils auf das aktive Kapitel. Bereits im Prolog, in dem ihr mit Connor eine Geiselnahme bewältigen müsst, stehen euch zahlreiche Optionen zur Verfügung: Wollt ihr alle Zimmer durchsuchen, bevor ihr euch mit dem durchgeknallten Androiden unterhaltet? Greift ihr ihn verbal an oder versucht ihr es mit gutem Zureden? Nehmt ihr die Waffe des getöteten Polizisten zur Sicherheit an euch, obwohl Androiden keine solche tragen dürfen?
Ähnlich vielschichtig ist das Ende: Der Abweichler kann sterben, wahlweise alleine oder gemeinsam mit dem gefangen gehaltenen Mädchen, Connor kann sich opfern oder Connor kriegt aufgrund eines Missgeschicks eine Kugel in den Kopf – und das ist nur der Prolog!
Manche Entscheidungen haben Einfluss auf die nachfolgenden Kapitel, was ebenfalls auf dem Flowchart angezeigt wird. Zudem findet ihr ab und an besondere Hinweise oder Gegenstände, die spezielle Dialogoptionen mit anderen Charakteren freischalten und im besten Fall weitere Wege ermöglichen.
Alle drei Androiden werden früher oder später von mindestens einem Menschen oder Abweichler begleitet. Eure Partner begutachten sowohl eure Worte als auch eure Taten. Benehmt ihr euch so, wie es ihnen gefällt, dann steigt eure Gunst. Erreicht diese ein bestimmtes Niveau, dann stehen euch noch mehr Wege der Geschichte zur Verfügung.
Entscheidungsfreiheit mit Bombastgrafik
Natürlich kommt die Vielfalt nicht an solche Monster-Rollenspiele wie Pillars of Eternity 2 oder Divninity: Original Sin 2 heran. Dafür bietet Detroit: Become Human eine Killergrafik, die phasenweise verdammt nahe an der Realität ist. Überhaupt ist die Präsentation atemberaubend, was nicht zuletzt an der guten deutschen Sprachausgabe, der packenden Musik, dem starken Filmschnitt und den spektakulären Kameraeinstellungen liegt.
Des Weiteren steuert ihr zwar Polygonfiguren, deren Mimik und Gestik jedoch sichtlich von realen Schauspielern stammen. Das merkt ihr insbesondere bei Markus, der meisterhaft von Jesse Williams verkörpert wird – egal welchen Weg ihr für ihn wählt.
Der eigentliche Clou der Geschichte ist ihre Vielschichtigkeit in Bezug auf Moral und Gesinnung. Entwickler Quantic Dream ließ den Spieler bereits vor 13 Jahren in Fahrenheit gerne mehrere Charaktere steuern, die phasenweise gegen- anstatt miteinander kämpfen. Dieses Prinzip ist in Detroit: Become Human viel stärker ausgeprägt und gibt euch bis zum Ende hin die Möglichkeit, entweder ein gemeinsames Ziel anzusteuern oder euch selbst (!) auszuspielen. Spätestens wenn ihr das begreift, dann fühlt ihr euch wie ein vollwertiger Regisseur, der das Schicksal seiner Charaktere bestimmt.
Weil die Zahl eurer Möglichkeiten mit zunehmenden Spielverlauf immer weiter ansteigt, wird Detroit: Become Human von Kapitel zu Kapitel besser anstatt schlechter – ein erfreuliches Novum für Quantic Dream. Dafür müsst ihr ungefähr bis zur Halbzeit ein paar festgelegte Ereignisse in Kauf nehmen, die man eigentlich am liebsten abwenden möchte. Zum Glück halten sich diese Fälle in Grenzen.
Eine weitere Schwäche der Geschichte ist die Darstellung einiger Nebenfiguren. Der bereits erwähnte Todd ist ein prima Beispiel, weil ihr ihm auf den ersten Blick anseht, was für ein niederträchtiger und zugleich trauriger Mann er ist. Auch im späteren Spielverlauf stolpert ihr immer wieder über Personen, deren Gesinnung auf den ersten Blick selbst für einen Blinden ersichtlich ist – weshalb der eine oder andere Twist bereits meilenweit gegen den Wind riecht.
Schlichtes Spielprinzip, große Wirkung
Detroit: Become Human ist spielerisch gesehen verdammt nahe an Heavy Rain dran, dem bekanntesten Spiel aus der Feder von Quantic Dream. Ihr bewegt eure Figur innerhalb eines abgesteckten Gebietes und könnt mit simplen Knopfdrücken vorgegebene Aktionen ausführen. Zu Beginn sind dies sehr triviale Dinge: Markus muss beispielsweise in einen Laden gehen und eine Bestellung für Carl abholen, während ihr mit Kara die beiden Stockwerke von Todds Haus aufräumt.
Auch danach springt Detroit: Become Human streng betrachtet von einem geskripteten Ereignis zum nächsten. Der Clou ist das fantastisch designte Netz, in dem sie verwoben sind und aus dem tatsächlich ein vollwertiges Spiel entsteht - in dem ihr übrigens auch massenweise sterben könnt – im Gegensatz zu Quantic Dreams Beyond: Two Souls geht es hier nicht zwangsweise weiter, wenn ihr eine Actionsequenz vermasselt.
Die Action beschränkt sind ähnlich wie in Heavy Rain auf einfach gestrickte QTE-Szenen, die jedoch dank des hervorragenden Schnitts und der hohen Geschwindigkeit richtig dramatisch sein können. Der Schwierigkeitsgrad ist über weite Strecken zahm und zieht erst in den letzten Kapiteln ordentlich an.
Kleine Komfortmängel
Die einfach gestaltete Steuerung ist größtenteils gelungen und weist nur drei kleine Schwächen auf. Zum einen dient der rechte Analogstick sowohl zum Bewegen der Kamera als auch zum Ausführen von Kommandos, die auf dem Bildschirm eingeblendet werden. Das kann in der Hektik zu Verwirrung sorgen, wenn ihr eigentlich eine Tür öffnen wollt und stattdessen den Blickwinkel verändert.
Zum anderen lässt sich keine Zwischensequenz und keine Dialogzeile abbrechen oder wenigstens beschleunigen. Das nervt am meisten, wenn ihr eine Szene mehrfach spielen und einfach nur alle Storywege freischalten wollt.
Das dritte Problem: Ihr könnt in jedes Kapitel einsteigen, das ihr bereits gespielt habt. Wollt ihr allerdings den späteren Verlauf der Geschichte durch eine Veränderung am Anfang manipulieren, dann müsst ihr alle dazwischen liegenden Kapitel wiederholen.
Glücklicherweise sind die Dialoge schön kompakt, weshalb man die Wiederholungen gerne in Kauf nimmt. Anders ausgedrückt: Die Motivation, alle Wege zu erkunden, ist größer als die Gefahr, dass der Geduldsfaden reißen könnte.
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